Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen - Hermann Stehr страница 69

Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

isbn:

СКАЧАТЬ die jüngste Schmugglergeschichte des krummen Rathmann Bene vom Berge zu erzählen. Der Lahme hörte mit halben Ohre zu, blickte in der Stube umher und schaute dann zum Fenster hinaus, sah die Blutbretter am Brunnen, warf den Löffel auf den Tisch und schrie unbekümmert um des Schusters Erzählung in dumpfem Zorne:

      »Da soll man milde sein und sanfte, wenn eem so was passiert ei seim Hause!«

      Marie wurde rot und blaß, der Löffel in ihrer Hand zitterte. Sie öffnete den Mund zum Reden, brachte aber kein Wort über ihre Lippen. Klose trat ihn mit dem Fuße und machte ihm mit den Augen ein Zeichen, sich zu mäßigen.

      »Karla«, begann endlich Marie, »Guste hat mir gesagt, um was es sich handelt ...«

      Sie wurde von dem Eintritt des Postboten unterbrochen, der einen Brief vor den Lahmen legte und eilig verschwand.

      Exner erbrach das Schreiben, sah eine Weile hinein, und da er des Lesens nicht recht kundig war, reichte er das Papier dem Schuster. Dieser machte Miene, es Marie zu geben.

      »Du liest!« rief Exner mit einer Leidenschaftlichkeit, der sich Klose fügen mußte.

      Der Schuster las:

      »Steindorf, den 17. Juni l883. Dem Feldgärtner, Herrn Karl Exner, zeige ich hierdurch an, daß binnen acht Tagen die Steine von meiner Wiese durch ihn oder seine Leute weggeräumt sein müssen, widrigenfalls ich gerichtlich gegen ihn vorgehen werde. In derselben Zeit sind von dem oben Genannten an mich zehn Mark zu entrichten als Schadenersatz für vernichtetes Gras auf eben dem Felde.

      Joseph Wende, Freirichtergutsbesitzer.«

      Der Lahme saß eine Weile wie starr, riß dann mit rauhem Lachen den Brief aus den Händen Kloses und steckte ihn ein.

      »Nach, Marie, biste denn im endlich zufrieden?« fragte er und sah sie mit verhaltenem Grimm an. Dem jungen Weibe stürzten die Tränen in die Augen. Sie stand auf und taumelte hinaus.

      Der Lahme stieß den Tisch von sich und begann in der Stube erregt auf und nieder zu holpern.

      Der Schuster war aschfahl geworden und stierte regungslos auf seine Hände, die vor ihm auf dem Tisch lagen, dabei kaute er an dem Schnurrbart.

      Plötzlich, wie auf einen unvorhergesehenen Stoß, sprang er auf, riß die Mütze am sich und lief wie gehetzt davon.

      12

       Inhaltsverzeichnis

      Seit diesem Vorkommnis wurde der Schuster Klose nie wieder nüchtern, kam nicht mehr in das Haus seiner Mutter und mied auch das Gehöft des Lahmen. Er war wie von einem bösen Geiste besessen.

      In Stuben benahm er sich scheu, als seien es Gefängnisse; vor allen Leuten mit geregelter Lebensweise hatte er einen Abscheu, wie wenn sie geheimen Verbrechern ergeben seien. Immer ging er gesenkten Hauptes einher, murmelte Unverständliches vor seine Füße, blieb oft stehen und begann unter leidenschaftlichen Armbewegungen mit einem Unsichtbaren Streit, den er mit reuevollen Schlägen vor die Brust beendete, wie der Christ seine stille Andacht schließt.

      Er hatte die halb erloschenen Augen eines angeschossenen Wildes, und sein Gesicht erschütterte trotz der Verwahrlosung, denn es war ganz mager geworden, erdfarben und tief gefurcht wie das Antlitz eines fanatischen Büßers.

      Sobald er angetrunken war, verfiel er in einen Paroxysmus der Selbstpeinigung, schlug sich mit Fäusten, raufte sich die Haare, rannte durch Dornhecken und saß dann weitab von allen Menschenwohnungen auf dem einsamen Felde, weinte, wehklagte und flehte zu Gott um Gnade mit weithin schallender, beschwörender Stimme, um dann wohl plötzlich aufzuspringen, durch die Gassen der Dörfer zu laufen und die Schar der Neugierigen um Lästerungen, Steinwürfe und Anspeien zu bitten.

