Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
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„. . . . Du? . . . du! . . .“
Aber sie redete das nicht in inbrünstigem Drohen wie früher. Welk, kalt, als stoße sie Erztropfen aus, die, nun Asche, einst glühend ihre Zunge versengten.
Nach langem Schauen ins Wesenlose setzte es doch gegen ihren Willen ein, wie man fröstelnd den Traum seines verlorenen Lebens erzählen mag — — — — — „. . . . der Ritter trank sein Weib mit den Augen. . . . Dann kniete er vor dem Kaiser nieder: ,Nimm mein Schwert, meine Ehre — deine Gunst — mein Söhnlein, alles, — alles!! — nur . . . laß mir . . . mein . . . Weib —’“
Ein langer, geheimnisvoller Laut, als stöhne ihre Seele ohne Inanspruchnahme leiblicher Organe, schloß sich an diese Worte.
Jetzt war der Moment der Entscheidung da, nach dem sie mit der zitternden Wirrheit ihrer friedlosen Ehe gerungen hatte.
Halb im Sturz, halb im Aufsprung hing sie an der Kante des Stuhles.
Griebel dachte, die Geschichte sei noch lange nicht aus und wartete bequem auf den Schluß. Da er ausblieb, wollte er zur Befestigung des erreichten Vorteiles selbst eine Geschichte erzählen:
„Hör ‘och: Mei‘ Våter ging amål . . .“
„Jetze is alle! Jetzt muß ich fort . . . verleicht . . . zu ihm . . . wer weiß . . . jetz muß ich . . . jetz . . . jetz . . .“
Ein tödlicher Streich hatte ihr die Besinnung geraubt. Entsetzt war sie emporgeschnellt. Nun, irr umhergreifend, raste sie durch die Stube.
Griebel begriff nicht, wie sie zu der „Tommheit“ komme:
„Låß doch dås Gegrassel, setz dich her, ich drzehl dr.“
Auf diese Worte kam eine Starrheit über sie. An der Portière zur Schlafstubenthür drehte sie sich um und sah Griebel mit wundem Staunen von der Seite an. — Der saß in Verlegenheit da, brodelte in verhaltenem Atem seine guten Lehren und nippte am Weine. — Nach kurzem Kampf mit sich näherte sich Leonore langsam dem Tisch.
Als sie nun so schwer erschien, fuhr Griebel zurück vor ihrem leichenblassen Gesichte mit den großen, verzweifelten Augen.
„Griebel, Joseph, ich geh, denn ich sterbe sonst“, sagte sie erschöpft.
In seiner Ratlosigkeit klammerte er sich ausschließlich an ihre Worte, wie, um sich taub zu machen gegen allerhand Befürchtungen, die ihn belästigten gleich einem Mückenschwarm.
„Du sterben; aso gesund un stark.“
„Eben deswegen. Gesunde sterben; Kranke machen bloß die Augen zu.“
„Ich geh!“ versicherte sie nach einer Weile, eine zitternde Erregung zur Ruhe bringend, da Griebel schweigend dasaß.
„Und ‘s Kind, Gustla?“ erholte er sich.
„Is nich meine.“
„Wems wärsch denn då?“
„Deine, bloß deine, ganz alleene.“
Ein Lächeln, an dem sie sich wollüstig selbst vergiftete, goß sie mit kalter Lippe leise in ihr Herz.
„Wahrhaftig meiner armen Seele!“ inbrünstig setzte sie ihre Rechte ans Herz. „Denn du bist mir nich gut. Ich hab dich nie, nie gehabt, nie! Deswegen . . . und deswegen bin ich wirklich ein Mensch, weil ich Gustels Mutter bin . . . eine Hure . . . deswegen kann ich auch gehn. Denn von einem Mensche is nichts schlecht.“
„Ich bin dir nich gut, Lorla, ich nie?“
Hastig streckte er seine fleischige Hand aus und sein gutes Gesicht zitterte in Schrecken.
