Название: Mond über Beton
Автор: Julia Rothenburg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783627022921
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Stanca, du kannst mich duzen, sagt Stanca zum Jüngelchen. Dass der so höflich nach einer Rolle Toilettenpapier fragt. Herzallerliebst ist das, der Knabe, blond wie sie früher. Na ja, nicht richtig blond. Die werden ja auch immer brauner, färben sich passend zu Berlin. Genau wie sie, farblos ist sie geworden wie der Beton, den sie so liebte, damals. Neben, auf, unter dem sie sich von Heinrich lieben ließ, sie weiß gar nicht mehr, was sie sich gedacht hat, immer wieder, hach, hatte Heinrich da gelacht, mein kleines Sabinchen, da hab ich mir ja einen jungen Grashüpfer, so ein Mann wie ich.
Stanca, sagt Stanca, ich heiße Stanca.
Jüngelchen guckt ganz herzallerliebst, Grashüpfer, riesige Augen.
Bitte bitte, sagt Stanca, und: Da drüben sind sie. Da irgendwo.
Jüngelchen macht die Tür zu, diesmal richtig, sie hätte ja auch nicht gucken wollen, nicht bei so einem Jungen, wer ist sie denn. Ihre Zeit, längst vorbei. Älter als das Haus ist sie. Damit verwachsen. Wie ein Zehennagel eingewachsen, umschlossen von Haut, poröser Haut. Entzündete Zehennägel, an jedem Fuß hat sie einen. Zum Arzt ist sie ja nie gegangen.
Stanca steht im Flur und weiß nicht mehr, welcher Tag heute ist. Ach doch, ein Klopfen geht durchs Haus, langsam wie der Herzschlag. Heute ist Versammlung.
* * *
Heute ist sie ganz merkwürdiger Stimmung. Irgendwie grau, aber nicht mal das richtig, eher unentschlossen, als wäre selbst diese trübe Farbschicht nur oberflächlich aufgetragen, ist doch eh alles egal, so fühlt sich das an, scheiß auf jede Farbe, obwohl doch sonst alles Sonne ist und blau, Schwäne glücklich im Kanal, nicht am Rand. Am Rand dafür viele Touris, halbnackte Typen, irgendwo ein Ghettoblaster. Sogar die Omas, die mittags im Rewe einkaufen, waren besser gelaunt als sonst, minimal zumindest.
Ist vermutlich so, weil sie heute nicht in Onkel Mutlus Laden gearbeitet hat, sondern nur im Rewe. Da piept es ja ganz anders, und andauernd kriegt sie Telefonnummern von irgendwelchen Hipstern zugesteckt, auf Kassenbons geschrieben und einmal sogar auf eine Packung Deutsches Rind. Sonst käme sie ja auch nicht dazu, ab und an mal woanders zu übernachten. Weg von Onkel Mutlu und den vielen Augen, die im Haus aus den Wänden starren. Aber nach den ersten Dates wird es immer schnell langweilig, darum macht sie so was nicht oft.
Aber so: An den Tagen, an denen sie nur im Rewe arbeitet, fehlt einfach was. Und da kriegt sie dann gleich so eine Wut, wenn am Kanal jemand denkt, er müsste mit seinem Ghettoblaster alle im Umkreis von tausend Metern mitbeschallen. Und dann fängt auch noch irgendein Volldepp an, Saxofon zu spielen. Aber selbst ihre Wut ist ja trübe. Irgendwo reinschlagen wäre jetzt gut, aber den Arm dafür heben: keinen Bock.
Wenigstens ist Burak nicht am Kanal, zumindest hört sie nirgendwo seine Stimme, oder sie überhört sie wegen des Saxofons. Dafür kommt ihr schon wieder so ein Milchknabe entgegen, gemächlicher Schritt in seinem Hipster-Parka, bleibt viel zu lange an ihr kleben mit seinem Blick. Dann erst sieht sie den Kinderwagen. Ach nee. Kind haben und dann trotzdem so gucken. Schaut zu ihr hin und dann wieder weg, während die eine Hand den Kinderwagen schiebt, als wäre der nur ganz zufällig da. Aus dem Kinderwagen ragt steil ein Bein heraus, auf dieselbe Art einfarbig und glatt, wie nur Kinderbeine es sein können, oder Schaufensterpuppen.
