Название: Geschichten aus Nian
Автор: Paul M. Belt
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: NIAN-ZYKLUS
isbn: 9783947086580
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Urgalan war von den Annehmlichkeiten der atalanischen Kultur ausgespart worden. Sein Land galt als unzivilisiert und barbarisch, womit die Atalanen damals wie derzeit nicht ganz unrecht hatten. Neidisch und von Hass zerfressen hatte sich der damalige Herrscher über den Niedergang des reichen Nachbarlandes gefreut und an einem bestimmten Punkt die Gelegenheit ergriffen, seine Horden auszusenden. Auf Widerstand war er kaum noch gestoßen. Feige und mit unsäglicher Brutalität waren die Krieger Urgalans über das darniederliegende, wehrlose Land hergefallen und hatten es im Handstreich unterworfen. Um die Bewohner zu demütigen, hatte der König dem Namen des Landes das Wort „Provinz“ vorangestellt. Danach war das Gebiet geplündert und sich selbst überlassen worden.
Das alles war der Grund dafür, dass dort auf der alten Autobahn nun Menschen solche Rituale brauchten, um ihrem Leben ein wenig Bedeutung zu geben. Auch er, Martin, hatte seine eigenen Bräuche dafür gepflegt, als er sein Licht noch nicht gekannt hatte. Er konnte Leute verstehen, die lautstark schreiend ihren Triumph zelebrierten. Allerdings war er sich mittlerweile auch der Folgen bewusst, welche solches Handeln unweigerlich nach sich zog. Er selbst wollte nicht mehr unaufhörlich zwischen Rausch und Frustration pendeln.
Der Wagen war inzwischen näher gekommen. Das Rumpeln und Motorengebrüll war nun unüberhörbar, Lichtkegel durchschnitten die dunkle Nacht, und jedes Mal, wenn die Räder mit dem alten Asphalt in Kontakt kamen, gesellte sich Reifenquietschen hinzu. Es musste sich um ein Geländefahrzeug handeln, denn von Zeit zu Zeit krachte es, wenn ein offenbar schwerer Kühlerschutz einen Ast rammte und von der Straße stieß. Die Insassen hingen wohl teilweise aus den Fenstern heraus, ihr Gejohle hätte einen Bären aus seinem Winterschlaf geholt.
Plötzlich endete das Rumpeln abrupt. Der starke Motor heulte mit höchster Drehzahl auf, Scheinwerferlicht erhellte kurz die Wipfel der Bäume neben der Straße und das irre Lachen der euphorisierten Fahrgäste verwandelte sich schlagartig in ein entsetztes Kreischen. Einen Herzschlag später ertönte ein unglaublich lautes Krachen, gefolgt vom Scheppern sich verformenden Metalls und dem Splittern von Glas. Das Poltern einer sich überschlagenden großen Masse schloss sich an, dann war alles wieder still und dunkel.
Kachler
Martin hatte genug gehört. So schnell er konnte, bahnte er sich den Weg durch die dunkle Nacht zurück auf die Straße. Glücklicherweise war dort noch ein schwaches Licht zu erkennen, wo das verunglückte Fahrzeug lag. Vorsichtig und leise näherte Martin sich dem verbeulten Objekt, dessen linker Scheinwerfer beim Aufprall nicht zerstört worden war und nun nach unten in einen Pflanzenteppich hineinleuchtete. Sein gespenstisches Glimmen tauchte zusammen mit den entstehenden Schatten die Umgebung in ein unwirkliches Licht.
Als Martin das Wrack des Wagens fast erreicht hatte, hörte er, wie eine der Türen kraftvoll unter metallischem Kreischen geöffnet wurde. Heraus sprang eine menschliche Erscheinung, die sich den Arm hielt und nach kurzem Rundblick in die Dunkelheit davonhastete. Ihr folgte ein weiterer Schatten, welcher sich von der Straße erhob und dann ungelenk humpelnd das Weite suchte. „Gut – die beiden sind einigermaßen okay“, dachte Martin. Dann aber erspähte er im grünen Zwielicht eine weitere Gestalt, die sich einige Meter entfernt vom Fahrzeug auf dem Boden krümmte.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sich sonst niemand in der Nähe aufhielt, war Martin blitzartig zur Stelle und beugte sich über den Verwundeten. Viel sehen konnte er nicht, es schien sich um einen sehr jungen Mann zu handeln, der sich stöhnend den Kopf hielt. Martin lief zum Wrack, zog geistesgegenwärtig sein Lederoberteil aus, benutzte es als Handschuh und riss mit einem Ruck den bereits gelockerten Scheinwerfer aus seiner Verankerung, um ihn auf den Verletzten zu richten. Nun konnte er erkennen, dass der recht schmächtige, vielleicht siebzehn Jahre alte Junge neben einer großen Platzwunde an der Stirn auch ein aufgerissenes Hosenbein hatte, aus welchem Blut sickerte. Ohne nachzudenken griff er nach seinem Sanpack, holte ein großes Pflaster zusammen mit etwas Desinfektionslösung heraus und versuchte, die Kopfwunde zu behandeln.
