Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ mit geschlossenen Augen da. Auf kurze Augenblicke öffnete er die wulstigen Lider und blinzelte umher. Nach beendeter Mahlzeit schnurrte er vor Behagen wie ein Kater.

      Durch nichts belohnte er Kathens sorgsame Pflege. Nein, er wurde immer häßlicher. Der moderweiße Flaum über dem ganzen Körper war dichter geworden. Sein Kopf bedeckte sich mit einem Haarbusch, dessen Strähnen über die Stirn hinwuchsen. Das Mädchen sah den Kobold oft furchtsam von der Seite an und dachte mit Schrecken des Augenblicks, da sie ihn in die Arme der Schwägerin würde legen müssen.

      Unter allen nur erdenklichen Kniffen hielt sie Marie hin, deren mütterliches Verlangen mit der Zunahme der Kräfte immer hartnackiger wurde und durch allerhand kleine Listen sich den Anblick des Kindes zu verschaffen suchte. Als letzte Gründe, wenn der Vorrat der Ausflüchte erschöpft war, führte Kathe die Schwäche Maries und das ausdrückliche Verbot der Hebamme ins Treffen und erreichte damit immer die Beruhigung der Aufgeregten, die dann alle Stunden nach Nahrung verlangte, um sich schneller zu kräftigen und so die Tage der marternden Sehnsucht abzukürzen.

      Man hatte in letzter Zeit das bevorstehende Weihnachtsfest als den Tag festgesetzt, an welchem Marie das erstemal aufstehn und zu dem Knaben geführt werden sollte. So war von nichts anderem als von der Feier dieses Heiligen Abends die Rede, wie man die Stube schmücken wolle, den Christbaum, das Kind, und ob der Kleine wohl schon nach den Lichtern sehen würde. Nach solchen Gesprächen lag dann die junge Mutter mit glückumwölkten, feuchten Augen, ihre Lippen redeten verzückte Worte, und die seligste Freude rötete ihre Wangen. Daneben hatte sie beunruhigende, schreckhafte Träume und verlangte nach dem Erwachen angstvoll den Knaben zu sehen. Versagte es ihr Kathe, so wich tiefe Trauer stundenlang nicht von ihr. Das Mädchen erkannte, daß sie nun nicht mehr lange widerstehen durfte, und machte ihr die Hoffnung, durch ein gutes Wort bei der Frau Klesse eine Abkürzung der Trennung um Tage zu erwirken.

      Doch wir Menschen halten immer nur die Fäden in den Händen, das Schicksal aber webt, wie es will, und der Tag, an dem die sehnsüchtige Mutter zu ihrem Kinde hinlief, kam über die Schwelle, ohne daß Kathe ihn erkannte.

      Sie stand am Bette Maries und nahm die geleerten Teller fort. Das junge Weib sank lächelnd zurück und begann von dem Knaben zu sprechen.

      »Lacht er'n schon?« fragte sie.

      »Nu, er fängt jetze an. Wenn ich'n streichel, da rafft er schon manchmal an den Lippen.«

      »Wem is er'n ähnlich?«

      »Das... du weeßt ja, das sieht ma bei dem Alter noch nich genug.«

      »Aber die Augen.«

      »Nee, ich sag nischte. Du wirst ja sehn.«

      »Jetze! Du, allerliebste Kathe, tu mir den Gefallen!«

      Das Mädchen schüttelte ernst den Kopf.

      »Marie, blei liegen, 's sein doch bloß noch Stunden. Er leeft dr ja nich fort.«

      Marie streifte die Decke von ihren Armen, die sich schon rundeten, und hob sie triumphierend in die Höh':

      »Siehch och, nich aushalten! – Kathe!«

      Dann faltete sie die Hände und sah sie mit Augen am, in denen man ihre kniende Seele schaute.

      Das Mädchen stellte den Teller auf den Stuhl und beugte sich im Schmerz ihres Mitleids über die arme Mutter:

      »Mariela, gell, wart och noch a bissel. Siehch och, de Klessen muß doch erscht kommen.«

      Sie küßte sie, und wider Willen traten ihr Tränen in die Augen. Voll Sorge drückte sie ihr Gesicht seitwärts in die Kissen, um die Verräter des Elends zu verbergen. Aber wie ihre Stirn sich hinschob, mußte ein heißer Tropfen auf das Gesicht Maries gefallen sein. In hartem Stoß schob die beängstigte Mutter die Weinende von sich und sah ihr scharf ins Gesicht.

