Название: Verbrechen und Strafe
Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788726372038
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Ich habe schon erwähnt, daß Pjotr Petrowitsch sich jetzt nach Petersburg begeben wird. Er hat dort wichtige Geschäfte und beabsichtigt, in Petersburg ein öffentliches Anwaltsbüro zu etablieren. Er beschäftigt sich schon lange mit der Vertretung von Parteien in allerlei Zivilprozessen und hat erst kürzlich einen sehr bedeutenden Prozeß gewonnen. Nach Petersburg muß er auch deswegen, weil er da beim Senat eine wichtige Sache zu erledigen hat. Auf diese Weise kann er auch Dir, lieber Rodja, sehr nützlich sein, in jeder Beziehung, und ich und Dunja haben schon gemeint, Du könntest gleich mit dem heutigen Tage Deine künftige Laufbahn definitiv beginnen und Deinen Lebensweg als klar und deutlich festgesetzt betrachten. Ach, wenn sich das doch so verwirklichte! Das wäre ein solches Glück, daß wir es nur als eine besondere, vom Allmächtigen uns erwiesene Gnade ansehen könnten. Dunja beschäftigt sich fortwährend mit diesen Zukunftsplänen. Wir haben schon gewagt, nach dieser Richtung hin ein paar Worte zu Pjotr Petrowitsch zu sagen. Er drückte sich vorsichtig aus: da er einen Sekretär notwendig brauche, so sei es selbstverständlich besser, das Gehalt einem Verwandten zuzuwenden als einem Fremden, vorausgesetzt, daß jener für die Stellung befähigt sei (Du und nicht befähigt!); zugleich aber äußerte er gewisse Zweifel, ob Deine Universitätsstudien Dir auch hinreichend Zeit für die Arbeit in seinem Büro lassen würden. Diesmal wurde die Sache nicht weiter besprochen; aber Dunja hat jetzt gar keinen andern Gedanken. Sie befindet sich jetzt schon seit einigen Tagen in einem geradezu fieberhaften Eifer und hat sich schon ein vollständiges Projekt zurechtgemacht, wie Du im Laufe der Zeit Pjotr Petrowitschs Gehilfe und selbst Kompagnon in seiner Anwaltspraxis werden könntest, um so mehr, da Du zur juristischen Fakultät gehörst. Ich, lieber Rodja, bin ganz ihrer Ansicht und teile alle ihre Pläne und Hoffnungen, deren Verwirklichung mir durchaus möglich scheint; und obgleich Pjotr Petrowitsch jetzt ein zurückhaltendes Benehmen zeigt, das ja sehr erklärlich ist, da er Dich noch nicht kennt, ist Dunja doch fest davon überzeugt, daß sie alles durch ihre freundliche Einwirkung auf ihren künftigen Mann erreichen wird; das glaubt sie ganz sicher. Natürlich haben wir uns wohl gehütet, zu Pjotr Petrowitsch auch nur das geringste von diesen unsern weitergehenden Plänen und Hoffnungen zu äußern, namentlich davon, daß Du sein Kompagnon werden sollst. Er ist ein nüchtern denkender Mann und hätte es wohl sehr kühl aufgenommen, da ihm alles als ein leeres Phantasiegebilde erschienen wäre. Ebenso haben wir, sowohl ich als Dunja, es vermieden, mit ihm auch nur eine Silbe davon zu reden, daß wir bestimmt hoffen, er werde uns behilflich sein, Dich mit Geld zu unterstützen, solange Du noch auf der Universität bist. Wir haben davon jetzt aus mehreren Gründen geschwiegen. Erstens wird sich das in der Folge ganz von selbst machen, und er wird es uns sicherlich ohne unnötiges Hin- und Herreden selbst anbieten (wie könnte er es denn auch seiner Frau abschlagen!), um so mehr, da Du Deinerseits seine rechte Hand im Büro werden kannst, so daß Du dann diese Beihilfe nicht als Wohltat, sondern als wohlverdientes Gehalt empfängst. So beabsichtigt Dunjetschka dies zu arrangieren, und ich bin mit ihr vollständig einverstanden. Der zweite Grund unseres vorläufigen Stillschweigens über diesen Punkt war mein lebhafter Wunsch, daß Du bei Eurer bevorstehenden Begegnung auf gleichem Fuße mit ihm stehen möchtest. Als Dunja von Dir mit Begeisterung zu ihm sprach, erwiderte er, jeden Menschen müsse man sich zuerst selbst und recht von nahem ansehen, um über ihn urteilen zu können, und er behalte sich vor, eine Meinung über Dich sich erst dann zu bilden, wenn er Deine Bekanntschaft werde gemacht haben. Weißt Du, mein teurer Rodja, ich glaube auf Grund gewisser Erwägungen (die übrigens in keiner Weise auf Pjotr Petrowitsch speziellen Bezug haben, sondern bloß so meine eigenen, rein persönlichen Erwägungen sind, vielleicht sogar nur Schrullen einer alten Frau), also ich glaube, ich tue vielleicht am besten, wenn ich nach der Hochzeit der beiden getrennt für mich wohne, so wie bisher, und nicht mit ihnen zusammen. Ich bin fest davon überzeugt, er wird so edeldenkend und zartfühlend sein, mir selbst den Vorschlag zu machen, daß ich mich von meiner Tochter nicht trennen, sondern mit ihnen zusammenziehen möchte, und wenn er es bisher noch nicht gesagt hat, so erklärt sich das selbstverständlich