Название: Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel
Автор: Luzia Pfyl
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Frost & Payne - Die gesamte Staffel
isbn: 9783958344112
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Frost richtete sich auf. »Guten Tag«, sagte sie gedehnt und mit übertrieben hoher Stimme. Sie ließ ihre Wimpern klimpern und setzte das freundlichste Lächeln auf, das sie sich ausmalen konnte. »Julia Armstrong, sehr erfreut. Ich bin Ihre neue Nachbarin. Ist vielleicht der Herr des Hauses zu sprechen? Garstiges Wetter, nicht?«
Ohne auf die abwehrende Haltung des Butlers zu achten, schlüpfte sie frech durch die Tür. »Ich bin beeindruckt«, kreischte sie los und drehte sich bewundernd im Kreis. »Was für ein ausgezeichneter Geschmack. Ich muss James, das ist mein Ehemann, unbedingt sagen, dass wir solche Tapeten brauchen.« Eine verschlossene Tür links, Treppe hinauf in den ersten Stock, Salon zur Rechten. Flur mit dickem Teppichboden, führte wahrscheinlich in den hinteren Bereich des Hauses, wo sich die Küche und die Räumlichkeiten des Personals befanden.
Der Butler räusperte sich. »Mr. Bingham ist im Augenblick nicht zuhause, Madam.« Sein Ton machte es unüberhörbar, dass er sie am liebsten so schnell wie möglich wieder loswurde. »Ich werde ihm ausrichten, dass Sie hier waren.«
Frost musterte den Butler. Intelligente Augen und militärische Haltung. Breite Schultern. Unter dem maßgeschneiderten Stoff seiner Livree zeichneten sich muskulöse Arme ab. Etwa Mitte vierzig. Dieser Butler würde ihr Probleme bereiten, sollte er sie erwischen. »Bitte, seien Sie ein Schatz und tun Sie das. Mein Mann und ich werden zu einem anderen Zeitpunkt wiederkommen. Wann wird Mr. Bingham denn zurückerwartet?«
Die Miene des Butlers regte sich keinen Millimeter. »Erst sehr spät, fürchte ich.«
Das war gut. Es war Freitag, Mr. Bingham verbrachte den Abend in seinem Club. Dennoch hätte sie den Hausherrn sehen mögen, um ihn einschätzen zu können. »Ach, das macht nichts. Ich würde Ihnen gerne meine Karte hierlassen, aber ich fürchte, ich Dummerchen habe sie zuhause liegen gelassen.« Sie lachte gekünstelt. »Vielen Dank für Ihre Mühen.« Sie hatte fürs Erste genug gesehen.
Die Kälte umfing sie und drang durch die Schichten ihrer Kleidung, als die schwere Eingangstür hinter ihr ins Schloss fiel. Den stechenden Blick des Butlers konnte sie regelrecht am Hinterkopf spüren. Garantiert würde er sie beobachten, bis sie außer Sicht war.
Sie ging den Weg zurück, den sie gekommen war, bog jedoch nach links ab, statt zur Station der Straßenbahn zu gehen. Hier war eine Lücke zwischen den Häusern, und eine schmale Gasse führte in eine Straße, die auf der Rückseite der Stadtvillen entlanglief. Hier befanden sich die privaten Stallungen. Frost zählte die Häuser, bis sie bei Nummer zehn angelangt war.
Ein Blick in den leeren Kutschunterstand sagte ihr, dass Mr. Bingham tatsächlich außer Haus war. Sie betrachtete die Fassade. Im Gegensatz zur Vorderseite bestand die Rückseite aus einfachem Backstein. Die Fenster waren kleiner, die Gardinen nicht halb so teuer und sehr schlicht gehalten. Frost schaute sich um. Beim gegenüberliegenden Haus leerte ein Hausmädchen gerade einen Eimer Schmutzwasser aus.
Mit wenigen Schritten war Frost um den Kutschunterstand herumgegangen und entdeckte den Hintereingang. Ein schmales Vordach befand sich über der einfachen Holztür, gleich darüber ein Fenster. Frost vermutete, dass sich hinter der Tür die Küche befand. Nach einem weiteren Blick über die Schulter – das Hausmädchen von gegenüber war wieder im Gebäude verschwunden – huschte sie zur Tür und ging in die Hocke. Ein mechanisches Schloss wie an der Vordertür. Wunderbar.
Frost lächelte, als sie zurück zur Straßenbahn ging. Heute Nacht würde sie zurückkommen und sich den Folianten holen. Doch wo bewahrte Bingham ihn auf? In der Bibliothek? Oder in seinem Arbeitszimmer? Sie würde schnell vorgehen müssen, denn sie wollte verhindern, dass der Butler oder ein spät zu Bett gehendes Dienstmädchen sie erwischte.
