Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
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»Herr Staatsmann oder wie Se heeßen«, antwortete sie fest, »da drinne. Aber gehn Sie nich nei. Die sterbt, ich kann Ihn sagen, die sterbt.«
Drohend vertrat sie ihm den Weg in die Schlafkammer.
Man drängte sie zur Seite. Aber entschlossen, zur Hilfe Maries das äußerste zu wagen, folgte sie den Hineinschreitenden auf dem Fuße.
Von den polternden Schritten war Marie aufgewacht. Sie öffnete die Augen unnatürlich weit und versuchte zu lächeln.
Man fragte sie viel.
Ihr Gesicht wurde starrer, blasser. Die Hände auf dem Bett schlössen sich. Ihr Mund schwieg.
Da kniff sich der Staatsanwalt das Glas fester ins Auge, beugte sich nahe an ihr Ohr und fragte ganz laut und langsam:
»Haben Sie mit dem Schuster Klose in einem unerlaubten Verhältnis gestanden?«
Die Kranke rührte sich nicht. Endlich, lange danach, stöhnte sie fast unhörbar: »Dr Schuster... d... e...r Schus...«, ihre Augensterne hingen schreckhaft in den Höhlen. Dann sanken die langen Wimpern langsam darüber hin, das Elend barmherzig bedeckend. Denzel strich sich mit zitternder Hand durch den Bart.
Der Amtsvorsteher schüttelte sich die Kopfschuppen vom Rockkragen und wandte sich bleichen Gesichts der Türe zu. Der Sanitätsrat bemühte sich um die Arme und erklärte, daß nichts zu machen sei. Die Frau habe aus Schwäche und wegen Blutverlustes einen tiefen Ohnmachtsanfall; Gefahr für ihr Leben sei indes nicht »vorliegend«.
Darauf traten alle wieder über die Schwelle in die Stube, und der Staatsanwalt rief Kathe an den Tisch.
»Wissen Sie, ob Ihre Schwägerin in verbotenem Verkehr mit dem Schuhmacher August Klose aus Steindorf gestanden hat?« fragte er sie, ein beschmutztes Papier auf dem Tische entfaltend und vorsichtig die unzähligen Knitter desselben niederstreichend.
Kathe hatte sich indessen von ihrem Schrecken erholt und verneinte.
Ob sie die Schrift des Schuhmachers zufällig kenne, drang der Staatsanwalt weiter in sie, und als sie erwiderte, daß ihr außer einer Rechnung nichts von seiner Hand zu Gesicht gekommen sei, schob er ihr den verdrückten Fetzen hin und forderte sie auf zu lesen, was auf diesem Papier stehe, das man in der Westentasche des Toten gefunden habe.
Sie wollte es näher an sich ziehen, aber die weißen Hände des Beamten ließen nicht los. Der vergriffene Zettel war mit lauter großen Buchstaben bedeckt, die zum großen Teile verlaufen waren. Mit vieler Mühe entzifferte sie endlich die Worte: »... lerliebste Marie – mein Leben... gehe zugrunde... Liebe zu dir... doch... Aug... Klose.« Als sie das gelesen hatte, fühlte sie den Boden unter ihren Füßen wogen. Sie stützte sich, um nicht umzufallen, mit steifen Armen auf den Tisch.
»Das is nich wahr!« schrie sie dann überlaut, und da der Staatsanwalt milde noch weiter in sie drang, doch ja der Wahrheit die Ehre zu geben, erwiderte sie ein paarmal dumpf: »Nischt... Nischt... Nischt«, und verharrte mit starren, gebannten Augen, vornübergestützt wie einer, der mit Grausen in eine schwindelnde Tiefe blickt.
Die Männer erhoben sich unter erregter Unterhaltung und verließen die Stube. Kathe ging, ihrer Grüße nicht achtend, und ließ sich auf die Bank fallen.
Das beißende Weißlicht der Wintersonne fiel durch das Fenster neben ihr.
Sie erhob die Augen gegen den Glast.
Da sah sie ihren Bruder davonfahren, den Kopf tief in die Brust geduckt, zusammengekauert.
Bis das Wispern des entfernten Schellengeklingels in der Stille untergegangen war, starrte sie in das kalte Licht. Dann erhob sie sich unter gewaltsamem Auffahren und trat in die Schlafkammer.
