Название: Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder
Автор: Alexis Willibald
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027219490
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Einst, als sie Kaffee tranken, kam ein Hausierer, der allerhand ausbot, auch Mäusebutter. Die Gottfried schien kaum zu wissen, was das sei, und bat dann, ihr eine Kruke zu kaufen; aber sie affektierte eine solche Angst vor dem Gift, daß sie es nicht in die Hände nahm, sondern den jungen Herrn Kleine bat, es für sie einzupacken.
Im November (1823) kehrte sie nach Bremen zurück. Diesmal hatte sie in Hannover niemanden vergiftet, auch kein Verbrechen begangen. In Bremen dagegen erwarteten sie Ärger und Bedrängnisse ihrer Gläubiger. Da waren Schulden eingefordert, die sie durch den Akkord ihres Vaters für getilgt hielt. X drohte, und Kassow, der schon bei der Verlobung mit Zimmermann erkannt hatte, daß es ein leeres Versprechen der Gottfried gewesen war, seine Kinder zu Erben einzusetzen, forderte ungestüm seine Vorschüsse und hätte gern auch seine Geschenke zurückgenommen. Jener Magister, welcher die Ehe mit Miltenberg zustande gebracht hatte, mußte die undankbare Mühe übernehmen, für Kassow als Vermittler bei der Gottfried aufzutreten. Ihre Antwortsbriefe sind merkwürdige Belege dafür, mit welcher Gewandtheit und Hartnäckigkeit dieses Weib ihre Ansprüche zu verteidigen wußte, und wie sie die Federn ihrer Freunde (denn die meisten Briefe ließ sie sich konzipieren) zu gebrauchen wußte, um ihre Rolle fortzuspielen. Einzelne Stellen aus diesen Schreiben können wir uns nicht entheben, zu ihrer Charakteristik hier auszuziehen: »Gott wird mich jetzt stärken; auf alles bin ich gefaßt. Mit gutem Gewissen erscheine ich, wo Sie es wünschen; die Wahrheit soll und darf der Mensch reden.« – »Ich bin nicht reich – aber ehrlich und redlich durchs Leben gehen, ist mein Vorsatz.« – »O wie leicht irrt man in der Beurteilung des menschlichen Herzens! – Wie empfindlich der Schmerz ist, von anderen verkannt zu sein und sich bei dem besten Willen höhnisch beurteilt zu sehen, davon hat wohl keiner mehr Ursache zu reden als ich bei Ihren mir zugesandten Briefen.« – »O könnten Sie in mein Herz sehen! Sie haben mir eine Wunde geschlagen, die nie zu heilen ist.« – »So unedel, wie Sie mich schildern, bin ich nicht, bloß unglücklich. Wer hat mehr Tränen der Verzweiflung geweint als ich – und ich lebe dennoch! Glück gibt es nicht auf dieser Welt voll Mängel und Trübsal. Wer aber wahrhaft glaubt, wird und soll nicht untergehen.« – »Mit Beschämung wird gewiß mancher Verleumder bereuen, mir wehe getan zu haben. Die Reue bleibt nicht aus.« – »Eine unglückliche Ehe war mein Los, aber Vertrauen zu dem lieben Gott ließ mich alles ertragen.« – »Was nützt die Schale, wenn der Kern nichts taugt? – Dem Reinen ist alles rein. Gott ist Zeuge meiner unglücklichen Lage. Ach Herr (Magister), welch ein schönes Gefühl, nach der Eltern und des Mannes Tode so zu handeln, wie ich tat! – Da ich am Sonntag zum heiligen Abendmahle gehe, werden Sie die Kürze meines Briefes verzeihen, indem mein Geist mit der heiligen Handlung zu sehr beschäftigt ist. So gewiß ich dieses Mahl empfange, rede ich die Wahrheit.«
So verteidigte sich die Giftmischerin, um der Abbezahlung von fünfhundert Talern zu entgehen! Welche Kräfte sie anwandte, um dem Verdachte des Mordes zu entweichen, mag man danach berechnen. Zum Belege ihrer Kraft in der Heuchelei mögen jene Auszüge genügen.
Aber das Drehen und Wenden half ihr nichts. Gerichtlich hätte Kassow schwerlich die fünfhundert Taler einfordern können; das böse Gewissen der Schuldnerin half dem Gläubiger, und sie sah sich zur Unterzeichnung eines Schulddokumentes über fünfhundert Taler genötigt. Von jetzt ab war ihr Leben eine fortgesetzte Angst vor ihren Gläubigern und eine ununterbrochene Kette von Versuchen, um anderwärts Geld aufzunehmen, um die dringendsten Gläubiger zu beschwichtigen und Zeit zu gewinnen.
