Название: Elfenzeit 8: Lyonesse
Автор: Uschi Zietsch
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Elfenzeit
isbn: 9783946773320
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Außer den Büchern, Fotos und was mit seiner Arbeit zusammenhing, nahm Robert nichts aus der alten Wohnung mit.
Und damit waren sie schon im Winter, im Hier und Jetzt angekommen. Robert stand auf, nahm Tablett und Tischchen weg, setzte sich an den Bettrand und ergriff Annes Hand.
»Möchtest du auf die Insel zurück?« Sie hieß eigentlich Lan-an-Schie und stammte von der Isle of Man, und während des Schreibprozesses an Roberts Buch hatten sie die meiste Zeit dort gelebt. Robert mochte die winzige Insel und war gerade dabei, ein Cottage zu kaufen; davon hatte er Anne aber noch nichts erzählt.
Sie schüttelte den Kopf. Täuschte er sich, oder hing da tatsächlich eine Träne an der schwarzen Wimper? War das seine kühle, beherrschte Muse? Die nie die Fassung verlor, stets aus der Distanz betrachtete? Und sie konnte … weinen? Das hatte er bisher nicht gewusst, nicht einmal angenommen.
»Anne …«, stieß er erschrocken hervor.
Waren noch nicht alle Wunden abgeheilt? Hatte er etwas übersehen? Es hatte sie beide schwer erwischt gehabt, mit tiefen Verletzungen hatten sie sich durch ein Portal aus dem zum Grauen pervertierten, ehemals paradiesischen Reich des Priesterkönigs Johannes geschleppt. Gerade noch im letzten Moment waren sie dem Zorn Sinenomens, Annes Vater, entkommen. Anne hatte sie beide in die Anderswelt, in die Nähe ihrer Elfenheimat gebracht, wo sie eine Heilquelle kannte, unter der eine Ley-Linie verlief. Tage hatten sie dort verbracht, bis die Wunden sich schlossen und die Kräfte zurückkehrten. Anne war dabei übler dran gewesen als Robert, der seinen Ekel überwinden musste und nach Tieren jagte, deren Blut er trank. Einen Teil dessen, was er in sich aufgesogen hatte, gab er an Anne weiter. Robert überbrückte seine Schuldgefühle damit, indem er sich einredete, es seien Elfentiere, und er hatte auch in harter Selbstdisziplin keines von ihnen getötet. Immer nur so viel genommen, dass es keinen Schaden gab.
Aber ihn schüttelte heute noch die Erinnerung daran, mit welch wachsender Gier er den Tieren – meistens Gazellenartige – nachgestellt hatte und dann die Fangzähne in der pochenden Kehle vergrub. Er hatte bereits getötet, Elfen im Reich des Priesterkönigs, und trug die Schuldgefühle deswegen immer noch mit sich herum. Aber die Sache mit dem Blut war weitaus schlimmer. Beinahe wäre er selbst zum Tier geworden, und er hoffte inständig, dass er sich wieder in der Gewalt hatte. In München, in der Menschenwelt, war er inzwischen zum routinierten Blutbank-Dieb geworden. Er stahl aus der Zentrale, Krankenhäusern, wo sich eine Gelegenheit ergab. Auch wenn das wenig moralisch war, war es die beste Alternative, und er legte immer einen großen Geldschein hin, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Zum Glück brauchte er es nicht öfter als einmal im Monat – noch. Wie und wann Anne sich versorgte, fragte er nie. Er wusste allerdings, dass sie, klug genug, derzeit nicht tötete. Auf der Isle of Man war das schon anders gewesen.
Robert hätte sie gern an sich gezogen, ihren Kopf an seine Brust gedrückt, doch er wusste, dass ihr das menschliche Trostspenden unangenehm war. Also streichelte er nur schüchtern ihre Hand und wiederholte: »Anne …«
»Es ist alles in Ordnung«, murmelte sie.