„Psst, halt still, Bursche! Wie soll ich dich sonst verarzten?“, stieß er ärgerlich hervor, als der Kopf des jungen Mannes bereits zum zweiten Mal zur Seite zuckte, nachdem die Flüssigkeit die Wunde berührt hatte. Schließlich gelang es ihm, das Pflaster darüberzukleben. Nun wandte er sich dem verletzten Bein zu. Ein großes Sterilo und zwei kräftig angezogene Verbände waren nötig, um die Blutung zu stillen. Wenigstens war es nicht gebrochen.
„Bist du sonst noch verletzt?“, fragte Martin den so Versorgten, der bisher noch kein Wort gesprochen, sondern nur laut geächzt hatte. Da erst bemerkte er, dass der Junge ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Angst betrachtete. „Schon gut, du siehst doch, dass ich helfen will!“, fügte er daher hinzu.
Jammernd begann sein Gegenüber nun erstmalig zu reden: „Nur am Kopf und Bein … aber Sie sind … Sie sind ein urgalanischer Kämpfer! Sie kommen um zu töten! Oder wollen Sie mich etwa zum Sklaven machen? Ich … ich … Lassen Sie mich gehen, bitte!“
Da war es wieder. Martin stand auf und knetete sich nachdenklich mit der linken Hand den Nacken. So funktionierte Gesellschaft hier: Einschüchterung, Angst, Beherrschung, Unterdrückung. Gerade eben hatte dieser Kerl noch über seine Mitmenschen und ihre Dummheit gespottet, sich so einen heißen Flitzer abjagen zu lassen, und zwei Minuten später lag er wimmernd auf der Straße und bettelte um Gnade. Zorn keimte in Martin auf – aber nicht auf den am Boden Liegenden, sondern irgendwie auf alles. Noch vor zwei Wochen hätte er diesem Kerl entweder seine Verachtung oder seine Überlegenheit demonstriert und ihn gefesselt als Beute vor sich hergetrieben, um ihn in Galdau jemandem gegen eine gute Mahlzeit und eine Jacke zu überlassen. Das Wissen darum, dass hierzulande so verfahren wurde, stieß ihm ebenso sauer auf wie die Tatsache, dass er als Uniformierter Teil dieses Systems gewesen war und genau dies einige Male getan hatte.
„Vergiss dein Licht niemals, besonders dann nicht, wenn Furcht, Scham, Wut oder Kummer ihren Tribut fordern.“ Amas Stimme hallte in seinem Geist wieder und erinnerte ihn daran, dass er jederzeit selbst entscheiden konnte, welchem Weg er folgen wollte. So richtete er seinen Blick nach innen. Ja, dort war es und darin herrschte Friede. Er brauchte ihn nur anzunehmen.
„Bursche, wenn ich etwas in dieser Art vorhätte, würde ich weder mein Sanpack an dich verschwenden, noch mir die Mühe machen, mit dir zu reden“, ließ Martin seine Stimme vernehmen. „Schluss mit dem Gejammere!“ Nachdem er sich sein Oberteil wieder übergestreift hatte, ergänzte er etwas sanfter: „Mein Auftrag ist ein vollkommen anderer. – Vielleicht sagst du mir erstmal deinen Namen.“
„Ich … ich bin Daniel“, stotterte der Junge verblüfft im Licht des Scheinwerferkegels. Außer der Platzwunde und dem verletzten Bein hatte er allerhand Abschürfungen und Schrammen, seine Kleidung war zerschunden. „Aber Sie, Sie sind doch …“
„Gut, Daniel. Ich würde dich gern um etwas bitten: Hör mit dem Gesieze auf. Wir sind hier in freier Wildbahn und müssen uns beide durchschlagen. Da passt das nicht.“
Daniels Verblüffung wurde immer größer. Warum war dieser bärenstarke Kerl mitten in der Nacht aus der Deckung gekommen, wenn er weder etwas aus dem Wagen klauen noch ihm schaden wollte? Und wenn er Soldat war, was faselte er da von einem „anderen Auftrag“ und „freier Wildbahn“? Wo waren seine Kameraden? Es gab keine einzeln durch die Lande ziehenden Kämpen in offizieller urgalanischer Uniform. Nun ja, offenbar wollte er ihm wirklich nichts tun. Und so begann er: „Wie heißen S… äh, wie heißt du denn?“
„Mein Name ist Martin“, erwiderte der Angesprochene ruhig. „Und ich möchte jetzt gern von dir wissen: Was ist vorhin passiert, wie viele Typen waren in deiner Meute und sind hier noch weitere von deiner Sorte?“
Daniel hatte immer noch etwas Angst und beruhigte sich nur langsam. Er СКАЧАТЬ