Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
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»Warum nicken Sie?« fragte der Staatsanwalt, hob sich seinen Stuhl in den Schlafraum und nahm Platz.
»Weil ich mei Unglücke versteh'.«
Dieses und alles andere sprach die Arme mit sicherer, fester Stimme.
Die Amtshandlung begann mit den üblichen Fragen nach Name, Alter, Geburt, Bestrafung usw.
»Sie wissen, was ein Eid ist!« sprach der Staatsanwalt.
Sie lächelte geringschätzig und sagte dann:
»Nischt!«
Fassungslos sah der Frager den Amtsvorsteher an, der mit den Achseln zuckte, fuhr dann mit hartem Wort auf sie los, und als er auch damit das verächtliche Lächeln von diesem schönen, blassen Gesichte nicht vertreiben konnte, sprang er auf und redete in der Wohnstube gedämpft mit Kathe. Zurückgekehrt, lispelte er mit dem Amtsvorsteher. Die beiden Männer lehnten sich zurück und sahen Marie scharf und lange an.
»Aber die Augen, die Augen sind mir zu gesammelt«, murmelte dann der Staatsanwalt zu Hoffmann, der zustimmend nickte.
»Überhaupt das ganze Exterieur«, meinte der und strich sich bedeutsam den schwarzen Schnurrbart.
Marie tat, als ob niemand anwesend sei, und saß mit gesenktem Kopfe da, ohne sich zu rühren.
»Wie lange sind Sie mit Ihrem Mann verheiratet?«
Der Staatsanwalt nahm das unterbrochene Verhör wieder auf, ohne sie zu vereidigen.
»Gar nich.«
»So lebten Sie in wilder Ehe?«
»Ja, ja, eene wilde Ehe war's!«
»Aber«, fiel der Amtsvorsteher hastig in ihre Antwort, »Sie sind doch nachweislich standesamtlich und kirchlich getraut.«
Der Staatsanwalt berührte mit der Hand Hoffmanns Arm, zum Zeichen, daß er das Verhör leite. »Getraut«, begann Marie unter Kopfnicken leise, »nu ja, ja, ich ha'm g'traut. Dem wen'ger wie je'm, je'm. Wer traut, bindt de Menschen aneinander. A Verrücktes bindt een Vogel mit eem Steene zusammen. Seht, Ihr Mannsmer, das, was mr Gott genenn', kann das nich tun. Deswegen war ich nich verheiratet.«
»Aber, Frau Exner...«
»Ich heeß nich Exner un nich Marie, ich ha keen Namen mehr. Das is alls gewesen. Das liegt vr dr Tür wie dr Schnee, mit dem dr Wind spielt. Mei Leben, de größte Krankheit, die's hat, hab' ich überstanden, bin gesund un gestorben.«
»Ich bitte Sie, Frau Exner, wir glauben alle...«
»Ja, ich hab' auch gebitt; aber etze bitt ich nich mehr. Etze is mei Gesinne eene Säge und mei Zunge a Hammer. Ihr herza Mannsmer, wie de Knöchel eim Wirfelbecher, aso schmeißt's uns.«
Der Staatsanwalt sah den Amtsvorsteher Hoffmann mit einem Blick an, der sagte, die scheint tatsächlich verrückt zu sein. Dann hob er sich vorbei in die Wohnstube. Als er wieder eintrat, folgte ihm Kathe mit dem Wechselbalg auf dem Arme und stellte sich auf einen Wink an das untere Ende des Bettes, in dem Marie lag.
Kathe war verwirrt, überschüttete das Kind mit Liebkosungen und schob immer wieder den Gummipfropfen in seinen Mund, obwohl der kleine Unhold mit schrillem Schnurren dagegen protestierte.
Herr Hoffmann beugte sich zum Staatsanwalt hin:
»Ich begreife nicht, wo das hinaus soll.«
Der putzte mit dem Taschentuch sein Augenglas und murmelte:
»Ich geh' aufs Ganze.«
Dann wandte er sich an die Kranke und gab seiner rauhen Stimme einen freundlich-eindringenden Klang.
