Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ gefolterte Weib da drinnen über sich zwang.

      Als das erste Dämmern des Morgens in die Nacht schwamm, war der harte Wille der Todbereiten doch gebrochen, und mit der letzten Kraft schrie sie nach dem Leben.

      Die Betenden eilten mit einem Licht hinzu und sahen Marie, zu einem Knoten zusammengezogen, mit irren Bewegungen gegen ihr Dasein ringen, während der Mund unter unartikulierten Lauten schlürfende Bewegungen machte.

      »Schnell, mach Suppe warm; schnell, schnell! Mir wern's noch amal versuchen!« drängte Joseph.

      Und als er ihren Kopf gehoben und Kathe den Löffel den Lippen nahe brachte, stieß sie Rufe wie ein hungriges Tier aus und drängte nach der Nahrung hin.

      Während sie aß, weinte sie, stammelte Dankesworte und Verwünschungen, warf sich zurück und keuchte empor. Alles, weil sie einsah, daß sie dem Leben unterlegen war.

      Dann sank der Tag vom Dache.

      Joseph ging heim.

      Kathe sah ihm dankbar nach.

      Über Marie war der Schlaf gekommen und wiegte sie auf seinen tiefen, stummen Gewässern dem Leben entgegen. Sie ertrug es mit einem gramvollen Lächeln, das von ihrem Gesichte nicht wich.

      –

      Langsam genas sie. Anfangs aß sie noch oft mit Widerstreben. Bald aber rief sie mit einer marklosen, verschleierten Stimme nach Nahrung und ertrug ohne Zeichen des Schmerzes das Licht der Sonne.

      Sonst blickte sie an allem gleichgültig vorbei und fragte nach nichts Gegenwärtigem, nach nichts Vergangenem.

      Ihr Antlitz war in seiner gleichmäßigen Blässe so regelmäßig, in den tiefen Malen des überstandenen Elends so feierlich-regungslos; ihr Auge so still und klar, doch so ganz des lebendigen Schimmers bar; das pochend Heiße so vollständig aus jeder ihrer Gesten getilgt, daß es Kathe oft vorkam, sie sehe eine unbegreifliche Erscheinung auf einem einsamen Steine, fern von allen Menschen sitzen, bei denen sie einst gewohnt, mit denen sie gelebt, gelacht, gelitten und geweint hatte, der nun aber alle Erinnerung an das frühere Dasein vollkommen abhanden gekommen war; deren Augen nun anders sahen, deren Seele anderes sann, deren Herz nach anderem verlangte.

      Sie führte innen ein gar reges Leben.

      Wenn sie, im Bett sitzend, ihre Mahlzeit eingenommen hatte, verharrte sie wohl eine lange Weile in ratloser Starrheit und blickte bitter irgendwohin, wie ein Mensch zu tun pflegt, den Reue über den aussichtslosen Kampf gegen eingebürgerte Fehler erfüllt. Dann öffneten sich die Lider der leisen Augen weit, als gelte es, ein Unfaßbares zu umspannen, ein Unendliches als Speise in sich aufzunehmen.

      Dieses Fernhinschauen nahm sie zuzeiten so gefangen, daß sie auf alles andere vergaß. Dann ließ sie die gereichten Mahlzeiten kalt werden. Kehrte Kathe nach einiger Zeit wieder, um das Geschirr zu holen, so fand sie die Speise unberührt.

      »Nu, Marie!«, iß och!« mahnte sie.

      »Iß«, entgegnete die Heimgesuchte mit leiser, vibrierender Stimme, »essen, immer essen. Aus Schüsseln ißt das Unglücke, aus Gläsern trinkt das Elende. Essen, essen. – Mensch sein... wie ein dürrer Halmen zerdreht wern... essen und immer essen, mehr wißt ihr nich, ihr Menschen.«

      Und von der Höhe, zu der sie ihren Blick gewandt hatte, ließ sie ihn achtlos an Kathe vorbeisinken und sah, verstummend, wieder in jene Fernen.

      Auch Joseph, den Kathe hatte herbeirufen lassen, brachte aus dem geprüften Weibe »nichts Richtiges« heraus. Sie redete auch in sein Gesicht losgelöste, verschlagene Worte, die seine Seele nicht zu fassen vermochte.

      »Nach, was is das?« fragte ihn die Schwester, als sie wieder in das Wohnzimmer zurückgekehrt waren.

