Название: Und wenn die Welt voll Teufel wär ...
Автор: Heinrich Christian Rust
Издательство: Bookwire
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783862567638
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Eine Welt – oder viele Welten?
In der Welt habt ihr Bedrängnis; aber seid guten Mutes, ich habe die Welt überwunden. Johannes 16,33
»Wo soll das bloß noch alles enden?« Seufzend legte mein Großvater die Tageszeitung aus der Hand. Die Meldung von der Landung auf dem Mond hatte ihn erschüttert. In seiner Weltanschauung waren Mondlandungen nicht vorgesehen. Diese neuen technischen Errungenschaften machten ihm zudem Angst.
Heute sind es andere Meldungen, die uns die Wahrheit der jesuanischen Aussage von der »Bedrängnis in der Welt« vor Augen führen: Das explosionsartige Wachstum der Weltbevölkerung und die damit verbundenen Herausforderungen; die drastische Zunahme an Gewaltkonflikten im In- und Ausland; die unkalkulierbare Entwicklung der Informationstechnik und nicht zuletzt die stark umstrittenen Fortschritte in der Genforschung. Wo soll das bloß enden? Gibt es überhaupt ein Ende? Verbergen sich hinter den Meldungen aus dieser Welt noch andere Welten?
Spätestens dann, wenn wir die erschütternden Auswirkungen der beiden Weltkriege sehen, wenn wir im menschlichen Leben die Bosheit einer Bestie zu erkennen glauben, stellt sich die Frage nach dem Weltverständnis. Dazu kommen die unzähligen Entdeckungen und Offenbarungen, die wir mit einer von der Aufklärung geprägten Weltsicht nicht deuten können. Hilflosigkeit macht sich breit und endet häufig in einer Sprachlosigkeit oder auch in einer vom Intellekt abgehobenen Religiosität. Da, wo die unsichtbare Welt nicht zur realen Welt zählt, lauert die Gefahr des modernen Aberglaubens. Zudem bekommt sie etwas Exotisches; das Fremde interessiert und lockt die suchenden Geister an. Fallen wir nun zurück in ein Weltverständnis des Mittelalters? Welche Weltsicht vermittelt uns die Bibel?
1. Von antiken Weltanschauungen zum rationalistischmaterialistischen Weltbild
Wer heute noch von Himmel und Hölle, von Engeln und Dämonen und von der unsichtbaren Welt spricht, als sei sie selbstverständlich und begreifbar, der handelt sich schnell den Vorwurf ein, man wolle zurückfallen in den Aberglauben des Mittelalters. Wir wissen von den schrecklichen Folgen einer geradezu naiven Vorstellung von der unsichtbaren Welt. Zwischen 1450 und 1700 wurden allein über 100 000 Menschen als angebliche Hexen und Hexer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Das so genannte »finstere Mittelalter« wurde deshalb so dunkel, weil immer mehr Menschen die Macht des Bösen überbetonten und schließlich hinter jedem Kritiker und hinter jeder übersinnlichen Macht den Bösen vermuteten.1 Die kirchliche Inquisition sah hinter all dem das kosmische Komplott Satans gegen die christliche Kirche und damit gegen die christliche Gesellschaft.
Grundlegend für diese Ansicht war das sogenannte »biblische Weltbild« (Empyreum) der frühen und mittelalterlichen Christenheit, das sich die Wirklichkeit mit Himmel, Erde und Hölle wie in drei Stockwerken gegliedert dachte. Da gibt es ein »oben« und ein »unten«; da bekommt das Unsichtbare Namen und Gestalt. Mittelalterliche Darstellungen vom Teufel und von Dämonen müssen geradezu als naiv betrachtet werden. Attribute wie Hörner, Pferdefuß und Schwanz sind Produkte menschlicher Phantasien, die mit der Wirklichkeit satanischer Existenz nichts zu tun haben. Diese Vorstellungen von einer jenseitigen räumlichen Welt des Bösen hielten sich bis in die Tage der Aufklärung erstaunlich hartnäckig. Man stellte sich vor, dass über bzw. unter unserer Welt das Jenseits lag, ein Raum, der naiv räumlich gedacht wurde und an dem sich Gottes Engelheere bzw. die dämonischen Heere des Teufels aufhielten.