Zur Einschränkung genötigt, verließ sie ihre elegante Wohnung in der Oberstraße und bezog wieder ihr Erbhaus. Der Lehrer S. und der fromme Kommissionär Mosees zogen gleichfalls zu ihr. Da wurde jeden Tag gesungen und gebetet. »Aber,« sagte sie, »statt daß ich nun angefangen hätte, still und fromm zu leben, tat ich gerade das Gegenteil. Ich fing an zu reisen, liebte geistige Getränke, lebte ungesittet, unordentlich, entwendete meinen Nebenmenschen das Ihrige, las gerne Romane, traktierte, und wurde aufs neue Mörderin!«
Im Frühjahr 1824 reiste sie abermals nach Hannover, ward freundlich im Kleineschen Hause aufgenommen, kehrte aber mit neuen Schulden, die das vornehme Leben verursacht hatte, nach Bremen zurück. So hatte ihr der alte Herr Kleine achthundert Taler, angeblich zur schleunigen Abtragung dringender Schulden, vorgestreckt; aber auch das half ihr wenig.
Die einst wohlhabende Frau brauchte dringend drei Louisdor. Sie selbst wollte sich nicht mehr an X wenden. Eine langjährige Freundin der Verbrecherin, die Musiklehrerin Anna Meyerholtz, ward von ihr ersucht, bei dem gemeinsamen Freunde um die drei Louisdor für die Gottfried zu bitten. Umsonst, X wollte nichts mehr geben. Die Meyerholtz lebte in dürftigen Umständen, von ihrem geringen Einkommen mußte sie noch einen blinden achtzigjährigen Vater ernähren. Sie selbst konnte nichts geben, aber sie hatte mehrere Wohltaten früherhin von der Gottfried erfahren; so erbot sie sich in ihrer Herzensgüte, von den seit Jahren zusammengesparten Begräbniskosten für den zu erwartenden Tod des alten Vaters ihr auf kurze Zeit die nötige Summe zu leihen.
Ein schneller Gedanke durchzuckte die Mörderin, und in vierundzwanzig Stunden wurde er zur Tat. Statt von dieser aufopfernden Liebe gerührt zu werden, beschloß sie, die hilfsbereite Freundin zu vergiften und sich ihres sauer ersparten Geldes durch Diebstahl zu bemächtigen.
Vergebens hat man sich bemüht, die Motive dieser Tat zu positiver Gewißheit ans Licht zu stellen. Befragt, warum sie das getan habe, konnte sie unter Seufzern und Tränen nur antworten: »Ach, das mag Gott wissen!« Und doch war ein Grund vorhanden, auch außer dem Wunsch, in den völligen Besitz des Geldes zu gelangen, das sie von der armen Freundin nur leihweise zu erhalten hatte; es war der instinktartige Reiz, der hier zum ersten Male wirkt und fürchterlich heraustritt.
Sie war im Besitz von vielem Gift und hatte so lange nicht vergiftet, wenigstens nicht wirkungsreich vergiftet. Ganz hatte sie es freilich nicht lassen können und darum versuchsweise diesem oder jenem etwas eingegeben. Schon vor Pfingsten 1824 hatte sie einer entfernten Verwandten aus irgendeiner gehässigen Gesinnung Mäusebutter auf Weißbrot gereicht. Im September desselben Jahres erhielt die sechsjährige Tochter des Lehrers S. Gift, weil – die Gottfried ihre Mutter haßte! Ihr Freund, der fromme Mosees, hatte ebenfalls vor kurzem Mäusebutter erhalten, damit – die Gottfried während seines Unwohlseins seine Speisekammer bestehlen könnte.
Sie war jetzt auf die Höhe des Verbrechens gekommen, wo die Sünde zur Lust, zum Bedürfnis wird. Das Vergiften hatte längst alles Schreckliche für sie verloren. Es war ihr ein Nahrungszweig geworden und die Spannung dabei ihre liebste Unterhaltung; ihr fehlte ja schon seit langem jede Tätigkeit. Sie selbst sagte: »Mir war gar nicht schlimm bei dem Vergiften zumute. Ich konnte das Gift ohne die mindesten Gewissensbisse und mit völliger Seelenruhe geben. Es war mir, als wenn meine Stimme zu mir sagte, ich müsse es tun. Ich hatte gewissermaßen Wohlgefallen daran. Ich schlief ruhig, und alle diese ungerechten Handlungen drückten mich nicht. Man schaudert doch sonst vor dem Bösen; allein das war nicht bei mir der Fall. Ich konnte mit Lust Böses tun.«
Der Grund war da: sie wollte und mußte vergiften, und mit Erfolg vergiften, und es bedurfte nun nur noch eines äußeren Anlasses. Den gab die Aussicht auf den Erwerb einiger Taler; vielleicht auch die Furcht, daß die schlimmen Reden des X über die Gottfried auf die Meyerholtz einen üblen Eindruck gemacht haben könnten.
Nach so vielen Vergiftungsgeschichten, aus denen wir die Verfahrungsart der Gottfried kennen, mögen wir СКАЧАТЬ