      Der stille Mensch sah bekümmert ins Leere, zuckte die Achseln und fuhr sich seufzend über die Stirn hin. Das Mädchen glaubte, er wolle damit sagen, Marie sei verrückt geworden, fragte aber der Sicherheit halber noch einmal: »Ja du meenst, se zwirnt doppelt, was?«

      »Das eigentlich grade noch nich, Kathe, das – noch nich. Aber 's kann wern. Denn wo haste du solches gelesen und ich – und auch die, die Marie? Das klingt wie der Wind, wie's fließniche Wasser, wie wenn's eim Pusche wiehlt, 's dergreift ees, aber verstehn tut's kee Mensch.«

      »Paß mr uf, Kathe«, begann er wieder nach langem Überlegen, »solche trägt dr Geist, wohl se nich sollen. Lach' nich, oder mit stillem Munde tun se, vr dem andern ei dr Seele graut. Paß mr gut uf of se.«

      23

       Inhaltsverzeichnis

      Während sich alles dieses ereignete, nahm der Prozeß gegen den Klumpen seinen Fortgang. Der Staatsanwalt hatte genügend Momente gefunden, gegen ihn die Untersuchung wegen Mordes, begangen an dem Schuster August Klose, einzuleiten. Eine Menge Vernehmungen hatten schon stattgefunden. Die ganze Angelegenheit war durch sie eher verwirrt als geklärt worden. Nichts wies auf ein Verhältnis, das zwischen Marie und dem unglücklichen Schuhmacher bestanden hatte und nach der Ansicht des Staatsanwaltes die Veranlassung zu der verbrecherischen Tat des Lahmen gewesen sein mußte. Der Angeklagte hatte sich von seiner Niedergeschlagenheit erholt und benahm sich bei seinen häufigen Vernehmungen sehr verschieden. Bald verharrte er in einem Schweigen, das dem Hohne gleichkam, bald gab er lang und breit eine Geschichte zum besten, die offenbar aus Wahrem und Falschem gemischt war. Immer aber zeigte er sich bereit, hundert heilige Eide zu schwören, dem Schuster kein Haar gekrümmt zu haben. Einmal versuchte der Staatsanwalt die Tat des Klumpen so zu erklären, daß der Schuster als Zeuge des Grenzfrevels beseitigt worden sei. Je weiter er aber diese Annahme durchführte, zu um so größeren Widersprüchen mit den festgestellten Tatsachen gelangte man, und es erwiesen sich alle bisherigen Feststellungen als sehr problematisch, wenn man die Behandlung des Rechtsfalles nach dieser Seite hin vorgenommen hätte. Der Untersuchungsrichter überzeugte sich endlich, was er übrigens von Anfang an für wahrscheinlich gehalten hatte, daß der Vater dieser Kombination, ein junger Assessor, denn doch mehr Eitelkeit als juristisches Denken besaß, um in einem solchen Wirrsal von Möglichkeiten gleich auf der richtigen Fährte anzuschlagen, sich gründlich geirrt hatte. So kam es, daß man nach einem Umschweif von Wochen mit aller Entschiedenheit sich wieder auf das erste Geleise einfuhr und die sträflichen Beziehungen des jungen Weibes zu dem verlumpten Schuster als Drehpunkt des ganzen Dramas ansah. Dazu kamen noch die schwankenden Aussagen des Angeklagten darüber. Nicht als ob er sein Weib bezichtigt hätte, nein, er erging sich nur in Verwünschungen gegen seinen Freund, den Schuster, und erzählte dann Episoden, die auf einen tiefen ehelichen Zwiespalt schließen ließen. Aus dieser Position war der Lahme durch keine List herauszubringen.

      Die Hauptbelastungszeugin Marie konnte wegen ihres Zustandes nicht verhört werden.

      Endlich berichtete der Amtsvorsteher Hoffmann, »daß ihrer Vernehmung keinerlei sanitäre Bedenken mehr im Wege ständen«, und die Personen, welche Kathe schon bekannt waren, traten eines Tages in die Stube des einsamen Hauses am Freibusch. Der Hastige, mit dem Luchsauge hinter dem Monokel, fragte sie nach Marie, während der Hinkende die Akten auf den Tisch legte und der Major Hoffmann die hölzernen Rehköpfchen an der Wand besah.

      Kathe antwortete befangen, ihre Schwägerin sei zwar gesünder, liege aber noch im Bett drin in der Schlafkammer. Man öffnete die Tür, überzeugte sich, daß der Raum ungemein eng sei, und stellte den Tisch und die Stühle im Wohnzimmer nahe am Eingang auf.

      Das СКАЧАТЬ