Marie lag mit offenen Augen da, achtete ihrer nicht, sondern fuhr in Versunkenheit fort, mit dem Zeigefinger der Rechten die Knöchel der andern Hand zu betupfen, als gelte es, Unfaßbares zusammenzuzählen. Endlich winkte sie Kathe zu sich und gab ihr einen langen Kuß auf die Stirn, dann bat sie mit erschöpfter Stimme, ihren Knaben wieder so zu stellen, daß sie ihn durch die offne Tür sehen könne, und lag da und verwandte kein Auge von dem Körbchen.
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Wir können uns gegenseitig nicht helfen. Die natürlichste Bemühung um das Wohl anderer besteht in dem ehrlichen Streben nach dem Besten unseres Lebens.
Marie lag und schwieg. Niemand sagte sie von den Vorgängen in ihrer Seele. Auch Kathe berührte mit keinem Wort das Unglück des Hauses. Die Aussprache der beiden, die wie ausgeschlossen in der Waldeinsamkeit hausten, bestand in einem tiefen Blick, einer Gebärde, einem Kuß, einem Handdruck. Maries Genesung setzte unverkennbar ein, und auch Kathe sank tiefer in ihr Leben, als endlich die letzte grauenvolle Beängstigung von ihr genommen und der schwarze Sarg mit den leiblichen Überresten des Schusters aus dem Höfchen geholt worden war.
Es erfüllte sie Kraft und sogar eine Art frohen Mutes. Alle Geschäfte glitten ihr glatt durch die Hände, und wenn ihr Bruder Joseph kam, so spannen sich die Fäden geheimen Hoffens weiter. Der Gute traute sich nun schon vorsichtig auf den Zehen in die Stube, während er in den Tagen des schwersten Dranges nach einigen flüchtigen Worten in der Hausflur mit ermutigendem Handschlag von ihr gegangen war, den Weg um die Scheuer nehmend, damit das arme Weib bei seinem Anblick nicht an frühere, bessere Zeiten erinnert würde. Er sah wenigstens einmal in der Woche »zum Rechten«. Wenn die beiden Geschwister gründlich die Führung des Hauswesens beraten hatten, saßen sie eine Weile still beieinander, bis Joseph den Kopf hob und schalkhaft lächelnd schöne Grüße »vo eem justen Menschen« an Kathe ausrichtete, der ihm zufällig auf dem Wege begegnet sei. Einigemal hatte sich wirklich Schreiber Seffe, der Sohn des Nachbars, um Kathe erkundigt, und nun überbrachte der Gute auch unaufgetragene Botschaften, um seiner Schwester eine Freude zu machen in diesen trostlosen Wochen. In dem Geplänkel, das die Verschämtheit des Mädchens dann hervorbrachte, konnte er auch von der glücklichen Wendung seines langjährigen Liebeshandels sprechen. Er hatte nun doch den Mut gefunden, um das Rollinger Mädchen anzuhalten. Zwar bedrückte es ihn gar sehr, daß alles zu seinem Unglück ausschlagen könne, weil die Werbung auf den Tag der Auffindung des Schusters gefallen war, aber die zwei frommen Menschen beruhigten sich bald bei dem Gedanken an ihre Schuldlosigkeit und Gottes Gerechtigkeit. Wenn Joseph aber nach allem dennoch immer Zweifel an der Berechtigung zur Liebe inmitten eines so schweren Schicksals äußerte, so machte ihn Kathe darauf aufmerksam, daß beide diese Liebe nicht gesucht hätten, daß sie vielmehr als ein Fingerzeig gnadenreicher Fügung zu betrachten sei, bei der unglücklichen Schwägerin in Mitleid auszuharren, und so schieden sie allemal mit dem gegenseitigen Versprechen, alles der Vorsehung anheimzustellen und indessen nichts zu versäumen in Stall und Stube, in Scheune und Schuppen.
Ging Kathe nach dieser langen Abwesenheit zu Marie in die Schlafkammer, so sah die Kranke das Mädchen unter Kopfnicken mit einem bitteren Lächeln an, als wolle sie sagen: Ich nehme dir's nicht übel. Kein Drängen aber vermochte sie zu einer Erklärung dieses Gebarens zu bringen, sie bat nur, man möge doch ja die Tür offenlassen, damit sie ihr Kind mit den Augen besuchen könne.
Das hatte man in aller Stille taufen lassen, nachdem von der jungen Mutter durch List sein Name erkundet worden war. Die Hebamme hatte dazu geraten, weil zu erwarten stand, daß das heilige Sakrament der Taufe einen heilsamen Einfluß auf die Seele und das Leben des Kleinen ausüben würde.
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