Die Nann. Anna Croissant-Rust
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Nann - Anna Croissant-Rust страница 9

Название: Die Nann

Автор: Anna Croissant-Rust

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711460832

isbn:

СКАЧАТЬ war ihr ewiges Lied.

      „Mir kinnen nit awer, schau decht ausser!“

      Aber sie liess nicht nach mit Quälen. Da nahm er denn in Gottes Namen die Schaufel und begann vor dem Haus den Schnee auszuschaufeln. Nein, das waren ja Berge! Er kam keine drei Schritte weit, keine Rede davon, dass er allein nach Malsein käme! Und doch fing sie wieder an:

      „Du muscht nach Malsein!“

      Sie stiess ihn beiseite und fing selbst an zu schaufeln und zu graben, dass ihr der Schweiss herunterlief, aber auch sie kam nicht vorwärts und schaute sich wieder hilflos nach ihm um.

      Mit einem tiefen Seufzer holte Anderl seine dicke Joppe, die Schneereifen und die Steigeisen. Vielleicht ging’s so.

      Die Luft war frisch, aber die Berge standen zum Greifen nah, ganz wie wenn Tauwetter zu erwarten wäre. Anderl wollte ja gern vorwärtskommen, wenn er noch so lange brauchen sollte, wenn’s nur überhaupt ging! Schon nach den ersten Schritten aber stolperte er; dann sank er ein, raffte sich wieder auf, kam eine Strecke weiter, sank wieder ein und arbeitete sich wieder heraus. Und der Schnee schien immer weicher zu werden, das Vorwärtskommen wurde immer schwerer, und zuletzt stand er vor einem hohen weissen Hügel, einem fremden Hügel, den er nicht kannte, der sich da aufgetürmt hatte, daneben ging die Wand in die Höhe, und auf der andern Seite fiel der Felshang ab. Keine Möglichkeit, da hinüberzukommen, Anderl machte gar keinen Versuch. Wenn es gegangen wäre, würde er am liebsten heulend zurückgerannt sein. So musste er denselben mühseligen Weg wieder Schritt für Schritt zurücklegen.

      Ausser Atem, keuchend, die Kehle von Jammer zugepresst, kam er droben wieder an. Jetzt würde die Juli schön auf ihn losfahren!

      Aber die Juli redete kein Wort, blieb nur sitzen und machte grosse Augen; gerade wie der Vater sah sie aus. Sollte denn das den ganzen Tag so fortgehen und wollte sie sich nicht entschliessen, endlich aufzustehen und etwas zu kochen? Er hatte jetzt gearbeitet genug und getan, was er nur tun konnte, der Magen brannte ihm, vorderhand war ihm das Essen die Hauptsache. Sah sie ihm denn das nicht an?

      „So koch decht amal a Supp’n!“ mahnte er vorwurfsvoll.

      Als er gesättigt war und die Sonne plötzlich schien und alles warm und behaglich machte, fasste er frischen Mut und redete auch der Juli kräftig zu. Vis der Abend kam, hatten sie richtig Schnee und Schindeln ausgeräumt, sogar die schlechten Teile auf dem Dach entfernt und begonnen, neue Bretter einzufügen. Es kam ihnen jetzt recht zustatten, dass sie dem Vater oft zugesehen hatten, und wenn sie’s auch nicht so machen konnten wie er, so ging’s doch leidlich, und das Arbeiten oben in der Sonne war auch nicht so hart, als sie gedacht; doch waren sie beim Dunkelwerden ganz zerschlagen und elend und krochen wie abgehetzte Tiere in die Betten. Sie nahmen sich keine Zeit mehr, sich zu waschen oder zu kämmen, auch die Nann blieb liegen, wie sie war; sie fühlten sich beide am Morgen noch todmüde von der ungewohnten Arbeit und mussten doch gleich wieder beginnen. Wie notwendig das war, sahen sie, als sie in den Stall kamen. Über Nacht war wieder Schnee gefallen, zwar nicht sehr viel, aber doch genug, um die Juli mutlos zu machen.

      „Es ischt für niacht, es ischt für niacht,“ klagte sie, während dicke Tränen Rinnen in ihr schmutziges Gesicht zogen. Ihre Augen brannten, und sie sah grau und elend aus; doch ermannte sie sich noch einmal, und nun begann ein wildes Arbeiten: „Es muass, es muass fertig werden bis auf die Nacht.“

      Sie war ganz ausser sich, sie hörte nicht, sie sah nichts wie die Arbeit, wie ein Fieber war’s. Ganz nass von Schweiss schaufelte sie den Schnee weg, schleppte Bretter, sägte, hackte, nagelte –

      Anderl war ihr nicht schnell genug, sie schalt ihn, sie puffte ihn herum, sie schlug ihn sogar; ordentlich zum Fürchten war sie, gerade wie der Alte, wenn er seinen bösen Tag hatte! Von Ausruhen war keine Rede, nicht einmal essen und trinken wollte sie, und ein Stück Brot, das ihr Anderl brachte, warf sie ihm vor die Füsse. Es fiel ihr gar nicht ein, sich um die Nann zu kümmern, die konnte schreien, so viel sie wollte.

