Название: Peter Lebegerns große Reise
Автор: Max Geißler
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711467756
isbn:
„Warum hast du denn diesen Entschluss gefasst, Peter Lebegern?“ fragte Valentine.
„Weil ich erkannt habe: du bist von allen Mädchen, die mir begegneten, die vollkommenste. Du bist eine Einzige, Valentine. Ich weiss, ich würde nie einen Ersatz für dich finden, wenn du dich mir versagtest“…
„Warum soll ich mich dir denn versagen?“ fragte sie.
Da stand er auf und riss sie an sein Herz. „Soll ich dich nun nicht hinübertragen zu deinem, zu unserm Vater, du Geliebteste?“ Sie blickten die Steilheit der Matte hinab, auf der sie sich beschwingt emporgespielt hatten. Es war lieblich und schön. „Siehst du, mein Mädchen — ich hatte keine Zeit, das Verlöbnis anders zu betreiben oder auf eine bequemere Stunde zu verschieben“…
„Du hast es tapfer angegriffen, Peter Lebegern,“ sagte sie — „ich wünsche dir, dass du alles mit so gutem Gelingen erfiegst, wonach dir der Wille steht.“
Da deutete er auf das Zackenrund der hochgeschwungenen Gipfel: „Ich weiss nicht, wohin mich mein Weg und Wünschen führt. Aber mich deucht: dies Hochgebirg sei ein Abbild meines Lebens in den nächsten Jahren. Was ich suche … mein teures Mädchen, was ich suche, das ist in dieser Zeit und bei den Menschen wohl nicht zu finden. Wäre ich sonst so elend an beiden geworden? Und wäre die Almhütte für mich anders ein so namenloses Glück gewesen? Mich deucht, ich muss hinüber über all diese blinkenden Berge, mein Mädchen! Aber wo ist ein Pfad? Und was ist drüben?“
Diese Frage stellte sich mit rätselvollen Augen hinter einen Abschnitt in Peter Lebegerns Dasein, der in den letzten vier Wochen ihm Erfüllungen geschenkt hatte, wie sie gemeinhin nur durch Träume verliehen werden.
Nach der Heimkehr in die Stadt meldete er sich pflichtgemäss bei Pius Heidvogel in der Redaktion der ‚Neuesten Nachrichten‘. Sein Urlaub war zu Ende. — Dass man ihn mittlerweile begraben hatte, war nicht seine Schuld. Er lehnte das Anerbieten, dennoch in dem Verbande zu bleiben, mit fröhlicher Genugtuung ab.
Nun war er frei, frei!
Eine Beseligung erfüllte ihn wie damals, als er die Bergsiedelei bezog. Sein Dasein war wieder ein Fest geworden und die Festordnung: sein Name!
„Mensch, Peter Lebegern, dein Schicksal bist du!“ Für ihn lag alles Glück der Erde in diesem Spruche. Seit dem Beginn seines Einsiedlertums auf der Alm wusste er das besser als je. Valentine glaubte an ihn. Und der kleine Doktor? Nun, auch der war sich längst im klaren, wie es mit Peter Lebegern stand. An das Land, das Gott ihm zeigen werde, ahnte er sich mit der ganzen Heiterkeit seines Gemüts heran.
Am andern Tage, nachdem alles, was ihm gehörte, in die Wohnung des Doktors gebracht worden war, lief Peter hinaus ins Leben. Etwa so, wie er in die Gaisenhütte gelaufen war — nur der kalten Jahreszeit entsprechend gekleidet.
Er war von ungeheurer Beschwingtheit des Gemüts. Was sich von Valentinen nicht so ohne weiteres sagen lässt. Doch war sie nicht von wehleidiger Art. Auf ihre Fragen nach Peters Absichten hatte er ihr tausend Wege gewiesen. An jedem stand ein Wunsch und ein Wille. Zuletzt fragte sie nicht mehr.
„Ich war als Schulmeister in Bogenbach nahe daran, das Leben zu erlernen,“ sagte er, „dann aber hab ich mich von einem aus dem Geleise werfen lassen. Wie konnte ich Pius den Heidvogel solch eine Macht über mich gewinnen lassen?“ Fortan war er auf der Hut vor sich selber.
An einem Novembertage stieg er in Thüringen, unfern den Ufern der Saale, auf eine Höhe. Es lugten von da oben gespensterhaft die Schattenrisse einer alten Burg durch die Nebel. Ruinenhaft. Ja. Aber der sehr schöne Klang einer Glocke, die da oben geläutet wurde — wie kam der in diesen Traum der Vergangenheit? Es waren die letzten Tage der ziehenden Vögel. In der versponnenen Welt roch es nach Spätherbstlaub. Die kahlen Zweige trugen Perlen aus Glas.
