Название: Peter Lebegerns große Reise
Автор: Max Geißler
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711467756
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Von den notwendigen Gerätschaften für eine derartige Einsiedelei besass Peter Lebegern nur zwei: ein gutgefülltes Benzinfeuerzeug und ein Taschenmesser.
Damit getraute er sich vier Wochen den Kampf ums Dasein sieghaft zu bestehen. Er ging auf den Vogelfang, er suchte Schwämme und Beeren. Er stieg ein Stück weiter hinab auf eine Alm, auf der er noch einen Gaisbuben mit seiner Herde gewahrte, und kaufte sich Milch, so viel er mochte. Er wusch sich am Quell, der rückwärts der Hütte aus dem Gestein rann, und liess sich von Sonne und Bergwind trocknen. Ja, er brachte, genau genommen, den ganzen Tag damit zu, für seines Leibes Nahrung und Notdurft zu sorgen. Dabei geriet er an seinem Gewand in eine schier unsagbare Verfassung. Aber es fiel ihm gar nicht ein, an Heimkehr zu denken. Nicht aus Hartnäckigkeit. Nicht aus Lust am Abenteuer. Sondern: weil sein Glück über alles Mass hinausging.
Auf der Erde, auf der die Menschen wohnten, hatte man ihn inzwischen natürlich vermisst. Zwei Wochen nach seinem heimlichen Weggange von Partenkirchen stand er als verschollen in den Zeitungen. Und weil er Redakteur gewesen war, brachten alle Blätter den Fall zur Kenntnis ihrer Leser. Die ‚Neuesten Nachrichten‘, von Herrn Pius Heidvogel geleitet, enthielten einen Nachruf, der besagte: das geistige Deutschland habe einen schwer ersetzbaren Verlust erlitten. Ein Künstler und Dichter, ein Auserwählter sei mit Peter Lebegern dahingegangen.
Dieser Peter Lebegern sass indessen in seiner Bergsiedelei und ahnte nicht, dass sie drunten auf Erden Totenlieder um ihn sangen und ihn zum Dichter krönten.
Aufrichtige Trauer kehrte darob ein im Hause des Doktors Ferdinand Wurzler. Man sprach dort abendelang von Peter Lebegern. Man sprach mit jener sanften Dämpfung der Stimme, die die Andacht gebiert. Man sprach von ihm mit der Wärme innigster Zuneigung. „Er hat heimfinden wollen,“ sagte der kleine Doktor bewegt — „nun, er hat wohl auch heimgefunden. Wege, die er suchte, sind nicht auf der Erde. Und ein Reich, in dem er hätte gebieten können, hätte er sich erst schaffen müssen … Du bist in Kümmernis aus dem Leben geschieden, Peter Lebegern, und wärest so gern in Heiterkeit dahingegangen … Schlaf du in Frieden!“
In dieser Stunde — es war eine herniederdämmernde Regennacht im Oktober — in dieser Stunde lag Peter Lebegern sehr glücklich und sehr lebendig auf dem inzwischen zu schwellender Polsterung gediehenen Mooslager seiner Hütte. Er sah dem Feuer auf der Herdstatt zu und hatte zum Nachtmahl ein halbes Dutzend Krammetsvögel gespeist. Am Spiesse gebraten, mit dunkelblauen Wacholderbeeren herzhaft gewürzt. Sehr freundliche Verse dachte Peter Lebegern …
die sonnigen Tage sind längst dahin,
und alles Grün ist zu Ende,
dir aber klingt es noch immer im Sinn:
dein Herz hielt Sonnenwende!
Das war zugleich ein Zeichen, dass er nun doch an die Talfahrt dachte.
Sehr schwer ward ihm das Herz. Einmal zwischen Licht und Finsternis erwog er noch allen Ernstes, ob es sich nicht machen liesse, den Winter in der Siedelei zu verbringen. Etwa so, dass er die Hütte mit Nahrungsmitteln verstaute bis obenhin. Dass er sich durch den Gaisbuben in Besitz vieler Felle setzte, mit denen er die Wände der Hütte bekleiden könne und sich selbst. Er dachte auch an einen mässigen Stoss Schreibpapier; denn diese Unmittelbarkeit unerhörten Erlebens wirkte wundertätig. Er hatte dereinst das Leben der Lappen und Eskimos im Winter sinnvoll betrachtet. Deshalb hatte der Gedanke, sich hier einschneien zu lassen — so verirrt er war — gar nichts Fürchterliches für ihn …
Da begann ein Spätoktoberregen zu fallen — — nein, er peitschte daher. Es fielen die Wolken vom Himmel; es stürzten die blanken Zinnen des Hochgebirgs zusammen; es brandete ein gewaltiges missfarbiges Meer in allen Tiefen und Höhen; es war die Welt untergegangen tagelang, tagelang. Und mittendrin in diesem Untergange, in diesem ungeheuren Wirrsal von Wind und Wolken, von Fauchen und Fetzen, von Brüllen und Brandung schaukelte das ganz kleine Holzhaus des Peter Lebegern.
