Mond über Beton. Julia Rothenburg
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Mond über Beton - Julia Rothenburg страница 6

Название: Mond über Beton

Автор: Julia Rothenburg

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783627022921

isbn:

СКАЧАТЬ Augen, Hilal, sind wunderschön in diesem Licht.

       Meine Geschichte hat zwei Väter.

       Meine Väter: zwei weiße Männer. Saßen nachts in einem Zimmer, saßen tags in einem Zimmer, zwei Freunde vielleicht, es spielt keine Rolle. Wer gemeinsam so ein Kind zeugt, ist bald schon nicht mehr befreundet.

       Ich war ein Wunschkind. Die Zeitungen schreiben heute etwas anderes, schreiben, ich sei schon hässlich zur Welt gekommen, oder tot, meine Väter: zwei Männer, die mit Bauklötzen spielten wie stumpfsinnige Kinder, die ihre Allmachtsfantasien in Papier gossen und dann in Beton, die sich dachten, sie wüssten, wie man Häuser schafft. Wie Menschen leben.

       Aber zu Beginn: Man wollte mich, man lobte mich, man liebte mich. Man applaudierte, als sie mich präsentierten. Es waren viele Zuschauer gekommen, im Dezember 1970 in die Kneipe »Die kleine Weltlaterne«. Es wurde noch geraucht damals, die Luft war trübe, dazwischen glimmende Augen und Zigarettenenden. Man schrieb Artikel, in denen meine Geburt verkündet wurde. Man wartete auf mich, freudig. So war das.

       So war das wirklich.

       Aber das Happy End blieb aus. Die Vorfreude hat sich selbst gegessen und ist am Beton erstickt.

       Ich wurde zu spät geboren.

      Einfach beschissen ist das. Da hat er die ganze Einstellung fertig, und dann ist da an der Seite dieser Streifen Rosa. Dreimal hat er die Kamera jetzt schon ausgerichtet, mindestens. Das kann doch nicht so schwer sein, dass man nur ihn sieht und den weißen Teppich, genau bis zum Rand, nicht weiter, ohne rosa Wand. Wenn er das hochgeladen hätte – das Internet vergisst ja nie und so.

      Wenn er Burak wäre, hätte er schon längst was wegen der Wand gemacht. Ist doch egal, wenn baba sagt, dafür ist kein Geld da und schon gar keine Zeit. Wofür hat der kleine Pisser denn seine tollen Kumpels? Wofür zieht der denn sonst kleine Mädchen ab?

      Und jetzt hat natürlich er die Scheiße, weil er mit der rosa Wand arbeiten muss. Da bringt es auch nichts, dass Burak über das Rosa was drübergehängt hat und seine Fußballbettwäsche auf dem Bett darunter und der restliche Mist. Sieht man ja doch als Erstes das Rosa. Dabei ist das ein ganz simples Video, Bizepstraining, die Follower warten darauf, wenn er da erst die ganze Playlist vollständig hat, das ist nicht so ein Fit-in-den-Frühling-Scheiß, wie ihn dieser Justin macht, auf den alle so abfahren. Bei ihm sieht man wirklich, wie das geht. Und er labert auch nicht so dumm rum. Hundert Prozent Erfolgsgarantie, mindestens. Das sagt er in jedem Video. Ist ja auch wichtig, immer zu motivieren. Das hat er von Kaan gelernt. Da bleiben die Leute dabei. So gewinnt man Follower und Abos.

      Jetzt hat er die Kamera endlich richtig ausgerichtet. Nervt natürlich, dass er so nah ranzoomen muss, damit man Buraks Wand nicht sieht. Da kommen die Armübungen nicht wirklich zur Geltung. Breite Schultern, dafür braucht er breites Format. Wieder etwas rausgezoomt, wieder rosa Ecke.

      Barış weiß gar nicht, wie seinen Eltern das passieren konnte. Dass Burak ein kleiner Pisser wird und kein Mädchen, das hätte man doch schon im Bauch merken müssen. Bei ihm ist ja schließlich auch keiner auf die Idee gekommen, seine Seite rosa zu streichen. Aber Burak war ja eh so ein kleines Püppchen, als er zur Welt kam. Oh, ist der süß. Was für lange Wimpern. Scheiß lange Wimpern hatte das kleine verschlagene Ding.

      Also noch mal, etwas zoomen, alles startklar, das rote Lämpchen ist an. Jetzt ist zwar was von seinem Bett auf der anderen Seite der Wand zu sehen, aber besser als Rosa.