»Nun aber, Frau Exner, nehmen Sie Vernunft an. Dieses Kind ist also doch wohl der Ehe mit Ihrem Manne, Karl Exner, entsprossen?«
Bei all den Vorgängen hatte Marie in ihrer Stellung verharrt. Nur beim Eintritt Kathes war ihr Kopf noch etwas tiefer auf die Brust gesunken. Die Augen unverwandt auf die Hände gerichtet, saß sie wie geistesabwesend. Auch die Frage des Staatsanwalts schien spurlos an ihr vorübergegangen zu sein. Sie rührte sich nicht. Nur der Zeigefinger ihrer linken Hand fuhr auf dem Rücken der rechten suchend über die hervorstehenden Sehnen.
Dann nickte sie wie im Traume, und mit taumelnder Stimme fing sie an, eintönig zu reden:
»Vernunft... o je, ihr Menschen! De Ziege hat's Horn un dr Mensch de Vernunft. Was aber hilft dr Ziege 's Gestöße, wenn se dr Fleescher an a Strick nimmt, un was nutzt'm Menscha de Vernunft, wenn's übern kömmt wie ein Schlachtmesser! – de Augen hat ma zum Flerrn, de Seele zum Verzweifeln.«
Mit einem langen, seufzenden Atemzuge setzte sie aus und schwieg eine Weile, wie um Kraft zu sammeln.
Der Staatsanwalt sah, daß der Wahn sie noch immer beherrsche, erinnerte sich, in einem Aufsätze irgendwo gelesen zu haben, es sei das beste, im Verkehr mit Irren einen Anfall abzuwarten, und beschloß, Marie gewähren zu lassen, um in dem folgenden lichten Augenblick die notwendige Frage über ihr Verhältnis zum Schuster Klose zu erledigen. Er nickte dem armen Weibe ermunternd zu. Sie wandte ihm das Gesicht ein wenig hin und schaute ihn bei gesenktem Kopfe von unten her mit glänzenden Augen an, dann begann sie wieder mit schwebender Stimme:
»Und 's zweete: dieses Kind. Mann, bist du Vater, un lachen deine Kinder? Da biste eim Himmel. Denn wenn Kindla lachen, steht de Welt stille.«
In Verzückung geratend, warf sie den Kopf zurück und die Hände in die Höhe.
»Ach du mei allereenziges Mädla, mei Wackala, un wo bist du? Hörst du's nich, dei Mütterla ruft: wo, wo, wo? Dr Wind geht, de Sonne steht uf, wenn's Morgen is. Dr Vogel fliegt aus'm Neste. Wo aber wirst du ufstehen, wo gehn, wo fliegen?
Tot vor dr Geburt, gestorben vorm Leben, un warst scheen wie ne Rotfinke eim Frühjahre un wie a Star ei der erschten Brut.«
Das sprach sie singend wie einen Hymnus.
Wie sie aber die alte, müde Stellung einnahm und ihre Augen niedersanken, erblickte sie Kathe und den Knaben in deren Armen. Da ward ihr Gesicht noch bleicher, und den Leib schüttelte ein Schauer.
Plötzlich, tödliche Verzweiflung im Auge, traf sie in wirrer Wildheit Anstalten, wie sie war, aufzustehen.
Die Männer sprangen hinzu und beruhigten sie. »Ich geh', ich mach ein Ende«, murmelte sie fortwährend hinaufringend. »Wenn ihr den Vater in meinem Namen... haha... Vater... ein scheener Vater...«
Dann ward sie still; aber nur, um nach einigen Augenblicken schreiend aufzufahren:
»Oh, du verfluchter Glaube!« –
Stier redete sie fort:
»Wie der Kuckuck eim Pusche, aso rufste überall. Es ruft – ach, wie hat's mich geruft! Ich mach' mich uf, lauf'm nach, vom Wege, vo mei'm scheen Wage runter, über Stock un Steen, durch Löcher un reißniche Wasser, bis ich nich meh weeß, wohin noch her... un immer ruft's noch: Kuckuck... Kuckuck... Kuckuck...«
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