      „Hörscht es denn nit, Juli, die Nann? Reahrn tuat sie in oan Trumm fort,“ mahnte Anderl.

      „Lass sie reahrn, i kann ihr nit helfen, mir hilft aa koaner.“ –

      Die Nacht kam, und die Juli hockte noch oben auf dem Dache und schlug Nägel ein. Anderl stand unten und hielt die Leiter, vor Müdigkeit fielen ihm fast die Augen zu; fast wäre er eingeschlafen, hätte ihm die Schwester nicht auf einmal zugerufen: „Hilf mir, Bua, i kann nit awer.“

      Die ganze Leiter herunter musste Anderl sie stützen, ja beinahe tragen, und als sie unten stand, ging sie fast stolpernd vorwärts, sich an den Wänden haltend, als schwanke der Boden unter ihren Füssen. Aber das Dach war fertig, nun war alles gut, nun war alles gleich!

      Sie vermochte nichts mehr zu essen, sie war so abgemattet, dass sie sich nur noch ins Bett schleppen konnte und gleich einschlief. Ein schwerer, dumpfer Schlaf kam über sie, der in wirres Träumen überging; sie musste immer weiterarbeiten, ohne Rast und Ruh, immer mit der treibenden Angst, nicht fertig zu werden. Das war ein Wühlen und Graben, ein Wüten und Schaffen! Selbst Anderl mühte sich ab unter Weinen und Ächzen und Stöhnen, jetzt stiess er gar ein Wehgeschrei aus – jetzt wieder! – Das Schluchzen und Rufen dauerte an! – nein, aber das war ja nicht ein Träumen; jemand rief und weinte wirklich! Nicht da war’s, in der Stube, draussen auf dem Gang oder in der Küche musste es sein! Noch in ihren verwirrten Träumen, fand sie sich nicht gleich zurecht; war das wirklich Anderls Stimme, die nach ihr rief? Was war denn?

      Gleich fiel’s ihr auf die Seele, sie hatte ja der Nann gestern nichts zu essen gegeben! – „Die Nann?“ schrie sie in Todesangst.

      „Na, die Kuh!“ heulte Anderl. Richtig, da stand ja die Wiege mit der Nann, und die schluckte an ihrem Fläschlein und schaute fröhlich und vollständig mit dem Schicksal ausgesöhnt aus ihren blaugrauen grossen Augen nach der Juli.

      Wie lange die brauchte, bis sie nur ihre Kleider fand! Und sobald sie in der Höhe war, kam immer wieder dies Schwindelgefühl, dies Sausen und Klopfen, das sie schon am Abend gespürt, die Zunge lag ihr wie geschwollen im Munde; wenn sie ging, drehte sich alles um sie, am Ende wurde sie gar krank? Ganz sachte, ganz vorsichtig, ganz unsicher kam sie in die Küche geschlichen, gerade als die Kuh die Augen verdrehte und sich streckte. Aus war’s, sie war tot. Die Juli konnte keinen Schmerz empfinden, sie wunderte sich nicht einmal darüber, dass sie nicht verzweifelte, nicht schrie und betete wie Anderl, der ausser sich war.

      „Mir derhungern, mir müass’n derhungern,“ weinte er, und gleich darauf wieder: „Heilige Maria Mutter Gottes, wenn ma decht ’s Fleisch essen kannten! – Der Voda derschlagt uns ja! Bitt für uns arme Sünder – moanscht nit, Juli, mir kannten’s essen? – jetzt und in der Stunde unsers Absterbens! Amen!“

      Das war ein Jammer, dass es einen Stein hätte erbarmen mögen, einen grösseren Schmerz hatte Anderl noch nie durchgemacht! Und kein Wort fand die Juli, ihn zu trösten, sie ging einfach wieder zurück und legte sich auf die Ofenbank und liess ihn ratlos und allein in der Küche!

      *

      Gegen Mittag begann der warme Föhn zu wehen, eine matte Sonne kam hinter dem Gewölke vor, verschwand und erschien aufs neue; die Farbe der Berge ging vom Weiss ins Bleigrau über, die Eiszapfen am Haus fingen an zu tauen; auch der Brunnen rann wieder und der Schnee ringsum krachte und knisterte geheimnisvoll; später begann ein Knacken und Rieseln ringsumher, vor dem Hause standen grosse Lachen, denn die Dachtraufe spie unaufhörlich das Schneewasser aus, kleine Rinnsale kamen von den Hügeln herunter, und mit leisem Schauern fiel der Schnee von den Bäumen. Nun wurde die Ferne dunkelblau und violett, die Berge mit ihren Zacken und Graten waren ganz vors Haus gerückt, es war, wie wenn СКАЧАТЬ