Название: Gesammelte Werke von Cicero
Автор: Марк Туллий Цицерон
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027209569
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Kap. XVI. (§ 44.) Man muss deshalb in die Natur der Dinge eindringen und genau anschauen, was sie verlangt; nur auf diese Weise kann man sich selbst kennen lernen. Diese Anweisung ist so bedeutend, dass man meint, ein Mensch könne sie nicht gegeben haben; deshalb leitete man sie von dem Gotte ab, und der Pythische Apoll ist es danach, welcher gebietet, sich selbst zu erkennen. Diese Erkenntniss unsrer hat aber nur den einen Zweck, dass man die Kräfte seines Körpers und seiner Seele kennen lerne und das Leben so einrichte, dass man sich derselben erfreuen kann. Da nun die Seele von Anfang ab zur Gewinnung der erwähnten vollkommensten Natur hindrängt, so muss man anerkennen, dass mit Erreichung dieses Zieles die Natur gleichsam bei dem Aeussersten angekommen, nicht weiter kann, und dass darin das höchste Gut enthalten ist. Dasselbe muss offenbar auch als Ganzes um sein selbst willen erstrebt werden, da bereits nachgewiesen worden ist, dass auch seine einzelnen Bestandtheile um ihrer selbst willen gesucht wer den. (§ 45.) Sollte aber in meiner Aufzählung der Vorzüge des Körpers die Lust vermisst werden, so behalte ich mir die Erörterung hierüber für eine andere Zeit vor; bei der hier behandelten Frage ist es gleichgültig, ob die Lust zu dem ersten Naturgemässen mit gehört oder nicht. Bildet die Lust, wie ich annehme, keinen Bestandtheil des natürlichen höchsten Guts, so habe ich sie mit Recht Übergängen; ist aber, wie Andere meinen; dies doch der Fall, so steht dies meiner Auffassung des höchsten Gutes nicht entgegen; denn wenn die Lust noch zu dem ersten Naturgemässen mit hinzukommt, so vermehren sich die Vortheile des Körpers nur um einen und die von mir geschehene Feststellung des höchsten Guts wird dadurch nicht geändert.
Kap. XVII. (§ 46.) Bis hierher ist meine Beweisführung lediglich auf die ersten Antriebe der Natur gestützt und Alles hieraus abgeleitet worden. Jetzt ändere ich aber meine Begründung insofern, als ich das Handeln fies Menschen nicht blos aus seiner Selbstliebe ableite; vielmehr hat jeder Theil unserer Natur, sowohl im Körper wie in der Seele, seine eigene Kraft, und deshalb bewegen wir uns hierbei hauptsächlich aus eigenem Antriebe. So kann man, wenn ich mit dem Körper beginne, bemerken, dass Jedermann die Theile seines Körpers verbirgt, bei denen etwas schlecht, oder geschwächt, oder verkleinert ist; man sorgt und müht sich nach Möglichkeit, solche Fehler des Körpers gar nicht oder nur zum kleinsten Theile sichtbar werden zu lassen; ja man erträgt der Heilung wegen viele Schmerzen, nur damit die Glieder wieder ihre natürliche Gestalt erlangen, selbst wenn ihr Gebrauch dadurch mehr gehemmt als befördert werden sollte. Wenn Alle von Natur sich vollständig erhalten wollen, und zwar nur ihrer wegen und nicht um Anderer wegen, so müssen nothwendig, wenn das Ganze um seinetwillen begehrt wird, auch seine Bestandtheile um ihretwegen begehrt werden. (§ 47.) Sollte nicht die Natur selbst eine Anleitung geben, wie man zu stehen und körperlich sich zu bewegen habe? wie man gehen, sitzen, den Mund bewegen, seine Mienen einzurichten habe? Sollte hier nicht Manches für den freien Mann angemessen und Anderes für ihm unpassend sein? Hält man nicht Viele für widerlich, weil sie in ihrer Bewegung und Haltung die Gesetze und die Maasse der Natur zu verachten scheinen? Und wenn dies von dem Körper entfernt wird, weshalb sollte nicht das Schöne an sich selbst für erstrebenswerth gelten? Wenn man jede Hässlichkeit und Verunstaltung des Körpers um ihrer selbst willen verabscheut, weshalb sollte man du nicht ebenso, ja noch mehr, nach der Würde im Aeussern verlangen? Flieht man alle Hässlichkeit in den körperlichen Stellungen und Bewegungen, weshalb sollte man da nicht der Schönheit nachstreben? Auch die Gesundheit, die Kräfte, die Schmerzlosigkeit begehrt man nicht blos des Nutzens, sondern um ihrer selbst willen. Die Natur verlangt die Vollendung aller ihrer Theile, und deshalb begehrt sie jenen Zustand des Körpers um sein selbst willen, welcher der Natur am meisten entspricht und der ganz gestört wird, wenn der Körper krankt oder an Schmerzen leidet oder der Kräfte ermangelt.
