Название: Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel
Автор: Luzia Pfyl
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Frost & Payne - Die gesamte Staffel
isbn: 9783958344112
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»Jetzt wärst du beinahe an mir vorbeigelaufen.«
»Michael!« Frost lachte erleichtert auf. »Ich dachte, wir treffen uns beim Blauen Affen?«
»Da habe ich auch über eine halbe Stunde auf dich gewartet.« Michael Cho verzog das Gesicht in gespielter Enttäuschung, worauf Frost ihm sanft auf den Oberarm boxte. Für einen Moment strahlten seine schwarzen schmalen Augen grün und golden auf, als über ihnen Feuerwerk explodierte.
»Es hat einfach zu viele Menschen hier. Oben an der Garnet Street ist kein Durchkommen mehr.« Frost stieß den Atem aus und schaute zu ihm auf. »Ich war bei Madame Yueh.«
»Sie wird sich gefreut haben, dich zu sehen. Wir vermissen dich alle.« Michael bot ihr den Arm an, und gemeinsam schlenderten sie den Weg zurück, den Frost gekommen war. Gefrorener Schnee knirschte unter ihren Stiefeln, die ersten Flocken eines erneuten Schauers fielen aus dem schwarzen Himmel.
»Sie war nicht da.« Frost merkte, wie sich eine Spur Enttäuschung in ihre Stimme schlich. Ja, die Entscheidung, Madame Yueh und damit die Organisation zu verlassen, war allein ihre gewesen. Dennoch fühlte es sich an, als hätte sie ihre Familie im Stich gelassen. Die vergangenen drei Monate hatte sie sich gefühlt, als säße sie auf zwei Stühlen, die sich immer weiter voneinander entfernten. Auf dem einen Stuhl ihre Familie, auf dem anderen ihre Freiheit.
Michael legte den Arm um sie und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. »Madame Yueh ist nicht nachtragend. Sie wird dir verzeihen, und dann kommst du zurück.« Die Geste war so vertraulich, dass Frost kurz zusammenzuckte. Das war neu.
»Ich werde aber nicht zurückkommen«, sagte sie mit Nachdruck und löste sich von ihm. »Die Agentur läuft gut.« Die Agentur lief überhaupt nicht. Aber das brauchte Michael nicht zu wissen. »Ich kann mich vor Aufträgen kaum retten. Du glaubst gar nicht, was die Leute alles verlieren.« Sie hatte gehofft, ihr Talent im Beschaffen von Dingen in den Dienst der Londoner zu stellen. Das Yard war vollkommen überfordert. Also warum nicht eine Art Detektei gründen, hatte sie sich gedacht. Jeden Tag verschwanden Menschen spurlos, wurden Gegenstände gestohlen. Frost hatte geglaubt, dass die Leute, die nicht zu Scotland Yard gehen wollten, ihr die Tür einrennen würden. Bisher saß sie jedoch mehr oder weniger untätig in ihrem Büro herum.
Michael lachte versöhnlich. »Wie du meinst. Darf ich dich wenigstens besuchen kommen?«
»Natürlich. Ich würde mich freuen.«
Sie hatten die Garnet Street erreicht und tauchten ins Getümmel ein. Jemand zündete Böller. Die Zuschauer wichen respektvoll zurück. Frost hielt Michaels Hand, damit sie ihn in der Menge nicht verlor, und ließ sich von ihm führen.
»Jetzt mach nicht so ein angesäuertes Gesicht, Lydia«, rief Michael über den Lärm hinweg. »Es ist Neujahr! Komm, wir gehen zu den anderen. Die haben bereits ohne uns angefangen zu feiern.«
Frost lächelte und konnte sich sogar mit dem Gedanken anfreunden, ein oder zwei Pints mit den Jungs zu trinken. So wie früher.
Sie hatte den übelsten Kater seit Langem.
Frost stöhnte und hielt sich den Kopf, als sie sich zurück auf das Bett hievte. Die Zunge klebte ihr am Gaumen, und ihre Glieder fühlten sich an wie tonnenschwerer Stahl, der sich langsam in Kautschuk verwandelte.
»Ich hasse dich, Michael«, ächzte sie, als sie sich dazu zwang, aufzustehen. Sie schlurfte ins Bad und stolperte auf dem Weg dahin über ihre Kleidung. Stiefel, Lederhose, Korsett, Bluse, Mantel. Wenigstens hatte sie es noch fertiggebracht, sich halbwegs anständig auszuziehen und nicht gleich in voller Montur ins Bett zu fallen, wie es ebenfalls schon geschehen war.
