Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ schien sie dem Bann dieses Gedankens entwichen zu sein. Mutvoll schüttelte sie das Haupt und sah nach dem Manne hin, der neben ihr lag. Sie wußte, daß sie ihn nicht sehen konnte; sie wollte nur schärfer hören.

      „Nein, er kann mich nicht betrügen, nein —nein . . .“

      Das sagte sie fröstelnd, wie einer in eisiger Nacht ein dünnes Gewand um seine Schultern hüllt und, schauernd bis ins Mark, sich belügt: „Nein, es ist nicht kalt.“

      Die fetten Schnarchlaute Griebels setzten ein, ein Zeichen, daß er fest eingeschlafen sei. Sie mußte sich sein großes, glänzendes Gesicht vorstellen, wie die Lippen des halboffenen Mundes schleppend eingesogen und sprudelnd ausgestoßen wurden, wobei der blonde Schnurrbart sich jedesmal bürstenartig aufrichtete.

      „Er schläft wie nach einer Arbeit.“ In Schrecken überfiel sie dieser Gedanke.

      Wo ist die Süßigkeit hin, sein Kosen, seine weiche Liebe. Das Haus redete verwundete, lange Töne. Schroff brachen sie manchmal ab, und dann zuckten ihre Gedanken aus einem Wiegen, das über sie gekommen war, verstört auf.

      „Der Wind wird kommen . . .“ stotterte sie in sich hinein und horchte in Selbstflucht um sich.

      Dann war es ganz still, und sie besänftigte ihren lauten Atem, indem sie sich die Faust gegen ihr Herz drückte, daß sie zur Hälfte sich in den Busen grub. Denn das Wogen dieser Luft in ihrer zitternden Brust drückte sie nieder wie eine rücksichtslose Bestätigung ihrer Hilfsbedürftigkeit, als schwanke sie ächzend wie ein entwurzeltes Bäumchen.

      Da glitt ein verschwebendes Streichen durch den finstern Raum, als rühre der Flügel einer schlaftrunkenen Fliege an einen Gegenstand; vielleicht waren es die Schneeflocken, die an den Scheiben niedersanken.

      „Eine geheimnisvolle Nacht, diese Nacht.“

      Sie sagte „diese Nacht“, um es sich zu beweisen, wie wichtig es sei, auf alles zu lauschen.

      In Wirklichkeit floh sie nur vor der Gewißheit, die sich qualvoll in ihr bildete.

      Der Nachtwächter pfiff die zehnte Stunde. Die Töne reihten sich erschlafft in Zwischenräumen aneinander. Darauf hörte man taktmäßig fortwandernde Schritte.

      ‚Wie eine große Uhr klingen die gleichen Tritte.‘

      Mit der gleichen flüchtenden Aufmerksamkeit sann sie das.

      Plötzlich fiel es ihr auf, daß man die Pendelschläge der Uhr im Flur nicht höre. —

      Nein . . . . .

      Mutter hatte oft erzählt, vor dem Tode ihres Vaters sei die Wanduhr stehen geblieben.

      Wahrhaftig, die Uhr draußen ging nicht mehr. Was für ein Unglück bedeutete das?

      Der Dunst des Weines, der ihr in demselben Augenblick auffiel, nahm ihr jeden Zweifel.

      „Es war nur der Rausch, und alles ist nicht wahr . . .“

      Er hatte sie betrogen, und wie hatte sie sich ihm hingegeben! Nun lag er da und morgen würde er sie verlachen und ihre heiligste Verzweiflung zerrann wieder im Rinnstein des Alltags wie so vieles andere.

      In sinnloser Bestürzung fiel sie über ihn und rüttelte seine Schultern.

      „Joseph! — Joseph!“

      So konnte sie nicht leben. — „Joseph!“

      „Was håt‘s ‘n?“

      Schwerfällig hob er sich halb in die Höhe und gähnte lang.

      „Geh und wasch dir die Augen mit kaltem Wasser!“

      Das stieß sie in höchster Erregung hervor.

      Der Ausdruck ihrer Stimme war so erschütternd, daß der Tuchmacher wirklich vollständig wach wurde und besorgt frug: „Ha, liebes Lorla, ha, wås is dr denn eigentlich? Håste schlecht getraumt?“

      Zitternd griff sie nach seinen Händen; ließ sie aber fahren und schmiegte sich an seine Brust.

      „Nimm mich in deine Arme, fest — fester! — Küss‘ mich!“ Unter seinen Liebkosungen ward ihr Atem gleichmäßiger, ihr Herz ruhiger. Sie schloß die Augen und gab sich abgehetzt einer süßen, weichen Geborgenheit hin.

      Griebel aber schläferte schon wieder. Da sich Leonore nicht rührte, ließ er behutsam seinen Arm sinken, um ihren regungslosen Leib, den er schon im Bann des Schlafes glaubte, leise hinzubetten.

      Da fuhr sie schneidend auf und frug in heißer Hast: „Du, lügst du auch? — Hast du mich schon belogen in deinem Leben?“

      ‚Wås dås nu wieder soll‘, dachte Griebel und sagte laut: „Nein! — Håt åber dås nie bis morgen Zeit?“

      „Du, auf dein Gewissen frag ich dich!“

      „Nein“, wiederholte er, unsicher werdend, wegen des Ernstes, der aus dem Ton ihrer Stimme klang.

      „Willst d mir jetzt de Wahrheit sagen? – Aus dein’m Herze, rein und gar?“

      „Jå, då mach ‘och!“

      „Bist de mir gut?“

      „Jå.“

      „Ganz?“

      „Jå.“

      „Heilig wie der Mondschein is?“

      „Jå.“

      „Wie silbernes, süßes, reines Wasser?“

      „Jå.“

      „Wie Glocken klingen . . . wie die blaue Himmelwelt über den Bergen . . . wie tiefes Rot in den Abendwolken . . . Jahre . . . eine Ewigkeit? . . .“

      Sie hatte auf Antworten nicht mehr gehört. Die Glut ihrer Lebenssehnsucht, die Inbrunst ihrer Lebensliebe umfaßte sie, breitete eine Verzückung über ihre Seele. Ihre Worte, die, wie Verse eines Liedes, visionär von ihren Lippen flossen, weit ausklingend wie wehendes Geläut, brachten einen unendlich tiefen Rausch der Gewißheit über sie. In regungsloser Wonne hörte sie dann dem Verklingen ihrer Stimme nach und merkte nicht, daß Griebel sich schon wieder gelegt hatte. Der verhielt den Atem, dachte belustigt: ‚Nach, ich will bloß sehn, wie lange sie noch papert!‘ und blieb still, während Leonore immer noch wie versteinert neben ihm kniete. —

      Endlich konnte er den Atem nicht mehr halten und mit krachendem Gelächter ließ er ihn aus: „Haha! — Schockschwerebrett! — Wie ein Sengmädl, lang und huch — huuuch !“ äffte er ihr nach, „hehehe!“

      Leer, plump lachte er sie aus. — — —

      Ein feiner, unendlich weher Ton ward klagend laut und verlor sich ersterbend — — — als reiße eine goldene Saite entzwei, und starre Luft trank ihren Tod.

      Zugleich fühlte er den Unterschenkel Leonores, der an seiner Brust lag, immer stärker zittern.

      Es wurde ein Schlottern.

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