Название: Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder
Автор: Alexis Willibald
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027219490
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Das errungene Geld ward sofort angewendet, um sich in den Augen der alten und wackeren Eltern Zimmermanns einen Schein von Wohlhabenheit und Reichtum zu geben, der sie als eine gute Partie erscheinen ließ. Nun wurde das Versprechen, welches sie Gottfried gegeben haben wollte, nicht wieder zu heiraten, als letzte Schanze gegen den Stürmenden aufgestellt, wobei er einiges Blut lassen sollte. Sie hatte gerade zweihundert Taler Schulden zu bezahlen. Mit Freuden streckte Zimmermann, der die Angelegenheit als einen Prüfstein seiner Liebe ansah, das Geld der reichen Frau vor. Auch als des seligen Gottfrieds Prinzipal sie um die Rückzahlung der sechshundert Taler anging, war Zimmermann aus denselben Gründen gern bereit, das Geld vorzuschießen. Sie fiel ihm darauf um den Hals, und der Bund war geschlossen.
Dies war der dritte bare Vorteil. Sie benutzte das Verlöbnis aber auch, um sich mit ihrer Freundin Maria Heckendorf auszusöhnen, die ihr den Umgang mit X nicht hatte vergeben wollen. Was konnte die Heckendorf nun aber dagegen sagen, als ihre Freundin die Braut eines Mannes wurde, der, wie jene versicherte, nichts lieber als die »Stunden der Andacht« las und der fromme Eltern hatte, mit denen wieder zum heiligen Abendmahl zu gehen die Gottfried sich freute.
So schien, wenn nicht alles, so doch vieles, was sie gewünscht hatte, erreicht, als Freundeseinflüsterungen den Bräutigam dringend vor der einzugehenden Ehe warnten. Man machte auf ihre gefahrbringende Nähe, auf das Verhältnis mit X aufmerksam, und die Gottfried befürchtete mit Grund, daß er wanke. Mit schneller und wohlberechneter Entschlossenheit spielte sie jetzt die durch Mitteilung der Nachreden zu ungunsten ihres Rufes tief Verletzte, erklärte sich weinend für ein Opfer der dunklen, unerforschlichen Wege der Vorsehung und entschlossen, keinen Glücklicheren mehr an ihr unglückliches Los zu knüpfen. Sie wollte zurücktreten. Natürlich wollte der wackere Zimmermann nun nichts davon wissen. Es kam wieder zur Vereinigung; aber die Gottfried zog den richtigen Schluß, wer sich einmal überreden lasse, könne es auch ein zweites Mal. Zimmermann konnte von ihren großen Schulden an X hören, er konnte, erschreckt, zurücktreten und seine eigenen Darlehen zurückfordern. Dies mußte verhütet, ihre bisher errungenen Vorteile mußten gesichert werden; darum dachte sie daran, ihn mit Mäusebutter zu vergiften. Sie hatte nämlich einige Tage zuvor solches in den Zeitungen zum Verkauf ausgebotcn gelesen und sogleich die Neugier empfunden, ob dies wohl auch wie Arsenik auf Menschen wirke, und sich deshalb durch ihre Beta eine Kruke davon holen lassen.
Sich noch mit diesem Verlobten auf dessen Totenbette ehelich verbinden zu lassen, kam ihr nicht in den Sinn. Er hatte zu wenig wirkliches Vermögen, und die Täuschung bei der Verheiratung mit Gottfried war ihr noch zu erinnerlich; auch hätte eine Wiederholung der Geschichte bedenkliche Gerüchte erzeugen können. Sie wollte ihn nur einfach vergiften und bei der Gelegenheit sehen, was diese Vergiftungsprozedur etwa noch für sie abwürfe.
Zimmermann sollte indessen keines schnellen Todes sterben. Teils hätte das neuen Verdacht erregen können, teils hatte sie sich auf die Rolle präpariert, während einer langen schmerzlichen Krankheit ihn mit aufopfernder Liebe und Treue zu pflegen. Dabei konnten Vermächtnisse für sie abfallen, welche der durch Erfahrung Gewitzigten lieber waren als ganze Erbschaften. Er erhielt daher gegen Ende April 1823 nur eine mäßige Portion Mäusebutter auf Zwieback.
Um diese Zeit erhielt aber auch ihre Freundin Marie Heckendorf eine ziemliche Portion, weil diese sich zu vorlaut und eindringlich über das Verhältnis zu X geäußert hatte, vielleicht auch, um sie von Besuchen bei der Gottfried abzuhalten, während diese ihre ganze Geisteskraft an Zimmermanns Krankenbette aufbieten mußte. Endlich gab es auch erwünschte Gelegenheit, an deren Krankenlager zu beweisen, wie sie sich einer Freundin annehme, die gegen sie vor aller Welt gesprochen hatte.
