Название: Columbans Revolution
Автор: Peter R. Müller
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Edition IGW
isbn: 9783862567294
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2. Die Welt, aus der die Iren kamen
2.1 Die Kelten
Die Geschichte Europas beginnt im diffusen Nebel einer schriftlosen Kultur. Etwa 4 500 v. Chr. entwickelten die Menschen den Ackerbau. Bereits Jahrhunderte vor den Pyramiden bauten sie gigantische Steinanlagen, wie etwa das berühmte Stonehenge, die ein sehr detailliertes astronomisches Wissen verraten. Etwa gegen 800 v. Chr. erwähnen erstmals griechische und römische Autoren diese Kultur und bezeichnen sie als Kelten (Oliphant 1992:80 ff.).
Die Kelten waren kein Volk im eigentlichen Sinne, sondern können besser als eine Gruppe von Völkern verstanden werden, die eine ähnliche Sprache und eine gemeinsame Kultur verband. Sie unterhielten lebhafte Handelsbeziehungen untereinander und auch in die antike Welt (Oliphant 1992:84). Von den Griechen und Römern erhielten sie den Namen Galatoi/Keltoi, Kelten, was möglicherweise vom Wort für „kämpfen“ kommt (Dillon Chadwick 2004:11). Kämpfen konnten die Kelten jedenfalls. Nackt stürmten sie wie Berserker in die Schlacht (Cahill 1995:82 ff.). Die Römer fürchteten sie und konnten sie letztlich nur durch ihr geschlossenes, strategisches Vorgehen besiegen. Denn eine große Schwäche der Kelten war ihr leicht zu entflammendes Temperament und ihre innere Zersplitterung in sich streitende Stämme und Parteien, wie etwa Julius Caesar in seinem Werk über die Gallier – der Name Gallien leitet sich von den dort lebenden Kelten ab – feststellt. Er heuerte einfach einzelne Stämme an, die ihm dann beim Erobern der anderen Gallier halfen (Olsen 2003:22).
Abbildung 1: Keltische Ausbreitung, die mit der La-Tène-Kultur ihren Höhepunkt fand.
Keltische Christen gab es bereits im zweiten Jahrhundert. Der Kirchenvater Irenaeus (130–200)3 etwa arbeitete missionarisch unter den Kelten. Beim Konzil von Arles im Jahr 314 sind vier britische und 16 von 36 gallischen Bischöfen anwesend (Olsen 2003:44 f.). Wann das Christentum das keltische Irland erreichte, ist nicht ganz so klar. Wahrscheinlich gegen Ende des vierten Jahrhunderts, denn im Jahr 431 entsendet Papst Coelestin I. den Palladius als Bischof nach Irland zu den gläubig gewordenen Iren (Angenendt 1990:204). Die Bekehrung der Insel als Ganzes findet etwa ab 450 statt, als der Brite Patrick in einem Traum einen „Mazedonien-Ruf“ (vgl. Apostelgeschichte 16,9–10) empfängt und nach einer theologischen Ausbildung dort zu missionieren beginnt.
Etwa zur gleichen Zeit dürften auch Gelehrte vom europäischen Festland nach Irland gekommen sein, die vor den im Zuge der Völkerwanderung einbrechenden Hunnen, Goten und Vandalen flohen; im Gepäck hatten sie antike Bücher in Griechisch und Latein (Löwe 1982:1015). So entwickelte sich in der bis dahin schriftlosen Kultur4 ein blühendes Bildungswesen. Während im Alten Europa die Bibliotheken von den Barbaren niedergebrannt wurden, kopierten die Iren die antike Literatur, einschließlich der Bibel.
563 verließ der Abt Columcille (Columba oder auch Columban der Ältere) Irland und gründete vor der schottischen Küste auf der Insel Iona ein Kloster. Innerhalb weniger Jahre gewann er mit seinen Mönchen die keltischen Stämme der Pikten zum Glauben. Von Iona wird 635 Aidan ausgesandt, um dem Wunsch des Königs Oswald nach einem Prediger zu entsprechen. Er gründete auf der Insel Lindisfarne ein Kloster, von dem aus Nordengland missioniert wurde (Olsen 2003:117).
