Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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      »Ja, du! Was brauchst du vorm Freirichter Angst zu haben wegen den Pappeln, und solche Zettel schreibste!«

      »Ich, een Zettel schreiben!«

      »Du hast den Zettel geschrieben: ›Zum Freirichter Exner‹, du, sonst niemand.«

      Da sprang das junge Weib auf und trat vor ihn hin.

      »Du bist mei Mann, und ich sollte dich schlecht machen?«

      »Dei Mann? Der Klumpen bin ich dr, über den du dich immer lustig gemacht hast. Ich bin kee Zaunpfahl, wenn de mich geschnitten hast, ich hab' wohl geblut't.«

      Nun sagte er den Grund seines Mißtrauens gegen Marie. Diese senkte schuldbelastet ihr Auge.

      Das stumme Geständnis eiferte den Zornigen noch mehr an.

      »Das haste all's getan!« schrie er. »Und jetze knieste hin und betest mir's Klagemütterla of a Hals! Runter mit der Tocke vom Brette, runter, bale räumste alles naus!«

      »Das bleit, das is mei Gott!«

      Marie trat dem Wütenden fest entgegen und breitete ihre Arme schützend aus.

      »Dei Teufel is!«

      Er stieß sie zur Seite, daß sie gegen den Ofen taumelte.

      »Ich bin Mutter, Karl«!« schrie sie und raffte sich von dem Falle wieder auf.

      Der Lahme aber ließ sich nicht hindern, ergriff seinen Knotenstock, sprang in die Ecke und hieb mit einem Schlage Eckbrett, Muttergottes, Engel und Lämpchen unter den Tisch.

      Nachdem er so die Mächte in Trümmer geschlagen hatte, mit denen sein Weib im stillen gegen ihn im Bunde war, redete er auf das leise Schluchzen in die Nacht hin: »Und daß ich das nich mehr seh' ei meiner Stube!« und kehrte in die Schlafkammer zurück.

      Marie rührte sich nicht auf der Ofenbank, wohin sie gesunken war.

      Sie hatte die Hände vor das Gesicht gepreßt, um nicht zu sehen, und heiße Tropfen quollen zwischen den Fingern hervor. Trotz einer wirbelnden Betäubung, die auf ihr lag, sah sie unverrückbar in der Finsternis vor sich eine häßliche, drohende Männergestalt mit langen, mageren Beinen, Armen, die bis weit über die Hüften hingen, einen unförmlichen Kopf, in dessen Gesichtsrunzeln blinzende Äuglein wie giftige Kröten krochen. Lange spärliche Haare hingen über hüglige Schläfen.

      Sie rang gegen das Bild des Lahmen, das ihre mißhandelten Nerven verzerrt vor sie hinstellten; aber hartnäckig schuf es die Phantasie von neuem, wenn es der Wille kaum unterdrückt hatte.

      Da glitt sie zu Boden auf ihre Knie und betete:

      »Ach du mei himmlischer Gott, zerschlagen liegste eim Staube; aber mei Herze trägt dich wie a linde Tüchla. Du strafst mich harte. Ich wollte Glücke und Geld und a gutes Leben; aber ich weeß wohl, durchs Elende kommt ma zur Freede. Zerbrich mich wie 'ne Schale, bloß über mei Kindla erbarm' dich.« –

      Dann rutschte sie unter den Tisch und sammelte die Muttergottesfigur und die Engel in ihre Schürze. Sie küßte jedes Stück. Darauf tastete sie sich vorsichtig zur Tür hinaus, über die Stiege, auf den Boden und vergrub sie in das Heu.

      Aber die verzerrte Männergestalt wich nicht aus der Finsternis vor ihr. Wie sie auch dagegen kämpfte, im Banne ihrer Häßlichkeit stehend, starrte ihr Geist immer darauf hin, und dieses geheimnisvolle Mark des Lebens, von dem alles ausgeht, prägte sich die Formen der Wahngestalt unter Qualen ein.

      Der würzige Duft des Heues betäubte endlich ihre Sinne, daß sie einschlief.