Kap. XVIII. (§ 48.) Jetzt wollen wir zu den Theilen der Seele übergehen, deren Betrachtung weit herrlicher ist. Je erhabener hier die Gegenstände sind, für um so deutlichere Andeutungen der Natur müssen sie gelten. Die Liebe zur Erkenntniss und Wissenschaft ist uns in so hohem Maasse eingepflanzt, dass offenbar die menschliche Natur dazu hingerissen wird, ohne dass irgend ein Vortheil sie dazu bestimmt. Man sieht ja, dass schon die Knaben sich nicht einmal durch Schläge von der Betrachtung und Untersuchung der Dinge abschrecken lassen und wie sie, fortgejagt, wieder zurückkommen; wie sie sich freuen, dass sie etwas wissen, wie sie danach verlangen, Andern etwas zu erzählen; wie die öffentlichen Aufzüge, die Schauspiele und andere ähnliche Darstellungen sie so fesseln, dass sie Hunger und Durst ertragen. Ja, sieht man nicht, dass Männer, welche an den freien Wissenschaften und Künsten sich ergötzen, weder ihre Gesundheit noch ihr Vermögen dabei schonen und in die Wissenschaften und ihre Erlangung so vertieft sind, dass sie darum Alles ertragen und die schwersten Sorgen und Mühen durch die Lust ausgleichen, welche ihnen die Erweiterung ihrer Kenntnisse gewährt. (§ 49.) Ich möchte glauben, dass Homer dergleichen im Sinne gehabt hat, wo er von den Gesängen der Sirenen erzählt. Sie pflegten die Vorüberfahrenden nicht durch ihre süssen Stimmen oder durch eine neue und wechselnde Weise des Gesanges an sich zu ziehen, sondern sie sprachen von ihrem reichen Wissen, damit die Menschen in Folge ihrer Wissbegierde an deren Felsen haften blieben. Denn in dieser Weise laden sie den Odysseus zu sich ein; (ich habe die Stelle, wie manche andere des Homer übersetzt):
O Zierde von Argos, wende, Odysseus, Dein Schiff zu uns,
Damit Du mit Deinen Ohren unsere Gesänge vernehmest.
Noch ist Keiner im dunklen Schiff hier vorübergesegelt,
Der nicht, gefesselt von der Stimmen Süsse, hier gehalten hätte;
Und der, wenn sein begehrendes Herz an den Musen viel sich ergötzt,
Nicht reicher an Kenntniss zur väterlichen Küste gekehrt.
Wir kennen den schweren Kampf und die Niederlage,
Welche Griechenland den Troern unter göttlichem Schutze bereitet;
Alle Spuren der Dinge auf weiter Erde sind uns bekannt.
Homer fühlte, dass seine Dichtung nicht Billigung finden würde, wenn ein so grosser Mann durch blosses Singen sich hätte fesseln lassen; deshalb verheissen sie ihm die Erkenntniss, und es kann nicht auffallen, dass diese dem Wissbegierigen höher stand, als sein Vaterland. Alles ohne Unterschied wissen wollen, ist Neugierde; aber durch die Betrachtung der grossen Dinge zum Verlangen nach der Wissenschaft angeregt zu werden, ist grossen Männern eigen.
Kap. XIX. (§ 50.) Welcher Wissenseifer muss nicht den Archimedes beseelt haben, der über die aufmerksame Verzeichnung seiner Figuren im Sande nicht merkte, dass seine Vaterstadt erobert worden war. Wie hat das grosse Genie des Aristoxenus sich ganz in dir Musik vertieft! Mit welchem Eifer hat Aristophanes sein Leben in den Wissenschaften zugebracht! Was soll ich von Pythagoras, von Plato und Demokrit sagen, die aus Wissbegierde die entferntesten Länder durchwandert haben! Wer dies nicht einsieht, hat nie mit Liebe sich dem Wissenswerthen hingegeben. Wenn man hier meint, dergleichen Beschäftigungen seien nur der geistigen Lust wegen betrieben worden, so bemerkt mau nicht, dass sie gerade deshalb um ihrer selbst willen aufgesucht werden, weil der Geist sich in ihnen, auch wenn kein Nutzen vorliegt, ergötzt und sich an dem Wissen, selbst wenn es beschwerlich wird, erfreut. (§ 51.) Doch wozu in so klaren Dingen noch Weiteres beibringen. Wir mögen uns immer selbst fragen, wie sehr der Lauf der Gestirne, die Betrachtung der Himmelskörper und die Erkenntniss Alles dessen, was die Natur in Dunkelheit gehüllt hat, uns bewegt, und wie sehr uns die Geschichte ergötzt, bei der man bis zu den ersten Anfängen vordringt, Uebersehenes nachholt und Angefangenes weiter verfolgt. Ich weiss recht wohl, dass die Geschichte nicht blos Lust, sondern auch Nutzen gewährt; aber liest man denn nicht auch erdichtete Geschichten mit Vergnügen, bei denen sich gar kein Nutzen absehen lässt? (§ 52.) Und will man nicht bei Männern, die Grosses verrichtet haben, ihre Namen kennen, ihre Eltern, ihr Vaterland und Anderes, was gar nicht nothwendig ist? Und ergötzen sich nicht die ärmsten Leute, ohne Aussicht, selbst etwas unternehmen zu können, ja selbst Handarbeiter an der Geschichte? Gerade Männer, die bereits vom Alter gebeugt und von allen СКАЧАТЬ