Das antike Europa versank im Chaos der Völkerwanderung, während sich unbehelligt von Rom in Irland und später auf der britischen Insel ein ganz eigenes, keltisches Christentum entwickelte, das nicht vom römischen Hierarchiedenken geprägt war. Überall entstanden Klöster, in denen Mönche in der Askese Gott suchten, aber auch intensiv in die Gesellschaft hineinwirkten. Sie bildeten nicht einfach nur christliche Zentren. Um die Klöster siedelten sich Bauern und Handwerker an, der Adel schickte seine Söhne und Töchter dort zur Ausbildung, Menschen kamen, um Heilung, Segen und Schutz zu erhalten. Einige dieser Klöster wuchsen zu den ersten städtischen Zentren im sonst ländlichen Irland.
In der Zeit von 500 bis 800 verließen irische Mönche ihr Zuhause, um Heiligung in der Fremde zu suchen (Bitel 1990:223). Columban (Columba der Jüngere) war der wohl einflussreichste von ihnen, wie wir noch sehen werden. Mit diesen Mönchen kam nicht nur das Christentum zurück in das inzwischen von Germanen überrannte nördliche Römische Reich, sondern später, zur Zeit Karls des Großen (König von 786 bis 814), auch eine große Reform der Bildung, in der Iren als Lehrer und Vordenker eine wichtige Rolle spielen sollten (Löwe 1982:1 026 f.). In dieser Zeit wurden allerdings auch die Normannenüberfälle auf Britannien und Irland heftig und regelmäßig. Klöster wurden niedergebrannt, Mönche und Bevölkerung abgeschlachtet oder versklavt. Der Strom irischer Mönche und Pilger auf den Kontinent trocknete aus und kam zum Erliegen.
2.2 Irische Kultur und irisches Mönchtum
2.2.1 Nachfolger der Druiden
In der keltischen Kultur erfüllten die Druiden die Funktion der Priester. Sie vermittelten zwischen der geistlichen Welt und stellten damit das Überleben in der Ungewissheit des Lebens sicher.5 Für ihre Anbetungsstätten wählten sie Orte, an denen „der Himmel die Erde berührt“ (Bitel 1990:43). Die Druiden rekrutierten sich in erster Linie aus der keltischen Oberschicht. Bis zu 20 Jahre dauerte die Ausbildung der jungen Männer, die sich ihnen anschlossen. Sie lernten zu schreiben und bildeten die intellektuelle Elite der Gesellschaft, zahlten keine Steuern und waren vom Kriegsdienst befreit. Sie waren Mediziner, Forscher, Lehrer und Richter.
Hatte Patrick noch Priester nach dem im späten Römischen Reich üblichen Modell der Diözesen mit ihren städtischen Pfarrkirchen eingesetzt, so passten die Iren sehr schnell die Kirchenstrukturen ihrer gesellschaftlichen Realität an. Das christliche Leben organisierte sich um Klöster herum, die aus mönchischen Einsiedeleien in der Nähe von Siedlungen hervorgegangen waren, und zwar oft genau an den Orten, an denen vorher druidische Heiligtümer gewesen waren (Bitel 1990:50, 98). Manchmal existierten die alten heidnischen Monumente sogar neben den neuen christlichen Kirchen weiter.6 In der Mentalität der irischen Christen mit ihrer Ehrfurcht vor der und Liebe zur Natur findet sich das Denken der Druiden wieder (Hunter 2000:87). Der berühmte Mönch Columcille etwa bezeichnete Jesus einmal als seinen „heiligen Druiden“ (Olsen 2003:114). Es ist nicht zu übersehen, dass die Mönche fließend und scheinbar recht mühelos die Rolle übernahmen, die bis dahin die Druiden gespielt hatten. „Die Kirche ersetzte die Druiden als Angelpunkt der Gesellschaft“ (:71). Daraus erklärt sich auch ihre später für Europa so entscheidende Bildung und intellektuelle Brillanz, mit der die Iren „die Zivilisation retteten“ (Cahill 1995:196). Es zeigt, wie die Mönche selbstverständliche gesellschaftliche Erwartungen erfüllten, was sicherlich ein Faktor für die rasante Ausbreitung des christlichen Glaubens in Irland war.7
2.2.2 Netzwerke: Starke Verflechtung mit der Gesellschaft
Das frühmittelalterliche Irland war relativ dünn besiedelt. Hunderte von Königreichen mit einer Bevölkerung von jeweils 500 bis 12 000 Personen überzogen die Insel (Bitel 1990:2). Aus dieser Zahl kann man schon sehen, dass ein König eher СКАЧАТЬ