Der Typ ist fast bei den Stufen, der Fußweg dort ist eng. Aylin geht etwas schneller, will vor ihm da sein, ein paar Äste knacken. Sie kann jetzt als fleischiges, rosa Etwas ein Gesicht hinter dem Netzstoff des Kinderwagens erkennen.
Der Typ bleibt stehen, genau da, wo der Weg am engsten ist. Vorbei kommt sie jetzt nicht mehr.
Bleibt sie eben auch stehen, patt. Die Reifen des Wagens kratzen auf dem Boden herum, kratzen sich bedrohlich ihrem Fuß entgegen.
Hallo, sagt der Typ. Guckt immer noch so komisch. Er lässt sich Zeit beim Gucken, erst ihren langen, offenen Mantel runter, dann hoch. Dann zu seinem Kinderwagen zurück, als fiele ihm der erst jetzt wieder ein. Das Kind schweigt und glubscht daraus hervor wie eine Porzellanfigur.
Süßes Kind, sagt Aylin. Total schnuckelig.
Ja, äh, sagte der Typ, blonde Fussel von Bart sorgsam über das Gesicht verstreut. Das Kind, eigentlich eher Baby, hinter dem Sichtschutz bläst die Backen auf.
Tja, sagt Blondie.
Tja, sagt Aylin. Bisschen eng hier.
Also wenn ich dann –
Der Junge deutet an ihr vorbei.
Aha, na klar. Als ob sie jetzt zur Seite treten würde. Nee. Aylin rammt die Beine in den Boden.
Weißt du, sagt sie. Ich bin ja selbst, nun ja. Sie fasst sich an den Bauch, streicht einmal darüber, wie man das so macht. Der Typ checkt das natürlich nicht, muss mit seinem Blick erst ein paarmal ihrer streichelnden Hand folgen, hoch und runter, jedes Mal glotzen seine Augen etwas mehr heraus.
Ah, sagt er dann. Oh.
Ich überlege, ob ich – na ja. Ist ja schon schwer, eine Entscheidung. Man könnte es bereuen, wenn man das jetzt. Ist ja schon süß, also so ein – haaach, ich weiß doch auch nicht, was ich –
Ich wusste gar nicht, dass –, sagt der Junge und schaut zu ihrem Bauch unter dem Mantel, dann hoch bis zum Hals, wo der Mantel eine Naht zu ihrem Gesicht bildet, dann wieder zurück auf ihren Bauch.
Also, dass man das bei euch. Dass das erlaubt –
Ja, sagt Aylin. Ihr Bauchstreicheln hat wohl etwas Hypnotisches. Selbst das Baby stiert ohne Wimpernschlag durch den Netzstoff.
Dürfte ich vielleicht mal, fragt Aylin und deutet auf das Netz.
Oh, sagt der Junge. Äh.
Nur um zu schauen, wie –
Ja, sagt er. Ja klar.
Das königliche Baby trägt einen Baumwollstrampler und ein kleines Mützchen, das ihm wie eine Bratpfanne auf dem Kopf sitzt, und sabbert ganz unköniglich. Der Junge hält es ihr hin mit ausgestreckten Armen. Das Baby baumelt daran und sagt nichts. Lässt nur die Beine hängen. Dann sperrt es doch den Mund auf, gähnt.
Aylin stopft sich das Baby in die Armbeuge, wiegt es hin und her. Wow, sagt sie. Was da alles dran ist!
Stimmt aber auch wirklich. Und schwer ist das Ding. Dabei aber irgendwie leblos, wie ein Fleischsack, warm zwar und mit beweglichen Knochen, aber ohne Sinn.
Ja, haha, sagt der Typ und streicht sich über den Bart. Nicht mal ein Knistern macht das wie bei einem richtigen Bart. Er kratzt sich hinter den Ohren. Noch blitzen seine Augen.
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