Verbrechen und Strafe. Fjodor Dostojewski
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Читать онлайн книгу Verbrechen und Strafe - Fjodor Dostojewski страница 7

Название: Verbrechen und Strafe

Автор: Fjodor Dostojewski

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788726372038

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СКАЧАТЬ Gott! Und ich verurteile das nicht; nein, das verurteile ich nicht! . . . Als ich vor sechs Tagen mein erstes Gehalt, dreiundzwanzig Rubel vierzig Kopeken, ihr vollzählig nach Hause brachte, da hat sie mich Schnuckchen genannt. ,Du mein Schnuckchen!‘ hat sie gesagt. Und wir beide waren ganz allein, verstehen Sie wohl? Nun, hübsch bin ich doch wahrhaftig nicht und ein guter Gatte auch nicht. Aber in die Backe hat sie mich gekniffen, und ,Du mein Schnuckchen!‘ hat sie zu mir gesagt.“

      Marmeladow hielt inne und machte einen Versuch zu lächeln, aber auf einmal begann sein Kinn unwillkürlich auf und nieder zu gehen. Indessen behielt er sich in der Gewalt. Diese Kneipe, das verlotterte Aussehen des Mannes, die fünf Nächte auf den Heukähnen und die Branntweinflasche auf der einen Seite und auf der andern diese grenzenlose Liebe zu seiner Frau und zu seiner Familie — das verwirrte den Zuhörer völlig. Raskolnikow hörte aufmerksam zu, aber mit einer krankhaften Empfindung. Er bedauerte, hier eingekehrt zu sein.

      „Verehrter Herr, verehrter Herr!“ rief Marmeladow, als er sich wieder gefaßt hatte. „O mein Herr, das alles kommt vielleicht Ihnen, gerade wie so vielen andern, einfach lächerlich vor, und Sie empfinden meine dumme Erzählung von all diesen kläglichen Einzelheiten meines häuslichen Lebens lediglich als Belästigung; aber mir ist es nicht lächerlich! Denn ich habe für all das eine tiefe Empfindung . . . Und jenen ganzen paradiesischen Tag meines Lebens und jenen ganzen Abend schwelgte ich in hochfliegenden Plänen, wie ich nämlich das alles einrichten würde und den Kinderchen Kleider kaufen und ihr ein ruhiges Dasein ermöglichen und meine einzige Tochter aus dem Leben der Schande wieder in den Schoß der Familie zurückführen würde . . . Und so noch vieles, vieles . . . Das durfte ich mir ja erlauben, mein Herr. Nun, mein Herr“, hier fuhr Marmeladow auf einmal zusammen, hob den Kopf und blickte seinem Zuhörer gerade ins Gesicht, „nun, am andern Tage, nach all diesen wonnigen Träumereien (jetzt ist es gerade fünf Tage her), gegen Abend, entwendete ich durch eine listige Täuschung, wie ein Dieb in der Nacht, meiner Frau den Schlüssel zu ihrem Kasten, nahm heraus, was von dem heimgebrachten Gehalte noch übrig war (wieviel es war, darauf kann ich mich nicht mehr besinnen) — und nun sehen Sie mich an! Alle mögen mich ansehen! Seit fünf Tagen bin ich nicht zu Hause gewesen, und da suchen sie nun nach mir, und mit dem Dienst ist’s zu Ende, und meine Uniform liegt in einer Schenke an der Ägyptischen Brücke als Pfand, und stattdessen habe ich diese Kleider bekommen, . . . und alles ist aus!“

      Marmeladow schlug sich mit der Faust gegen die Stirn, preßte die Zähne aufeinander, schloß die Augen und stützte sich heftig mit dem Ellbogen auf den Tisch. Aber einen Augenblick darauf veränderte sich sein Gesicht wieder; mit gekünstelter Schlauheit und gemachter Frechheit blickte er Raskolnikow an, lachte auf und sagte:

      „Aber heute bin ich bei Sonja gewesen und habe sie um Geld zum Weitertrinken gebeten! He, he, he!“

      „Hat sie dir wirklich was gegeben?“ schrie einer von den kurz vorher eingetretenen Gästen und lachte aus vollem Halse.

      „Die Flasche, die Sie hier sehen, ist für ihr Geld gekauft“, erwiderte Marmeladow, sich ausschließlich an Raskolnikow wendend. „Dreißig Kopeken hat sie mir herausgebracht, mit ihren eigenen Händen, die letzten, alles, was sie hatte; ich habe es selbst gesehen . . . Kein Wort hat sie dabei gesagt, sondern mich nur schweigend angesehen . . . Das war schon nicht mehr, wie’s auf Erden zugeht, sondern wie im Jenseits, . . . daß man sich über jemand grämt und über ihn weint, aber ihm keinen Vorwurf macht, keinen Vorwurf! Das schmerzt noch mehr, wenn man keine Vorwürfe hört! . . . Dreißig Kopeken, ja. Und sie hat sie doch jetzt selbst nötig, nicht wahr? Was meinen Sie wohl, mein lieber Herr? Sie muß doch jetzt auf Sauberkeit bedacht sein. Und diese Sauberkeit kostet Geld, so eine besondere Sauberkeit, verstehen Sie wohl? Verstehen Sie wohl? Da muß sie sich Pomade kaufen, das ist nun einmal erforderlich, gestärkte Unterröcke, solche kleinen Stiefelchen, recht kokette, um das Füßchen zu zeigen, wenn sie einmal eine Pfütze zu überschreiten hat. Verstehen Sie wohl, verstehen Sie wohl, mein Herr, was es mit dieser Sauberkeit für eine Bewandtnis hat? Und nun sehen Sie: ich, ihr leiblicher Vater, habe ihr diese dreißig Kopeken abgenommen, um weitertrinken zu können! Und ich trinke dafür, ich habe sie schon vertrunken! Na, wer kann mit einem solchen Menschen, wie ich bin, noch Mitleid haben? He? Bedauern Sie mich jetzt, mein Herr, oder nicht? Antworten Sie, mein Herr, ob Sie mich bedauern oder nicht! Ha-ha-ha-ha!“