      13

       Inhaltsverzeichnis

      Exner ging einige Tage unter dem Einfluß, den das Erscheinen des Klagemütterchens auf ihn ausgeübt hatte, wie zerschlagen umher. Wenn er zur Arbeit schritt, so sagte er sich, es nutzt nichts, es geht alles verloren. Dann fiel ihm jede Bewegung schwer, als liege auf der Last, die er zu heben hatte, unsichtbar eine noch viel größere.

      Aber diese tiefe Mutlosigkeit hielt doch nicht lange bei ihm an. Sie verließ ihn bald, denn trotz der trüben Ahnungen wendete sich alles zum Besseren.

      Der Regen, auf den alles verzweifelt wartete, bereitete sich vor. Gewölk ballte sich über den Kämmen, aus den Löchern stieg Kühle. Die Sonne lag von dem langen Brande wie erschlafft in der Höhe; die Buchfinken stießen lange, klagende Rufe aus; die Schwalben schnellten dicht über der Erde hin, und als es endlich regnete, klang es allen wie das Kichern des Glücks.

      Dann wurde das Wetter wieder milder.

      Auch der Fortgang des Prozesses stimmte den Lahmen wieder zufriedener. Der Lokaltermin war ergebnislos verlaufen; man hatte keine Grenzsteine gefunden. Auch auf dem Katasteramte konnte man keinen Bescheid geben, weil seinerzeit auf der Flurkarte die Abtrennung der Exnerschen Parzelle von dem Freigute nicht vermerkt worden war.

      Das Gericht schlug den streitenden Parteien einen gütlichen Vergleich vor, nach welchem Exner die Steine auf die Mauer räumen und Wende auf die Schadloshaltung verzichten sollte. Die entstandenen Kosten waren von beiden zu gleichen Teilen zu tragen.

      Da kam man schön bei den Hartköpfen an. Wende lachte nur heiser, der Klumpen polterte von: Nicht einen Finger breit nachgeben; für immer ein Ende machen; nicht einen Dantus geben, und verließ die Versammlung.

      Nach einiger Zeit erhielt er ein gerichtliches Schreiben, worin er aufgefordert wurde, die ganze Steinmauer fortzuschaffen, da das Vorhandensein von Grenzmarkierungen unter dem Rodewalle durch Zeugen auf das entschiedenste behauptet werde. Es fand abermals ein Termin statt. Das Zeugnis der beiden alten Männer, welche von der Existenz der Grenzsteine wissen wollten, wurde von dem Rechtsanwalt Exners als befangen angefochten, weil sie Zeitarbeiter auf dem Freigute waren. Nach manchem Hin und Her übernahm endlich der Freirichter die Beseitigung der Mauer mit der ausdrücklichen Bedingung, daß Exner die Kosten dieser Arbeit tragen solle, wenn Grenzsteine unter dem Walle gefunden würden.

      Der Lahme stimmte sehr gern zu, denn er war sicher, daß man Beweise ehemaliger Grenzregulierung nicht finden würde, und hoffte schon im stillen, den schmalen Wiesenstreifen dann auch in Besitz nehmen zu können.

      Am meisten litt sein Weib unter dem Streit. Auch nachdem er sie ihres Gottes beraubt hatte, wurde er nicht sanfter. Allen Grimm, den er bei einer unangenehmen Wendung des Prozesses in sich aufsteigen fühlte und doch über die nicht ausschütten durfte, die ihn hervorgerufen hatten, ließ er an seinem Weibe aus. Sie mußte in der Nacht aufstehen, um Flur und Stube zu fegen. Er warf Teller und Schüsseln zu Boden, wenn ihm das Essen nicht mundete. Nun ging sie ihm zu gefirre, nun zu lahm, nun sollte sie lachen, nun nicht so mucksch tun. Bald trug sie das Haar zu städtisch, bald war sie zu bleich. Jeden Blick, jeden Schritt, der anders ausfiel, als er sich dachte, empfand er als Äußerung der Widerspenstigkeit, wozu sie wegen ihrer Machinationen gegen ihn doch wahrlich kein Recht hatte.

      Die Leute, denen das Schicksal Maries nicht verborgen blieb, schüttelten die Köpfe, daß der herbe Stolz dieses jungen Wesens so plötzlich in das Gegenteil sich verkehrt hatte.

      Sie ließ sich nirgends sehen, mit niemand suchte sie zu reden. СКАЧАТЬ