„Warum, oder wodurch willst du das beweisen?“
„Bist du nich mei‘ Weib? — Für dich arb‘t ich. Håst de amål gehungert, nie ålls gehå‘t, wås de willst: Kleeder —, multum viel genung; Stuben, hoch un voll Sache; a Haus wie ne Kirche? Na? — Extr ich? — päck ich? — sauf ich? — bin ich sonst ein Lumps?“
Jeden dieser Ausrufe verschluckte er wie einen stärkenden Bissen.
Dann sprang er auf, leerte hastig das Glas, stieß es hart nieder und sah sie nun überlegen an. „. . . alls wahr. Eher z u sehr, z u sehr . . .“
Nach diesen Worten sah Leonore starr auf den Tisch. Ihre Besinnung begann sich schon wieder in eine schmerzwogende Ohnmacht zu verlieren, sie begann umzusinken.
„Nein!“
Mit hartem Selbsthohn peitschte sie sich auf.
„Was steh ich denn da? Jetze hab ichs ja!“
Wieder brach sie starr ab in einer glühend begonnenen Gebärde der Flucht: „Meine Mutter!! — Aber was nutzt’s? — ich sterb‘ eben, und wem helf ich damit? Mir nich, dir nich, niemanden! — Un warsch da notwendig, daß ich aso unglücklich war, in der Angst, in Freede, in Glück, in . . . Jesus Maria, verzeih mr meine Sünde!“
All das Furchtbare, was in einsamer Folter sie zur Verzweiflung gebracht, stürzte sich auf einmal über sie.
Mit wankenden Knien ging sie auf den Punkt ihrer Rettung los, mit loderndem Atem, wirrem Herzschlag und zerrissenen Gedanken.
„Entzwei! — Weg! — Hier der Trauring . . . die Jacke is auch von dir . . . der Rock auch . . . die Taille und alles . . . alles . . . alles . . . hier, Joseph Griebel, nimm, ich kann, ich bin . . .“
Schauernd entkleidete sie sich aller Sachen, die von ihm gekauft waren. Mit ihren Kleidern legte sie allen süßen Wahn ab, allen Glauben an die Gebote der Menschen. Die zitternden Wogen ihres feinen Busens quollen durch den Spalt des Hemdes, wie schimmernde Wellen beben, die das erste kalte Licht eines neuen Tages trifft.
„Nun liegt deine Liebe da auf’m Tische — ein armseliges Bündel . . . Bloß das is meine.“
Sie löste ihr reiches Haar, daß es über ihre Schultern niederglitt wie goldenes Sonnenlicht. Mit weichen Fingern koste sie es. Aber nun wußte sie nicht mehr, was sie wollte; mit einem verlorenen Lächeln stand sie da.
Griebels Bestürzung über diese erschütternde Wendung mündete in heißes Mitleid, als er dieses zarte, schöne Wesen unter ihrem Elend beben sah. Der Wein auch erweiterte die Pupille seiner Empfindung.
Ein jäh auflodernder, toller Strom riß ihn hin. Er umpfing sie mit starkem, entschiedenem Griff; —ihren halb entblößten Leib mit Küssen bedeckend, stammelte er mit den ungefügen Lippen der Lust: „Lordl, liebes, allerliebstes Lordl! — Sei nich dumm, ich bin dir gut, wie ich dir gut bin! — Bleib bei mir!“
Im Hingleiten in eine andere Welt riß er sie sich noch einmal zurück. Wohl rang sie wild gegen ihn, schon im Banne einer neuen Sittlichkeit stehend; aber rücksichtslos schlang er ihre Arme mit mächtigem Umfangen an ihren Leib.
So, das krankhaft Schweifende zurückgeworfen in ihr hungernd Herz, ward ein loderndes Feuer darin entzündet. Die Unbändigkeit seiner Leidenschaft gab ihr den СКАЧАТЬ