Im Badezimmer zündete sie die Aetherlampe an und blinzelte in ihr Spiegelbild. »Meine Güte …«, murmelte sie und rubbelte sich mehrmals mit den Händen über das Gesicht, um die Durchblutung anzuregen. Vielleicht würde sie so weniger wie ein Zombie aussehen. Sie brauchte ein langes heißes Bad und danach einen sehr starken Kaffee.
Das Bad tat gut und weckte Frosts Lebensgeister wenigstens so weit, dass sie sich nicht mehr ganz so zerdrückt fühlte. Sie zog sich frische Kleidung an und ging hinunter in ihr Büro. Eigentlich war es ein ehemaliges Ladengeschäft, inklusive Küche und Waschraum zum Hinterhof hinaus. Dazu gehörte die winzige Wohnung im Obergeschoss. Frost hatte in den vergangenen Monaten alles Mobiliar des Vorbesitzers entfernen lassen. Nichts erinnerte mehr an die Schneiderei, die hier gewesen war. Stattdessen hatte sie die kleine Wohnung und das Büro nach ihrem Geschmack eingerichtet. Vor allem das grünbezogene Sofa im Wohnzimmer oben liebte sie. Ein Wandschirm aus Bambus und bemaltem Papier trennte ihren Schlafbereich vom Rest des Wohnzimmers ab und sorgte für Privatsphäre. Über dem Kamin hing, wie in so ziemlich jedem Wohnzimmer des Empires, ein Portrait von Königin Victoria, die Wandtapete war dezent gemustert. In einem chinesischen Kabinett, welches eingeklemmt zwischen Kamin und Ecke stand, befanden sich eine Musikbox sowie Frosts Sammlung an Whiskys.
Ihren Schreibtisch aus massiver Eiche hatte sie unten im Laden etwas versetzt zum Schaufenster gestellt. Zwei Stühle für die Klienten standen davor. Hinter dem Schreibtisch und an der linken Wand fortführend befanden sich deckenhohe Bücherregale, ein Teppich sorgte für etwas Gemütlichkeit. An einer Wand hing auch hier ein Portrait von Königin Victoria. Frost hatte ansonsten nur spärlich dekoriert. Ein paar chinesische Tuscheskizzen hier, eine Blumenvase dort.
Nur das Schaufenster war noch leer. Vielleicht lag es am fehlenden Schriftzug auf der Scheibe, dass Klienten ausblieben. Sie brauchte dringend einen Namen für ihre Agentur.
»Guten Morgen, Helen«, rief Frost, als sie Geräusche aus der Küche hörte.
»Wohl eher guten Mittag, Miss Frost«, antwortete Helen. Die junge Frau mit den erdbeerblonden Haaren stand lächelnd in der Tür und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. Helen war Frosts Hausmädchen, frisch und voller Elan. Sie erledigte die Hausarbeiten mit einem Enthusiasmus, für den Frost sie immer wieder bewunderte. Ohne Helen würden das Büro und die Wohnung innerhalb weniger Tage in vollkommenem Chaos versinken. »Die Zeitung und die Post liegen auf Ihrem Schreibtisch. Ich habe eben frischen Kaffee und ein paar Sandwiches gemacht. Ich dachte mir, Sie werden hungrig sein, wenn sie aufwachen.«
Frost hätte Helen küssen mögen. »Was würde ich nur ohne dich machen?« Sie nahm eine Tasse dampfenden Kaffees entgegen – schwarz und ohne alles, so, wie sie es mochte – und ging zu ihrem Schreibtisch hinüber. Mit einem wohligen Seufzer ließ sie sich in den Sessel dahinter fallen und griff nach der Times.
»Ach ja, Mr. Cho war hier«, sagte Helen, als sie kurz darauf mit einem Teller vollbeladen mit den versprochenen Sandwiches aus der Küche kam und ihn neben die Kaffeetasse auf den Tisch stellte.
»Michael?«, fragte Frost verwundert und griff nach einem der Sandwiches. Helen machte die besten der Stadt, da würde sie jede Wette eingehen.
Helen nickte. »Ich habe angeboten, Sie zu wecken, Miss, aber Mr. Cho hielt es für besser, Sie schlafen zu lassen. Er wollte warten, also habe ich weiter geputzt. Aber als ich das nächste Mal ins Büro schaute, war er bereits gegangen.«
»Hat er gesagt, was er wollte?«
»Nein, Miss.« Sie schüttelte den Kopf. »Noch mehr Kaffee?«
Frost reichte ihr dankend die bereits leere Tasse und vertiefte sich wieder in die Zeitung. Die Titelseite war voll mit Bildern vom gestrigen Neujahrsfest. Aber sie war СКАЧАТЬ