Название: Der FC Bayern, seine Juden und die Nazis
Автор: Dietrich Schulze-Marmeling
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783730703946
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Lehrstunden
Der FC Bayern entwickelt schon früh eine Vorliebe für internationale Begegnungen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges bestreitet der Klub 361 Spiele, 50 davon sind internationale Freundschaftsspiele – eine erstaunliche Zahl, die Ambitionen und weltoffenes Denken dokumentiert.
Die meisten der internationalen Kräftemessen gehen verloren. Allerdings sind es auch ansehnliche Hausnummern, mit denen man es aufnimmt. Zum Auftakt muss es gleich der Deutsche Fußball-Cub (DFC) Prag sein, der am 25. Mai 1896 von deutschnational gesinnten Juden in der Moldaustadt gegründet wurde und aus dessen Reihen der erste DFB-Vorsitzende Ferdinand Hueppe stammt. Obwohl in Österreich-Ungarn ansässig, werden die Prager 1903 an der ersten deutschen Fußballmeisterschaft teilnehmen und es bis ins Finale schaffen. Auf der Suche nach Mitgliedsvereinen hatte der junge DFB auch »deutsche« Klubs in Österreich und Böhmen zum Beitritt und zur Teilnahme an Meisterschaften eingeladen.
Am 9. Dezember 1900 reisen die Bayern nach Prag, wo ihnen der DFC eine Lehrstunde erteilt. 8:0 siegen die Prager, gegen die man vor dem Krieg noch vier weitere Spiele bestreitet.
Im Mai 1904 wird die DFB-Ära des DFC beendet sein. Nachdem der DFB der FIFA beigetreten ist, dürfen Nicht-Reichsdeutsche dem Verband nicht mehr angehören. Fortan spielt der DFC Ligafußball in Böhmen bzw. ab 1919 in der Tschechoslowakei. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Prag im März 1939 wird man den Traditionsklub als »jüdischen Verein« kurzerhand auflösen.
Bis in die 1920er Jahre aber gehört der Klub zu den besten Adressen auf dem Kontinent; insgesamt 16 DFCler tragen das österreichische oder ungarische Nationaltrikot, darunter Adolf Patek, der von 1958 bis 1961 den FC Bayern trainieren wird. Ebenso der jüdische Publizist Dr. Paul Fischl, später Verleger und Herausgeber des »Prager Tageblatts«. Für den österreichisch-jüdischen Schriftsteller Friedrich Torberg war Fischl »einer der besten Fußballer aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg«. Nach 1933 wird sein Verlag »J. Kittl Nachfolger« vielen von den Nazis verfemten Autoren – so Ernst Weiß, Ludwig Winder, Julien Green, Sinclair Lewis – eine neue Heimat bieten.
Bayerns zweiter internationaler Auftritt führt den Klub nach Südtirol, wo man sich in Meran dem Akademischen Sportverein Graz mit 1:5 geschlagen geben muss. Von den ersten zehn internationalen Begegnungen gehen neun verloren, einige davon deutlich.
Nach drei Auslandsreisen fungiert am 6. März 1904 erstmals der FC Bayern als Gastgeber. An der Schwabinger Clemensstraße geht man gegen die Blue Stars St. Gallen mit 0:10 unter. Sechs Wochen später endet das zweite Kräftemessen gegen die blauen Sterne mit dem gleichen Ergebnis.
Und die Lehrstunden gehen weiter. Auch die zweite Begegnung mit dem DFC Prag geht im Juni 1906 an der Karl-Theodor-Straße mit 1:11 in die Hose. Sechs Tage später kommt es noch etwas derber, als Slavia Prag, ein 1892 von sportbegeisterten Studenten gegründeter bürgerlicher Renommierklub und der älteste tschechische Verein, an der Karl-Theodor-Straße seine Visitenkarte abgibt. Der vom Schotten John William Madden trainierte Klub der Prager Intellektuellen, der heute von Fans des »proletarischen« Lokalrivalen Sparta als »Judenklub« beschimpft wird, schenkt den Bayern gleich 13 Tore ein. Das 0:13 vom 10. Juni 1906 ist die höchste Niederlage überhaupt, die die Bayern bis heute bezogen haben.
Ein halbes Jahr später zeigen sich die Bayern leicht verbessert. Diesmal behält Slavia »nur« mit 8:0 die Oberhand. Schämen müssen sich die Münchner nicht, denn vom 25. März 1897 bis zum 21. März 1909 gelingt es keiner tschechischen Elf, Slavia zu schlagen. John William Maddens Elf zählt zu den besten Teams Europas.
Im Frühsommer 1903 reist der FC Bayern erstmals in die Schweiz. In St. Gallen verliert man am 31. Mai gegen den heimischen FC (2:3), einen Tag später erreicht man gegen den FC Zürich immerhin ein Unentschieden (2:2). Mit dem schweizerischen Vizemeister FC St. Gallen, bereits 1879 gegründet und damit heute der älteste noch bestehende Klub im Land der Eidgenossen sowie einer der ältesten auf dem europäischen Kontinent, gehen die Bayern eine Sportfreundschaft ein.