Ein Knistern in der Luft kündigte die nächste Straßenbahn an. Die dicken Kabel, die kreuz und quer zwischen den Häusern gespannt waren und parallel zur Straße verliefen, begannen zu summen. Durch den Schneefall sah Frost den Wagen herannahen. Als er nur noch wenige Meter von der Station entfernt war, zuckten bläuliche Funken über die Kabel, und winzige Blitze sprangen in die Schienen.
Frost fürchtete stets, eines Tages von einem dieser Stromschläge getroffen zu werden. Es hatte schon Zwischenfälle gegeben, aber seit dem Streik blieb den Londonern, die sich keine der teuren Kutschen leisten konnten, kaum etwas anderes übrig, als das Tram zu benutzen.
Als sie endlich wieder in ihrer Straße in Holborn war, hörte es auf zu schneien. Das drückende Grau lüftete sich ein wenig. Frost ertappte sich dabei, wie sie vor sich hinsummte. Konnte es sein, dass dieser Auftrag von Madame Yueh ihr Spaß machte? War sie nun schon so tief gesunken, dass ihr die Arbeit, die sich ganz klar weit außerhalb des Legalen bewegte und die sie ihr halbes Leben lang gemacht hatte, Freude bereitete? Oder, anders gefragt: Hatte es ihr schon immer Spaß gemacht, und sie hatte es in den drei Monaten einfach vergessen?
»Verfluchte Scheiße«, murmelte sie, als ihr die Schlüssel aus den eingefrorenen Fingern in den Schnee vor der Ladentür fielen.
»Verzeihen Sie, bitte«, hörte sie eine Stimme neben sich. Frost richtete sich auf und erblickte eine Frau etwa in ihrem Alter. Sie trug einen dunklen Wollmantel und hatte ein schönes, aber unscheinbares Gesicht. Ihre rotbraunen Haare waren zu einem adretten Knoten gesteckt, auf dem sie einen schlichten Hut drapiert hatte. Sie hatte vor Kälte die Schultern hochgezogen und schaute Frost mit hellen, beinahe forschen Augen an. »Können Sie mir sagen, wann die Agentur wieder öffnet?«
»Kommen Sie rein, drinnen können Sie sich aufwärmen«, antwortete Frost und öffnete die Tür. Das Glöckchen klingelte, und ein Schwall eisiger Luft strömte in ihr Büro. »Mein Name ist Lydia Frost, die Agentur gehört mir. Bitte, setzen Sie sich.« Sie entledigte sich rasch des Hutes und des Mantels und ging hinüber in die kleine Küche, um Wasser für Tee aufzusetzen. »Milch oder Zitrone?«
»Nur etwas Milch«, kam es unsicher aus dem Büro.
Frost lehnte am Türrahmen, während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte, und beobachtete die Frau, als diese die Handschuhe auszog und ihren Schal löste. Sie sah angespannt aus, was nicht unbedingt auf die Kälte zurückzuführen war. Ihre Bewegungen waren fahrig, ihre Augen huschten unruhig durch den Raum. Schlichte, aber gut geschneiderte Kleidung. Tinte an den Fingern, als schriebe sie sehr viel. Bis auf den Ehering kein Schmuck.
»Nun, wie kann ich Ihnen helfen, Mrs …?« Frost stellte zwei Teetassen auf den Schreibtisch und bedeutete der Frau, die immer noch unsicher herumstand, sich zu setzen. Auch wenn sie eigentlich den Diebstahl des Folianten vorbereiten musste, wollte sie diese potenzielle Klientin nicht ablehnen. Auftrag war Auftrag.
»Payne, Cecilia Payne.« Die Frau hielt die Tasse wärmend in beiden Händen. »Ich bin Wissenschaftlerin und arbeite im Observatorium in Greenwich.«
Frost pfiff durch die Zähne. »Sie sind eine der Sterngucker? Durften Sie schon einen Kometen nach sich benennen?« Sie war in der Tat schwer beeindruckt.
Cecilia Payne lächelte verlegen. »Nein, das nicht. Meine männlichen Kollegen fänden das bestimmt unangebracht, auch wenn ich das für kompletten Unsinn halte. Aber als einzige Frau am Institut ist es oft nicht einfach.« Sie nahm einen Schluck Tee und klammerte sich weiterhin an die Tasse. »Ich vermisse meinen Mann, Miss Frost. Seit mehr als zwei Wochen war er anscheinend nicht mehr zuhause. Ich mache mir Sorgen um ihn, und mir wurde gesagt, dass Sie mir helfen können.«
Frost hob die Augenbrauen. »Anscheinend?«
»Nun, sehen Sie, Miss Frost, meine Arbeit verlangt oft, dass ich die Nacht über im Observatorium bleibe. Es vergehen manchmal Tage, bis ich mein eigenes Bett wiedersehe. Unser Hausmädchen СКАЧАТЬ