      Er wollte sich noch einmal einschenken; aber es war nichts mehr da — die Flasche war leer.

      „Warum soll man dich auch noch bedauern?“ rief der Wirt, der sich gerade wieder in ihrer Nähe befand.

      Gelächter erscholl, auch Schimpfwörter. Wer zugehört hatte, lachte und schimpfte, und auch diejenigen, die nicht zugehört hatten, schlossen sich an, schon beim bloßen Anblicke der Gestalt des früheren Beamten.

      „Bedauern! Wozu soll man mich bedauern!“ heulte Marmeladow weinerlich auf. Er erhob sich plötzlich und streckte in stärkstem Affekt den Arm nach vorn aus, als ob er nur auf diese Worte gewartet hätte. „Warum man mich bedauern soll, sagst du? Ja, ich verdiene kein Mitleid. Kreuzigen sollte man mich, kreuzigen, aber nicht bedauern! Kreuzige, Richter, kreuzige, und nachher bemitleide den Gekreuzigten! Dann will ich selbst zur Kreuzigung zu dir kommen; denn ich lechze nicht nach Freuden, sondern nach Leid und Tränen! . . . Meinst du, Schankwirt, daß deine Flasche Schnaps mir ein Genuß war? Leid, Leid habe ich auf ihrem Grunde gesucht, Leid und Tränen, und die habe ich gefunden und gekostet; Mitleid aber wird mit uns der haben, der mit allen Mitleid hat und alle und alles versteht, er, der Einzige, er wird Richter sein. Er wird an jenem Tage kommen und fragen: ,Wo ist die Tochter, die sich um der bösen, schwindsüchtigen Stiefmutter und der fremden Kinderchen willen zum Opfer gebracht hat? Wo ist die Tochter, die mit ihrem irdischen Vater, einem verkommenen Trunkenbolde, Mitleid hatte, ohne vor seiner Verrohung zu erschrecken?‘ Und er wird sagen: ,Komm her zu mir! Ich habe dir schon damals vergeben . . . dir schon damals vergeben. Vergeben wird dir auch jetzt deiner Sünden Menge, denn du hast viel geliebt . . .‘ Und er vergibt meiner Sonja, er vergibt ihr; ich weiß, daß er ihr vergibt . . . Das habe ich noch eben erst, als ich heute bei ihr war, in meinem Herzen gefühlt! . . . Und alle wird er richten und allen vergeben, den Guten und den Bösen, den Weisen und den Einfältigen . . . Und wenn er dann mit allen fertig sein wird, dann wird er auch zu uns sprechen: ,Kommet her‘, wird er sagen, ,auch ihr! Kommet her, ihr Säufer, kommet her, ihr Willensschwachen, kommet her, ihr Schamlosen.‘ Und wir werden alle kommen, ohne Scheu, und vor ihn hintreten. Und er wird sagen: ,Schweine seid ihr, Ebenbilder des Viehes; aber kommet auch ihr zu mir!‘ Da werden die Weisen und die Klugen sprechen: ,Herr, warum nimmst du diese auf?‘ Und er wird sagen: ,Darum nehme ich sie auf, ihr Weisen, darum nehme ich sie auf, ihr Klugen, weil auch nicht einer von ihnen sich dessen selbst für würdig gehalten hat . . .‘Und er wird uns seine Hände entgegenstrecken, und wir werden vor ihm niederfallen . . . und werden weinen . . . und werden alles verstehen! Dann werden wir alles verstehen! . . . Und alle werden es verstehen, . . . auch Katerina Iwanowna, . . . auch die wird es verstehen! . . . Herr, dein Reich komme!“

      Kraftlos und erschöpft sank er auf die Bank nieder; er blickte niemand an, als hätte er seine ganze Umgebung vergessen und wäre tief in Gedanken versunken. Seine Worte hatten einigermaßen Eindruck gemacht; ein kleines Weilchen herrschte Schweigen; aber bald erscholl wieder das frühere Lachen und Schimpfen.

      „Das war mal fein geredet!“

      „So ’n Quatsch!“

      „Das ist nun ein Beamter!“

      Und so weiter und so weiter.

      „Kommen Sie, wir wollen gehen, mein Herr“, sagte Marmeladow plötzlich, indem er den Kopf hob und sich an Raskolnikow wandte, „begleiten Sie mich . . . Ich wohne im Koselschen Hause, auf dem Hofe. Es wird Zeit, daß ich . . . zu Katerina Iwanowna . . .“

      Raskolnikow hatte schon lange beabsichtigt fortzugehen und auch selbst daran gedacht, ihm behilflich zu sein. Es stellte sich СКАЧАТЬ