Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
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„Ach, låß,“ wehrte die Mutter, denn sie witterte irgend eine unangenehme Folge.
Leonore bestand immer leidenschaftlicher auf ihre Bitte und endlich traten ihr die Thränen in die Augen.
„Na wart amål, wenn dir aso viel drå liegt . . . . richtig! — ja, ja, jetze hå ichs!“
„Siehst de Mutter!“ rief das arme Weib überglücklich.
„Na hör amal Joseph, da wirst dus sehn!“
„Jå, bis zur Hälfte wårs wie dus erzählt håst. Aber dann is andersch.“ Darauf gab sich die Alte eine feierliche Haltung und mit singender Geschraubtheit erzählte sie das Folgende: — „Da kam der große, reiche Kaiser zu dem armen Ritter und sagte: ,Die Rosse meiner Feinde trinken aus den Flüssen deines Vaterlandes, meines Reiches. Steh‘ auf und geh fort von dem Hause deines Vaters und von deinem Weibe, die du so liebest.
Opfre dich und dein zweijährig Söhnlein für die heilige Sache deines Kaisers.’
,Und warum noch meinen Sohn?’ frug erstaunt der Ritter.
,Weil ich dich schätze wie meine Rüstung, will ich dich wegen deiner kühnen Frage nicht verstoßen von mir. Eine weise Frau traf mich einst im Walde, wo ich mich bei der Jagd verirrt hatte und wies mich auf den rechten Weg. Als sie erfuhr, wer ich sei, sah sie in meine Hand und sagte: Grimme Tage werden einst in deinem Herzen mit dem blutigen Gebiß des Krieges fressen.
Die Kraft deines Heeres wird dann nicht ausreichen über deinen Feind. Dann begehre den saugenden Knaben eines Ritters, dessen Seele dir ergeben ist, wie der Atem des Frühlings deinem Munde. Töte sein Kind und lasse alle Ritter ihre Schwerter in sein unschuldig Blut tauchen.
So wird ein heißer Hunger über ihre Waffen kommen, daß sie die Feinde mähen, wie unter der Sense des Bauern das zitternde Gras fällt.
Weil du mir theurer bist als alle anderen, begehre ich dein kleines Söhnlein. Es ist die Sache des Himmels. Wenn du einwilligst, so bist du der erste nach mir in meinem Reiche.’
Da sagte der Ritter, indem er auf sein Weib sah, die schmerzgeschüttelt . . . . . . ..“
Die Erzählung wurde unterbrochen.
„Marsel Mutter, Sie selle bale hem komma! ‘s is Zeit zum Einteegen leßt der Werkfihrer sän.“ rief die polternde Stimme Annas zur Thür herein.
„Jesses jå, då vermährt ma‘ sich richtig, ‘s is schon achte, in der neunten Stunde. Gude Nacht! Bleibt hibsch friedlich beisammen, un du, Lordl, wer‘ nich mehr krank.“
Sie küßte ihre Tochter auf die Stirn und drohte ihr ernst mit dem Finger.
Regungslos, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, saß diese da. Die Liebkosungen ihrer Mutter riefen nur ein zerstreutes Lächeln auf ihrem Gesicht wach und sie achtete nicht darauf, daß ihr Mann die Scheidende bis auf den Flur begleitete, wo sie miteinander tuschelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Plötzlich sprang sie auf und riß nach Luft, indem sie den Arm in die Höh warf . . . . . . .
Der Schritt ihres Mannes, der immer lauter im Flur hörbar wurde, drückte sie wieder auf den Stuhl, und ein Widerwille verzerrte ihr Gesicht, wie er Ausgehungerte vor der Mahlzeit befällt. Mit glanzlosem Gesicht sehen sie hin: es ist ja schon zu spät . . . oh, wäre alles Augenblicke früher gekommen, da ihr Hunger noch die Kraft des Verlangens hatte; aber jetzt! —
Ihr Mann trat ein, eine Flasche Wein im Arm, zwei Gläser in der Hand, ein vorkostendes Schmunzeln die ganze Gestalt.
„Håst du nich Hunger, Lorla?“
Ohne ihn anzusehen, schüttelte sie schwer mit dem Haupte.
„Ich auch nich. — Komm, heute wer’n mr eene Dickwampige leer machen. — Is nich wie ein Festtag?“
Sie verharrte in stummer Abgeschiedenheit.
Er schenkte ein, und die Duftperlen des Weines ließen sich singend in den Gläsern nieder.
„Prost!“
Griebel stößt gegen das Glas, das er seiner Frau hingestellt hat.
„Trink! — Horch, wie’s klingt, helle, wie wenn eens lacht.“
Es mußte zur Versöhnung kommen; das stand bei ihm fest. „Reen’n Tisch mach ich voll’ds alleene,“ hatte er auf dem Flur nicht ohne einen Anflug von Prahlerei gesprochen.
„Nu, ‘s is kee Gift!“ nahm er darum wieder das Wort. „Sieh‘ch mich. Auf ee’n Zug. — Wupp, weg wårsch! — Verleicht stöß’st du mit ‘m zweeten ån. — Prost, Lorla! Sei kee Frosch! Wein erfreut des Menschen Herz. Is nich aso? —“
Abermals leerte er hastig sein Glas und schenkte sich wieder ein. Denn nun sollte es „vom Flecke gehn“. „Is nich aso?“ wiederholte er, nach einem Anknüpfungspunkte suchend. Er fand nichts und polterte blind drauf los:
„Jesses nee, ich bin ein . . .? — Wås is denn då? Braucht de Welt zu wissen, wås mr hå‘n? —
Bin ich nich ein guder Kerl, hä?
Herr Gott, doch a! Is ein Wort ein Ballen Tuch? —
Ich nehm å: ich bring eim Rathause wås zur Språche. Es påßt mr wås nich — ich beschwer mich — ich bin Stadtverordneter — ich kånns — ich hengs å de große Glocke . . . . . Gut! — Es sei de Wåsserleitung, aber‘s Trottear auf der kleen‘ Ringseite, de Pflåsterung, irgend wås . . . gut! — ich hå mein guden Grund un såg ålles håårkleen, zum Greifen genau såg ich ålles. — Nach, gehts durch, gut; gehts nich durch . . . . . . . ‘wurmt een‘ wohl, freilich. — aber mir deswegen ei den Keller betten? Nä! —
Is nich ålls aso auf der Welt, wås de de Menschen wollen?“
Mit großer Entschiedenheit und Ueberzeugungskraft redete er das, in Absätzen, die sich wichtig aus langen Pausen arbeiteten.
Aber auf Leonore machte das alles nicht den geringsten Eindruck. Sie hatte den Kopf auf die linke Hand gestützt und starrte zur Decke empor.
Griebel schenkte sich zum drittenmal ein und trank aus.
„Wås håts dort droben, Lorla? Ach, ein Spinnwebennest! — Ihr Weiber hå‘t doch bloß auf ‘m Putzen und Schaben de Gedanken åll sei Leb’s Tage.“
Er mußte sie zum Reden bringen. Das übrige würde sich schon finden. Er würde dann mit seinem „hellen Koppe“ schon alles bearbeiten, daß eine Lust sein sollte.
„Hmmm!“
Endlich stieß Leonore einen erwägenden Laut aus.
Dann wandte sie sich ganz mit steifem Oberkörper leise zu ihm:
„Willst du die Geschichte nicht weiter hören, die die Mutter erzählt СКАЧАТЬ