      »Kathe... Kathe!... warum... warum flerrst du denn? fragte sie dann stockend, überlegte einen Augenblick und fuhr dann dumpf fort:

      »Denkt ihr denn, ich seh' nich das und jes eim Tage und ei der Nacht Dinger, daß mir de Haare ge Berge gehn un mei Herze sich harte knüllt wie ein Steen! du! Hach! Wenn ich mein Gott nicht hätt', vo dem ich mehr weeß wie ihr alle... Kathe, sag du's ruhg, mir schadt nischt, mich hat mei lieber Herrgott richtig of d'r Hand.«

      Kathe hatte schon die Tränen aus den Augen gerissen und lachte rührend:

      »Mariela, da soll eem nich weech ums Herze wern, wenn eene Mutter a so um ihr Kind betteln muß. Siehch, wegen mir hättst's schon lange. Aber was tät's nutzen? 's wür dich packen, daß dich's mitnähm. Wer weeß denn? Nach, und was sollte denn das arme, liebe Jüngel ohne Mutter?«

      Eine Weile lag Marie und sah mit großen, blicklosen Augen, indessen es an ihre Seele griff mit den tiefen, verschwommenen Lauten eines fernen, unruhigen Wassers.

      Mit tiefem Atemzuge schüttelte sie es ab, streckte den Arm aus und preßte Kathes Hand mit innigem, dankbarem Drucke:

      »Du hast recht, was wär' mei Jüngel ohne mich! Siehch, ich wer nischt nie meh sagen, 's wird wohl kommen. – Ach, und wenn ich gesund bin... 's wird alles wieder wern, denn siehch, dr Himmel is mei Zeuge, wenn's mir nachgegangen wär'... was red' ich denn? – Geh und sing' mr a Wiegenliedel: ›Heia popeia Windelkind‹ oder ›Schlaf, Herzenssöhnchen, mein Liebling bist du‹. Du hast noch nich eemal gesungen.«

      Kathe ging.

      Bald darauf schwangen die Bogen der Wiege, man hatte den Knaben seit Tagen aus dem Korb genommen, knarrend über die Diele. Das Mädchen sang dazu leise, mit leidbebendem Munde. Der verhaltene Schmerz verlieh den Tönen eine ergreifende Tiefe. Endlich zerfloß das Lied in der Stille, und Kathe schlich leise in den Schuppen, um Holz zu holen. Das Einklinken der Tür störte Marie aus ihrer seligen Versunkenheit. Sie wandte den Kopf. Das Lied verstummt. Die Stube leer. Die Uhr pickte in die Stille: »Komm, komm, komm, komm.« Lockend wie ein silbernes Stimmchen.

      Da übermannte sie die Sehnsucht nach ihrem Kinde. Der Wind mummelte im Schnee draußen dumpfe Drohungen. Aber Marie fühlte sich aufgehoben. Schon berührten ihre Füße den Boden. Ihre Augen maßen die Entfernung bis zur Wiege. Sie stand bebend am Ofen. Ein weißes Linnen lag über das schlafende Kind. Einen Augenblick dachte sie noch an Kathe, die durch ihren ungehorsam beleidigt sein werde.

      Aber nur einen Blick darauf werfen! Nur einen einzigen Kuß! Und hob das Linnen. Schnell, schnell! Kathes Schritte!

      Einen Kuß...

      Sie erblickte den Wechselbalg, riß das Linnen in den Mund und brach stumm zusammen. –

      Kathe fand einen Menschenleib neben der Wiege, starr, langhinliegend, auseinandergereckt von der Folter des Elends. Sie faßte Marie in den Achselhöhlen und schleifte sie über die Schwelle. Die Fersen schlugen wie totes Holz auf. Dann lag die Fühllose endlich auf ihrem Lager. Aber das Linnen ließ sie nicht los aus ihren kalten Fäusten, zwischen den zusammengebissenen Zähnen.

      »Das wird dei Tod sein, armes Weib«, sprach Kathe tonlos.

      In ihrer Hilflosigkeit kniete sie neben das Bett und betete.

      Da schlug Marie die Augen auf, riß mit einem Ruck das Linnen aus dem Munde und starrte verständnislos darauf. Dann sah sie mit stierem Blick auf Kathe.

      »Was soll nu das Beten, hahaha!!!«

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