So war auch die schöne Dichtung von der Sintflut und der Arche für ihn unmittelbarstes Erlebnis geworden.
Peter Lebegern aber — wenn er nicht sehr fror — lugte durch das Fensterlein und sandte seine Blicke in die schaurig graue, schaurig ungebärdige Wildnis wie Noah die Raben. — Sie kehrten zurück, denn sie fanden nicht, da sie ruhen konnten.
Als darauf die Erde wieder als ein leuchtendes Märchen aus einem Frühmorgen stieg — es war ein Auferstehungsfest, nicht zu sagen, nicht zu sagen! — da stürmte Peter Lebegern über die Matten. Es war ihm: die neue Herrlichkeit bliebe unwandelbar. Er wollte den Gaisbuben zu Tale schicken, damit er ihm herauftrage, was nötig sei für den Winter — o weh, da waren Hirt und Herde von dannen gezogen!
Peter erschrak. Die Sonnenfackeln der Berge löschten für ihn aus. Die dampfenden Tale, die glühenden Höhen versagten ihm ihren Glanz. Er sass hin auf die Schwelle des verödeten Hüttleins an der Gaisenalm, und seine Augen, die — der Gottheit voll — durch die strahlende Welt geflogen — seine Augen fanden auf einmal nicht weiter als zu ihm selbst.
Nun, er sah aus wie einer, der in einer Strandhose, die sehr sauber gewesen war, vier Wochen in einem Bett aus Waldmoos gelegen und darin Sommers Untergang im Hochgebirge erlebt hatte.
Sehr sonderbar war ihm zumute. So, als solle er sich nun auf alle Viere niederlassen und mit mürrischem Gebrumm den Berg wieder hinansteigen, um sich in seiner Höhle bärenmässig zusammenzurollen zu gedeihlichem Winterschlaf.
Aber von alledem tat er nichts. Sondern: er fror und trollte sich talwärts. Kreuz und quer den pfadlosen Wildhang hinab gegen die Welt der Menschen. Seinen Gehstock und seinen Florentiner liess er in der Siedelei zurück. Mochte der Gaisbub im andern Jahr eine glückselige Überraschung daran erleben: das Geschenk eines dankbar Genesenen.
Vorsichtig, wie ein sicherndes Wild, wechselte sich Peter, der Lebegern, an das Land der Menschen heran. Herbstkalte Nacht lag im Tale. Die Partnach rauschte. Es reifte in die Wiesen. Und so finster war es geworden, dass die wenigen Leute auf den Strassen keine Teilnahme an dem Grabgewande dieses Auferstandenen bewiesen.
Unbeachtet erreichte er das Stockwerk seines Landhauses. Er zog die altväterische Glocke an der Vorplatztür und wurde von seiner Vermieterin mit entgeisterten Augen empfangen.
Für die Furcht des alternden Fräuleins fand Peter ein paar scherzhafte Worte. An denen richtete sie sich, mit der erstarrten Hand auf dem Herzen, allgemach empor. Sie öffnete die Tür zu Peters Zimmer, weit, weit, und — Gottes Wunder! — auf dem bescheidenen Kanapee sass der Herr Doktor Wurzler. Ihm gegenüber Valentine. Die Teemaschine summte. Der Ofen wärmelte. Sehr traulich war es in der Stube. Und still, wie nur das Staunen stille sein kann. Dann sagte der Doktor: „Lieber Peter Lebegern, meine Ahnung, meine Ahnung!“ Er lehnte sich dabei gegen die Rückwand der Polsterbank. Aber — das war wohl zu sehen — er hatte mit beiden Händen die Tischkante noch immer sehr fest angefasst.
Dieses Zusammentreffen war gar nicht so merkwürdig. Nämlich: zuerst hatten sich der Doktor und Valentine mit den Tatsachen abgefunden die die ‚Neuesten Nachrichten‘ als unabänderlich verkündeten. Danach begann der Gelehrte an dem Falle herumzuleuchten … Nun, Peter Lebegern war weder ein Bergsteiger, der sich den Gefahren eines Absturzes aussetzte; er war weder ein krankhafter Träumer, noch ein müder Melancholiker, der zuletzt СКАЧАТЬ