Das sah er ganz und gar nicht so. »Nichts ist in Ordnung, Anne. Anstatt das zu sagen, hättest du mir früher eine geknallt und mich vom Bett gestoßen. Seit wir hier in München sind, wirst du jeden Tag matter und teilnahmsloser. Vielleicht sollten wir doch auf die Insel fliegen, zu deinem Ursprung …«
»Ich kann nicht dorthin!«, unterbrach sie, beinahe in gewohnter Heftigkeit. Aber dann fügte sie leiser hinzu: »Noch nicht. Und … du musst hier sein, wegen deines Buches.«
Sie waren sozusagen gerade zum Termin eingetroffen. Das Buch war draußen, der Redakteur wünschte ein Gespräch, und die Presse rannte dem Verlag die Tür ein. Bereits in den ersten beiden Tagen waren hunderttausend Exemplare über den Ladentisch gegangen und nach einer Woche die erste Million abgesetzt. In den nächsten Wochen waren Lizenzen mit beachtlichen Vorschüssen hereingeflattert.
Robert war nie stolzer gewesen, sein erstes eigenes Buch in Händen zu halten.
Ja, es war toll, reich zu sein. Und berühmt, aber ohne, dass es jemand wusste. Robert war froh, dass Anne sich mit dem Pseudonym durchgesetzt hatte. Er konnte seinen Ruhm still genießen, ohne im Rampenlicht zu stehen, das er schon immer gehasst hatte. Und jetzt in seiner neuen Existenz war es ohnehin besser, so unsichtbar wie möglich zu sein.
Was die Geheimniskrämerei betraf, wurde Robert bereits mit Thomas Pynchon verglichen, und sein Buch wurde sogar auf dieselbe literarische Ebene gestuft. Das erhöhte seinen Stolz noch mehr.
Und tröstete ihn über den Kummer hinweg, der ihn quälte.
Robert schüttelte die Erinnerungen aus dem Kopf. Es ging jetzt um Anne, nicht um ihn. Er wollte seine leidenschaftliche, temperamentvolle Geliebte wiederhaben, sich mit ihr streiten und versöhnen, ein Wechselbad der Gefühle, Achterbahn rauf und runter. Daran war er so gewöhnt und wollte nicht mehr darauf verzichten.
»Rede mit mir«, forderte er sie auf. »Ich weiß, das ist nicht deine Art. Aber du hast dich sehr verändert. Also kommt es darauf auch nicht mehr an.«
Ihr leerer Blick glitt zum Fenster. »Es ist unvorstellbar. Ich habe mich gegen meinen Vater gestellt«, wisperte sie fast unhörbar. »Nun bin ich verstoßen …«
»Du hast eigenverantwortlich entschieden«, erwiderte Robert sofort. »Dein Vater hat kein Recht, deinen Gehorsam zu fordern.«
»Das verstehst du nicht, Robert. Er ist ein mächtiger Herrscher und …«
»Anne! Hör auf mit diesem Elfenprotokoll! Du lebst schon so lange, und die meiste Zeit unter Menschen. Seit Jahrtausenden handelst du auf eigene Rechnung, hast die Verantwortung übernommen. Du bist etwas ganz besonderes, die erste und einzige Tochter von Sinenomen, dem Ursprung der Vampire. Aber du bist noch mehr als er: Du bist der Ursprung der Musen. Es mag sein, dass er ein mächtiger Herrscher ist und vielleicht einer der mächtigsten Dämonen überhaupt, aber du bist auf deine Art nicht minder mächtig als er. Und du hast ein Anrecht auf seinen Respekt. Er hätte dir zuhören sollen. Und egal, wie mächtig einer sein mag – ein hilfloses Baby schlachten zu wollen ist das abgrundtief Abscheulichste, was man tun kann, selbst für einen Dämon. Das ist unverzeihlich und du konntest es keinesfalls zulassen, denn du bist nicht so wie er.«
Annes Augen richteten sich auf ihn. Er erwiderte ihren Blick eindringlich.
»Ich glaube«, fuhr Robert fort, »dein Vater hat sich selbst genauso überlebt wie Fanmór. Sie sind beide zu starr geworden. Sie werden ihre Macht verlieren, du wirst sehen, selbst wenn die Unsterblichkeit zurückkehrt. Alle Völker der Anderswelten sind im Wandel begriffen, und nichts kann das mehr rückgängig machen.«
»Und was ist mit Bandorchu?«, fragte sie ein wenig spöttisch.
»Sie СКАЧАТЬ