daher, weil es auch ohne ausdrückliche Erwähnung so üblich ist; aber ich werde ablehnen. Ich habe in meinem Leben schon wiederholt die Beobachtung machen können, daß die Männer ihre Schwiegermütter nicht sonderlich gern mögen; und ich möchte nicht nur keinem Menschen auch nur im geringsten lästig werden, sondern auch selbst völlig frei bleiben, solange ich noch einen eigenen Bissen Brot und solche Kinder habe, wie Ihr beide seid, Du und Dunjetschka. Wenn es sich so einrichten läßt, will ich in der Nähe von Euch beiden meinen Wohnsitz nehmen; denn, lieber Rodja, das Allerangenehmste habe ich bis zum Schlusse dieses Briefes aufgespart. Erfahre nämlich, mein lieber Sohn, daß wir vielleicht sehr bald alle drei wieder zusammen sein und uns nach fast dreijähriger Trennung umarmen werden. Es ist schon bestimmt beschlossen, daß ich und Dunja nach Petersburg fahren; wann, das weiß ich noch nicht, aber jedenfalls sehr, sehr bald, vielleicht sogar schon in einer Woche. Alles hängt von Pjotr Petrowitschs Anordnungen ab, der uns sofort, wenn er sich in Petersburg wird orientiert haben, Mitteilung machen wird. Er möchte aus verschiedenen Erwägungen die Formalitäten möglichst beschleunigen und, wenn es angeht, noch vor Beginn der nächsten Fasten Hochzeit machen; sollte das aber wegen der Kürze der Zeit nicht ausführbar sein, dann gleich nach den Fasten, nach Mariä Himmelfahrt. Oh, mit welcher Wonne werde ich Dich an mein Herz drücken! Dunja ist von der frohen Aussicht. Dich wiederzusehen, ganz aufgeregt und sagte einmal im Scherz, schon allein deswegen würde sie Pjotr Petrowitschs Frau werden. Sie ist ein Engel! Sie wird jetzt keine Nachschrift zu diesem Briefe hinzufügen, sondern hat mir nur aufgetragen, zu schreiben, sie habe so viel mit Dir zu sprechen, so viel, daß sie sich jetzt nicht ein Herz dazu fassen könne, zur Feder zu greifen; denn in ein paar Zeilen könne man doch nichts Rechtes schreiben, sondern rege sich nur auf. Sie läßt Dir sagen, sie umarme Dich herzlich und küsse Dich tausendmal. Obwohl wir uns aber vielleicht sehr bald persönlich sehen werden, will ich Dir doch dieser Tage so viel Geld schicken, wie ich kann. Jetzt, wo alle wissen, daß Dunja Pjotr Petrowitsch heiratet, ist auch mein Kredit auf einmal besser geworden, und ich weiß sicher, daß Afanassij Iwanowitsch, wenn ich ihm meine Pension verpfände, mir jetzt sogar bis zu fünfundsiebzig Rubeln borgen wird, so daß ich Dir vielleicht fünfundzwanzig Rubel oder selbst dreißig schicken kann. Ich würde noch mehr schicken, bin aber in Sorge wegen unsrer Reisekosten; und obwohl Pjotr Petrowitsch so freundlich war, einen Teil der Kosten für unsre Fahrt nach der Hauptstadt selbst zu übernehmen (er hat sich nämlich erboten, unsre Frachtstücke und den großen Koffer auf seine Rechnung hinzubefördern, wobei er sich der Beihilfe von Bekannten bedienen kann), so müssen wir doch auch noch für die Ankunft in Petersburg etwas in Anschlag bringen, wo man sich nicht so ohne einen Groschen in der Tasche aufhalten kann, wenigstens in den ersten Tagen. Dunja und ich haben übrigens schon alles genau berechnet, und es ergab sich, daß uns die Fahrt nicht sehr teuer kommt. Bis zur Bahn sind von uns nur neunzig Werst, und wir haben uns schon für alle Fälle mit einem uns bekannten Bauern, der Fuhren durchführt, über den Preis geeinigt; und auf der Bahn fahren Dunja und ich wunderbar in der dritten Klasse. So klügle ich es vielleicht zurecht, daß ich Dir nicht fünfundzwanzig, sondern hoffentlich dreißig Rubel schicken kann. Aber nun genug; zwei Bogen habe ich ganz voll geschrieben, und es ist kein Platz mehr übrig. Es ist eine ordentliche lange Geschichte geworden; aber wieviel Ereignisse hatten sich auch angesammelt! Jetzt, lieber Rodja, umarme ich Dich in der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen und gebe Dir meinen mütterlichen Segen. Lieber Rodja, liebe Deine Schwester Dunja; liebe sie so, wie sie Dich liebt, und sei Dir bewußt, daß sie Dich grenzenlos liebt, mehr als sich selbst. Sie ist ein Engel, und Du, Rodja, bist unser ein und alles, unsere ganze Hoffnung, unsere ganze Zuversicht. Wenn Du nur glücklich bist, dann sind wir es auch. Betest Du auch wohl wie früher zu Gott, lieber Rodja, und glaubst Du an die Gnade unsres Schöpfers und Erlösers? Ich fürchte in meinem Herzen, daß auch Du Dich von dem Unglauben, der in neuester Zeit Mode geworden ist, habest anstecken lassen. Wenn es so sein sollte, dann will ich für Dich beten. Denke daran, mein Sohn, wie Du damals, als Du noch ein Kind warst und Dein Vater noch lebte, auf meinem Schoße Deine Gebete lalltest und wie glücklich wir damals alle waren. Adieu, oder СКАЧАТЬ