Das Mäusegift wirkte sehr schnell bei beiden Personen. Die unglückliche Marie erkrankte sehr heftig. Aber das Gift, das hier nicht wiederholt beigebracht wurde, bewirkte nur bei der in bedrängten Verhältnissen und von ihrer Hände Arbeit Lebenden eine Lähmung der Hände und Füße. Im übrigen siegte ihre starke Leibesbeschaffenheit über das Gift, und sie blieb am Leben.
Auch Zimmermanns starke Gesundheit widerstand länger den Angriffen. Nach acht Tagen konnte er sich schon wieder aufrichten und die Verlobte durch einen Besuch überraschen. Da mußte sie ihn ernsthafter anfassen. Er erhielt ein gebratenes Küchlein mit Pflaumen: die neue Vergiftung ließ ihn nicht wieder aufkommen. »Willst du Erbin meines Vermögens sein?« fragte der Todkranke die Gottfried nach ihrer eigenen Angabe Sie erinnerte ihn an seinen Bruder. Er antwortete nun: »So sollst du, was ich dir gegeben habe, als Geschenk annehmen; aber versprich mir, daß du gleich nach Hannover reisen willst zu deinem Cousin. Denn wenn ich tot bin, was wollen die Leute mit dir machen?« Diese Warnung scheint wirklich aus liebender Besorgnis erfolgt zu sein. Zimmermann kannte die ungünstigen Gerüchte, die unter einigen über seine Braut umgingen, und war doch zauberartig von ihren Blicken und Worten gefesselt.
Am 1. Juni 1823 gab Zimmermann unter entsetzlichen Beängstigungen seinen Geist auf. Der Schmerz seiner Braut erschien natürlich grenzenlos, und jetzt war es, wo sie, um ihn ertragen zu können, »denjenigen Prediger ihres Kirchspiels, welcher die meisten Zuhörer hatte«, um eine öffentliche Fürbitte für sie ersuchte, Man erfuhr erst später, daß diese Fürbitte von ihr angeregt worden war, damals erregte die Sache wirklich nur Mitleid, aber nicht den geringsten Argwohn.
Zweihundert und dann sechzig Taler und das allgemeine Mitleid waren der bare Ertrag dieser Vergiftung. Zudem besorgte die Gottfried den Ausverkauf des Zimmermannschen Modewarenlagers, angeblich zur Zerstreuung und auf Wunsch der Erben und Verwandten. Außer daß die treuherzigen Erben ihr willig noch mehr gezahlt hatten, als das mündliche Vermächtnis des Bräutigams bestimmt hatte, machte sie noch bei diesem Ausverkauf für sich Geschäfte. Die schöne, reizende, von so wunderbarem Unglück verfolgte Witwe, die am Ladentisch als Ausverkäuferin stand, muß aller Wahrscheinlichkeit nach noch einen bedeutenden Zulauf von Käufern und Käuferinnen veranlaßt haben, und sie schlug dabei eine nicht unbedeutende Summe für sich heraus.
Mit der gewonnenen Beute ging sie auf eine Zerstreuungsreise nach Hannover, wo die liebenswürdige Witwe, von einem väterlichen Verwandten empfangen, abermals in Kreise geriet, die, weit über ihre Sphäre in Bremen, ihrer Eitelkeit aufs äußerste schmeichelten. Verwandte und Freunde suchten alles hervor, ihr den Aufenthalt angenehm zu machen, und das sanfte, geschmeidige, gemütliche Wesen der Verbrecherin, verbunden mit ihrer glänzenden Toilette aus Zimmermanns Lager, verschaffte ihr überall Zuneigung und das Ansehen einer Dame von Stand. Sie war unerschöpflich in solchen Erfindungen, Erzählungen und Liebesbeweisen, welche die Zuneigung zu ihrer Person vermehren mußten; aber in ihren Briefen nach Hause erfand sie über das wirklich Erfahrene noch manches hinzu, um auch in Bremen dadurch ihren Kredit zu erhöhen.
Ihr Cousin Temme, im Hause des Herzogs von Cambridge, mußte bei dessen Rückkehr aus dem Palais von Monplaisir, welches er interimistisch bewohnt hatte, in seine Stadtwohnung ziehen. Da diese zu klein war, schätzte es ein Freund desselben, Herr Kleine, ein wohlhabender Beamter, für eine Ehre, die kindlich-naive, heitere, lustige, lebensfrohe, sanfte, gefühlvolle Frau, die ihre nach solchen Schicksalen so natürliche Schwermut der Gesellschaft wegen auf so liebenswürdige Weise zu bewältigen wußte, vornehm, freigebig und immer die Liebe und Güte selbst war, in seine größere Wohnung aufzunehmen. Man freute sich, wie die Musik die Leidende erweichen konnte. Als ein junger Mann die Arie sang:
Eingehüllt in Dunkel sind die Wege,
Gott, die du uns führst!
war sie von der tiefsten Wehmut ergriffen, und wollte kein tröstlicheres Lied gehört haben, keines, das so auf ihr Schicksal paßte; sie bat um eine Abschrift, die man ihr später nach Bremen nachschickte.
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