      In einer bewölkten Mondnacht wollte der alte Förster Knolle gesehen haben, wie er in weitem Bogen unter näselndem Selbstgespräch um das Höfchen des Lahmen geschlichen sei.

      Alle hielten ihn für verrückt, und einige meinten, die andauernde, außergewöhnliche Hitze sei viel schuld an dieser plötzlichen Verwirrung seiner Seele.

      Denn Tag um Tag schwammen die Waldberge der Grafschaft in zitternder Glut. Sie sahen aus wie Riesenlasttiere, die, halb von grauem Sand verschüttet, fern durch eine endlose Wüste schreiten; immer in Bewegung, immer an einen Platz gebannt; kein Lufthauch der Kühle; der Himmel aschfarben, von vertrocknetem Blau. Die Sonne sah wie durch eine abgestorbene, zerstörte Unendlichkeit auf die Erde. Nur hin und wieder hob dorrender Ost seine Schwingen und flog durch die Windungen des Warthapasses mit einem feinen Sausen herein, das klang wie das Pfeifen schneidender Sensen, dann sank das wenige Gewölk wie gemäht dahin und zerfloß am Himmel zu einer kochenden Glut.

      Von den Obstbäumen fielen die unreifen Früchte welk und gelb in das ausgebrannte Gras.

      Der Wald heulte im Nachtwind auf wie ein verschmachtender Löwe.

      In den kleinen Rinnsalen lag Staub, die reichsten Quellen gaben das Wasser in Tropfen.

      Die Hitze ging knisternd durch das notreife Getreide. Die Türme läuteten um Regen. In den Kirchen knieten zu allen Stunden Menschenhaufen und riefen in furchtsamem Glauben endlose Litaneien. Die Bildstöcke und Kapellen der Felder und Kreuzwege waren mit Kränzen behängen, Weiber kauerten auf Steinen davor und hoben die Hände empor, die Männer gingen vorüber und bekreuzigten sich. Der Geistliche trug das Allerheiligste in den Fluren umher, sprengte das geweihte Wasser aus und sprach in das Rauschen der bunten Kirchenfahnen den uralten Wettersegen: es war alles umsonst.

      Die Erde klaffte in breiten Rissen, als schreie sie zum Himmel um Hilfe; die dürren Blätter fielen dichter, der Wald lag grau auf den Höhen und stöhnte von Zeit zu Zeit, als liege er in den letzten Zügen; die körnerlosen Schwingel des Hafers flatterten wie winzige Bettlersbeutel; den Vögeln war das Lied in der Kehle vertrocknet; die Hoffnungslosigkeit saß an den Wegen; in den Häusern webte die Verzweiflung, und scheu begab man sich an die Ernte, als gälte es nicht Segen, sondern Fluch einzuheimsen und auf den Böden aufzuschichten, damit er des Lebens Speise werde.

      –

      In diese schwere Zeit fiel der Beginn des Prozesses, den der Freirichter gegen den Lahmen angestrengt hatte, weil sein Brief ohne Antwort geblieben war.

      Exner lachte über die ersten gerichtlichen Zustellungen unbändig und quittierte dem Postboten den Empfang, als sei es eine wichtigtuerische Kinderei. Das sah dem »Nagelschmiede« ähnlich. Mit solchen Papierfetzen wollte er ihm bange machen, ihm, dessen Arme im Walde das schwerste Klotz ins Rollen brachten!

      Guten Mutes trabte er zum ersten Termin und dachte unterwegs an seinen kurzen, siegreichen Kampf mit dem Grauen. Das steigerte noch seine Zuversicht. Wie zu einem fröhlichen Faustkampf, dessen glatter Ausgang nicht zweifelhaft sein konnte, stieg er die breiten Stufen zum Amtsgerichte empor.

      Aber nach einer halben Stunde war in der kahlen Gerichtsstube sein strotzendes, heißes Recht arg mitgenommen. Die Feder des Schreibers durchstach es, von endlosen Reden ward es dünn gewalzt, von hinterhältigen Finten beschmutzt. Es nutzte nicht viel, daß er es immer wieder trotzig aufstellte. Der Richter verwies ihm endlich sein ungebührliches Betragen und drohte mit Einsperrung, wenn er weiter durch beleidigende Ausfälle die Würde der Verhandlung verletze. Dann nahm das verwirrende Fragen und Reden seinen Fortgang. Am Ende war sein Recht ein Schemen geworden, und nur die Schlauheit des СКАЧАТЬ