      Barış kämmt sich wieder durch die Haare, rückt die Kette zurecht. Ist die Beleuchtung korrekt? Ja, passt alles.

      Was er jetzt macht, hat er noch nicht hundert Prozent drauf, aber er wird immer besser: gucken wie Kaan.

      Aufgepasst, Leute, heute zeige ich euch –

      Nein, das klang scheiße. Ist nicht einfach, den richtigen Ton zu treffen. Aber wenn man’s einmal raushat. Einfach lässig, einfach lässig gucken, Haare richten, Schultern nach hinten.

      Hey Leute, heute zeige ich –

      Hey Leute, ich bin Barış und voll die Schwuchtel, und ich zeige euch heute, wie ich meinen –

      Verpiss dich, sagt Barış, aber Burak denkt gar nicht daran. Spastet auf seinem Bett rum und glotzt immerzu rüber. Hat sogar die Tür offen gelassen. Man hört, wie irgendwer im Hausflur einen Trolley über den Boden zieht.

      Mach ruhig weiter, ich stör auch gar nicht.

      Ich versuch, hier zu drehen, also verpiss dich.

      Gib Kohle, dann geh ich.

      Barış greift zur Hantel, der leichtesten, und wirft sie, na klar bringt das Armmuskeltraining was, ein schöner Bogen ist das, sie kracht auf das Bett, direkt neben Buraks Fuß.

      Bist du behindert?

      Burak hechtet rüber und versucht, ihm die Faust in den Bauch zu rammen, aber Barış kann niemand so leicht was. Er kennt Buraks Tricks. Hat er ihm doch selbst beigebracht. Damals, als er noch nicht so coole Freunde hatte, als er noch heulend auf seiner Mädchenseite saß. Und dann liegt die kleine Ratte schon mit dem Gesicht in den Teppichflusen.

      Jetzt verpiss dich endlich.

      Ich erzähl’s baba, sabbert Burak in den Teppich und strampelt ein bisschen, und Barış lässt los, und da rennt sie, die Ratte.

      Baba, baba, jammert Barış in die Kamera.

      Das rote Lämpchen blinkt noch immer. Barış muss seine Haare neu machen. Und wohl ziemlich viel rausschneiden. Toll, wenn er das heute fertigkriegen will, hat er jetzt echt Stress. Aber seine Follower warten zu lassen, das geht gar nicht, da verliert man sofort alle Abos. Weiß er auch von Kaan.

      * * *

      Stanca steht im Flur und weiß nicht, wie viel Uhr es ist. Die Uhr, die Küchenuhr, ist kaputt, stehengeblieben um drei Uhr fünfzehn in der Nacht, aber jetzt ist es hell, gleißendes Hell von draußen, und im Bad rauscht es.

      Jonas hat die Badezimmertür nicht geschlossen. Wohl vergessen, das kleine, sorglose Jüngelchen. Bestimmt aufgewachsen irgendwo, wo man die Badtür offen lässt. Wo man den Vater und die Mutter nackt den Flur entlangwieseln sieht, die nackten Körper voller Stolz. Studierte Eltern bestimmt, so sieht das Jüngelchen aus. Aber selbst ganz große Augen, ganz große Ohren. Schleicht in der Wohnung rum, schleicht um alles herum und glotzt.

      Vielleicht sind alle Männer so, bevor sie zu Männern werden. Erst alles glotzend in sich aufsaugen, und dann.

      Entschuldigen Sie, wo ist denn das Klopapier?, fragt Jüngelchen.

      Ob er auch ein großer Mann sein wird? Ein Mann, der ein Mädchen. Der ein Mädchen hierherbringt?

      Alexandru hieß ihre erste Liebe. Auch noch ein Junge damals, auch so schlank, auch so glatte Haut, dunkle Augen, Zottelkopf, Segelohren zwischen den Haaren. Weil er Rumäne war, konnte das nichts werden. Und dann kam der Deutsche. Und dann kam Deutschland, Berlin. Das Kottbusser Tor, erst der Altbau, keine Toilette in der Wohnung, Putz, der bröckelte, Wände, die aussahen, als hätte da jemand. Und dann kam die Wohnung im NKZ, die richtige, die, in der sie sterben wird, wenn es so weit ist. Sie denkt: Wenn ihre Eltern sie früher besucht hätten, nicht erst nach der Wende, als sie schon hier wohnten, im СКАЧАТЬ