Vor dem Ersten Weltkrieg spielen die Bayern besonders häufig gegen Teams aus dem deutschsprachigen Teil der Schweiz – insgesamt 17-mal. Gegen Schweizer Fußballer gibt es dann endlich auch den ersten Sieg in einem internationalen Spiel: Am 9. Mai 1907, beim zwölften Versuch gegen ein ausländisches Team, behalten die Bayern an der Plinganerstraße gegenüber den Old Boys Basel mit 2:1 die Oberhand.
In der Saison 1913/14 tritt der FC Bayern gleich dreimal gegen die Wiener Amateure an, wobei man zweimal verliert (1:2, 0:1). Das einzige Unentschieden (1:1) erreicht man Mitte August 1913, als man sich für einige Tage in der Donaumetropole aufhält (und sich auch mit der Vienna misst). Hinter den Wiener Amateuren verbirgt sich der spätere FK Austria; die Umbenennung erfolgt am 18. November 1926 auf einer Generalversammlung im Wiener Domcafé, zu einem Zeitpunkt, als in Österreich der Profifußball legalisiert wird. Amateure/Austria ist der Klub des assimilierten jüdischen Bürgertum Wiens, ebenso sehr ein Gesellschafts- wie ein Fußballverein.
Kräftig Lehrgeld muss man gegen Teams aus dem »Fußball-Mutterland« bezahlen. Gegen das Amateurteam The Pirates verliert man am 29. April 1908 an der Schwabinger Leopoldstraße mit 0:8, gegen die Profis von den Blackburn Rovers am 18. Mai 1910 an gleicher Stelle mit 0:7. Mit dem FC Sunderland, dem FC Middlesborough und den Tottenham Hot spurs kommen weitere englische Profiteams nach München. Sunder-land gewinnt am 30. Mai 1909 mit 5:2, Middlesborough am 12. Mai 1913 mit 9:1. Die Tottenham Hotspurs, der Klub aus der britischen Metropole, dem viele Londoner Juden anhängen, schlagen die Bayern an der Leopoldstraße mit 6:0. Die »Spurs« sind am 9. Mai 1914 letzter ausländischer Gast, bevor der Erste Weltkrieg die erste internationale Ära des Klubs abrupt beendet.
Es waren also nicht in erster Linie Siege, die der FC Bayern bei seinen internationalen Spielen anstrebte. Vielmehr suchte man sich namhafte Gegner aus, von denen die eigenen Spieler in taktischer und spielerischer Hinsicht lernen konnten und die für die Münchner Zuschauer attraktiv waren. Dass nicht wenige dieser Vereine in einem ähnlichen bürgerlichintellektuellen Milieu zu Hause waren wie die Bayern und häufig jüdische Akteure in ihren Reihen hatten, dürfte kein Zufall sein. Dies gilt auch für einige der süddeutschen Konkurrenten der Bayern.
Juden im süddeutschen Fußball
Ein Vierteljahrhundert bevor der FC Bayern seinen ersten nationalen Titel feiern darf, gewinnt der FC Freiburg die Deutsche Meisterschaft – jener Verein also, dem die Münchner in den ersten Jahren wesentlich ihr Überleben zu verdanken hatten. Es ist ein illustres Team, das am 19. Mai 1907 in Mannheim Viktoria 89 Berlin mit 3:1 bezwingt. Mit Dr. Paul Goldberger de Budda, Dr. Louis C. de Villiers, Dr. Felix Hunn, Dr. Josef Glaser und Dr. Hofherr laufen gleich fünf Promovierte auf.
Das Tor hütet Dr. Paul Goldberger de Budda, Spross einer jüdischen Großbürgerfamilie in Wien. Die Wurzeln der Familie liegen in Budapest, genauer: Obuda, das 1872 mit Buda und Pest zur Stadt Budapest fusionierte. Vater Edmund Goldberger ist Vizepräsident des Verwaltungsrates der Firma Sam F. Goldberger & Söhne Aktiengesellschaft, Revisor der Österreichisch-Ungarischen Bank und Präsident des Kreditvereins der Allgemeinen Depositenbank. Sein Abitur hatte Paul Goldberger noch 1899 in Wien gebaut, wo er 1900 mit dem First Vienna Football Club den Challenger Cup gewann. Im Herbst 1901 ging er an die Technische Hochschule in Berlin-Charlottenburg und kickte für Britannia Berlin. Im Frühjahr 1905 zog der Doktorand nach Basel, wo er über das N-Bromphthalimid promovierte. Nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft wechselt Goldberger zum Frankfurter Kickers FC, für den anfänglich auch Walther Bensemann gespielt hat. Dort hütet er nicht nur das Tor, sondern arbeitet auch im Vorstand mit. 1911 gehört Goldberger zu den treibenden СКАЧАТЬ