Auf einmal stand Peter Lebegern in dem Burghof. Die Glocke schwieg nun längst wieder. Und er erkannte fast zu seinem Erstaunen: da war nicht eine Ruine, in der er heimlich dem Flüstern vergangener Zeiten zuhören konnte, solange es ihm gefiel! Es ging nämlich eine kleine rundliche Frau mit einem Melkeimer über den Hof, die sah ihn zu Tod erschrocken an und gehörte keineswegs in die Vergangenheit.
Während Peter mit ihr redete und sich bemühte, im dichten Nebel den Zusammenhang des alten Bauwerks mit der Gegenwart zu ergründen, trat aus den Schleiern des Tages eine schöne schlanke Frau. Sie trug einen dunklen Kleidrock und ein über der Brust mit Goldfäden geschnürtes Ärmelmieder aus braunem Sammet. Es war die Burgfrau selber; sie sah aus wie ein lebendig gewordenes Ahnenbild. Sie gab der kleinen Rundlichen einen Befehl und blickte den Gast fragweis an, als sie mit ihm allein war. Sie kamen gleich in ein fesselndes Gespräch; denn die rundliche Frau mit dem Melkeimer hatte im Stall das Gespenst gesehen mit den feurigen Zähnen …
„Nun,“ sagte die Burgfrau, „es geistert in solch einem Bergnest in allen Ecken. Und wenn sich die Nebel tagelang um das Gemäuer wälzen, gehören in der Tat klare Augen dazu, die simple Wirklichkeit nicht in eine Welt von Geistern zu verdichten.“
Es war zu ebener Erde ein Gelass in einem Rundturm. Dort brannte Feuer im Kamin. Sein Schein lachte zu der offen gebliebenen Tür heraus. Ein Tisch und Stühle mit geschnitzten Lehnen standen darin. Decke und Wände waren wuchtig mit dunkelbraunem Eichenholz getäfelt. Geschlechter hatten sich durch dies Gemach gelebt. Man trat aus dem Burghof hinein.
„Sie suchen Gestorbene,“ begann die schöne Frau, „Ihr Weg hat Sie nicht falsch geführt. Sie suchen eine Ruine. Nun, diese Burg ist zur Hälfte Verfall, zur anderen von Toten bewohnt: man ist hier langsam dem Leben aus den Händen gefallen. Ein Stamm, der an seinem Alter stirbt.“
Schmerzvolles Lächeln machte ihren Mund für einen Augenblick noch trauriger. Unsagbar traurig. „Ich habe einen Sohn, der die Volksschule des Städtchens besucht. Sein Vater ist unter die Goldgräber gegangen — in Kalifornien. Zuvor hat er die Spielhöllen bereist. Nun hausen wir hier oben — der Knabe, ich und die Magd Kathinka. Aussenseiter des Lebens, haben wir keinen Wunsch nach Menschen und ihrer Gesellschaft …“
Damit war Frau von Landroff an die Stelle auf dem Wege gekommen, an der sie einander begegneten. Peter Lebegern erkannte: es war in diesem Haus auf dem Berge das Schicksal zu seiner ganzen brutalen Macht gelangt. So beschloss er, zu bleiben.
„Gnädige Frau,“ sagte er, „gestatten Sie mir, dass ich Ihren Sohn eine Zeitlang als Lehrer und Erzieher in meine Obhut nehme. Lassen Sie mich dafür an Ihrer Tafel speisen und unter Ihrem Dache wohnen.“
Die Burgfrau horchte auf. Der Gedanke, dass ein Mensch ihre Ruinenverlorenheit teilen wolle, befremdete sie. Einen Augenblick schloss sie die Lider. Dann erklärte sie ihr Einverständnis mit dem Gleichmut der Fatalistin.
Die Burgfrau hatte Peter auf seinen Wunsch freigestellt, sich einen Raum auszuwählen zum Wohnen und einen zweiten zum Schlafen nach seinem Belieben. Deshalb begab er sich ungesäumt auf eine Entdeckungsreise, auf der ihn die Magd und Beschliesserin Kathinka führte. Ausser der Kemnate, in der frühere Herrinnen der Burg ihre Schönheit gepflegt hatten und in der nun Maria die Letzte traurig war in ihrer Vereinsamung, war noch ein Schlafraum für Balder von Landroff eingerichtet. Es war ein Trinksaal da mit einer langen Tafel und hohen Stühlen und mit einem Erker. In diesem stand ein Steintisch. Daran sass die Zeit wie der alte Kaiser und liess den Bart durch den Tisch wachsen. Ja. An den Wänden hingen Ahnenbilder — vielleicht — und es hingen dazwischen gedunkelte Trink- und Jagdszenen guter und geringerer Meister. Es waren kahle Wandflächen da, welche besagten, dass hier ein Stück von antikem Werte gewesen und verkauft worden СКАЧАТЬ