Obwohl Nikolaus Kopernikus (1473–1543) durch seine Entdeckung, dass die Sonne und nicht die Erde den Mittelpunkt unseres Planetensystems darstellt, bereits eine grundlegende Änderung in der Weltsicht einläutete, stellte erst der italienische Philosoph Giordano Bruno (1548–1600) die Existenz eines Jenseits als Ort der unsichtbaren Welt völlig infrage. Die Vorstellung einer jenseitigen Welt mit Engeln, Dämonen und unsichtbaren Mächten wich einer Sicht, in der alles innerweltlich verstanden werden musste. Obwohl man Giordano Bruno nach siebenjähriger, schmählicher Haft schließlich als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannte, konnte die Kirche nicht mehr einfach in den traditionellen Denkschemata bleiben.2 Dennoch hielt sie an der Grundüberzeugung fest, dass es eine unsichtbare Welt gebe, wenngleich ihr Ort nicht mehr eindeutig auszumachen sei.
Die Reformatoren sprechen mit einer großen Selbstverständlichkeit von Engeln und Dämonen. Besonders Martin Luther ging in seiner Frömmigkeit und Theologie von der Existenz Satans aus. »Nullus diabolus, nullus redemptor« (Wo kein Teufel ist, braucht es auch keinen Erlöser!) – diese Einsicht prägte auch die Theologie der Reformatoren. Luther lehnte die »neuen Astrologen« ab, sah jedoch auch die Auffassung vom Empyreum kritisch, in der Christus als im Himmel thronend gedacht wurde. Von besonderer Aktualität dürfte ein Predigtausspruch von 1520 sein: »Wenn sie mit dem Kopf durch den Himmel bohren und sehen sich in dem Himmel um, da finden sie niemand; denn Christus liegt in der Krippe und in des Weibes Schoß.«3 So konnte sich die klassische Auffassung von einem dreistufigen Weltbild zwar nicht mehr richtig halten, doch auch das neu entstehende Weltverständnis der aufkeimenden Aufklärung hieß die Kirche zunächst nicht willkommen.
Dieses aufklärerische Weltbild wurde entscheidend von den Philosophen René Descartes (1596–1650) und Baruch Spinoza (1632–1677) definiert. Auch die Naturwissenschaftler Galileo Galilei (1564–1642), Robert Boyle (1626–1691) und Isaac Newton (1643–1727) trugen dazu bei, dass ein neues Weltverständnis Ausbreitung fand. Dieses neue Weltbild ließ die verschiedenartigsten weltanschaulichen bzw. religiösen Deutungen zu. Der Geltungs- und Wahrheitsprimat der biblischen Offenbarung wurde jedoch mehr und mehr eingeschränkt. So rückte, allgemein gesprochen, auf vielen Forschungsgebieten die Offenbarung immer mehr an die zweite Stelle hinter die Vernunft.
Ausgenommen von dieser Tendenz war die Theologie, besonders in Deutschland. Aber schon bald erschütterte der aufkeimende Deismus auch die Theologie. Der Deismus geht davon aus, dass der Mensch alles, was er zur rechten Erkenntnis Gottes und seines Willens benötigt, in seiner eigenen vernünftigen Natur finden könne; die biblische Offenbarung kann deshalb nichts anderes aussagen als das, was man ohnehin mit der Vernunft erkennen könne. Die deistische Denkweise wurde angeführt von Herbert von Cherbury (1583–1648), John Toland (1671–1722), Thomas Morgan (1680–1743) oder auch Matthew Tindal (1656–1733). Erst durch Gottfried W. Baron von Leibnitz (1646–1716) findet das »neue Denken« stärkeren Einfluss in der Theologie. Leibnitz verstand sich nicht ausschließlich als Theologe; er gab den theologischen Aussagen in seinen Werken jedoch ihre klare Platzanweisung. Auch Gott ist in seinen Offenbarungen in gewissen Grenzen zu sehen. Diese Grenzen werden von der Natur gesetzt. Alle Offenbarung ist demnach der Vernunft des Menschen zuzuordnen. Mit diesem Ansatz versucht Leibnitz letztlich, die biblische Offenbarung »verständlich« zu machen. In seiner Schule steht Christian Wolff (1679–1754), der, bahnbrechend für die rationalistische Wissenschaft, Methoden der Erkenntnis festschreibt. Immer noch ging es darum, nachzuweisen, dass die biblische Offenbarung letztlich mit der rationalen Erkenntnis der Wissenschaft in Übereinstimmung stehe.
Viel kirchenfeindlicher und radikaler waren die Ansätze der französischen Aufklärer Voltaire (1694–1778) oder auch Julien Offray de Lamettrie (1709–1751). In Deutschland setzte sich zunächst eine gemäßigte theologische Position durch, die versuchte, das Gegeneinander von Vernunft und Offenbarung durch eine wie auch immer geartete Zuordnung zu lösen. Die älteren Vertreter dieser als Neologie verstandenen theologischen Schule waren die Berliner Theologen Johannes Joachim Spalding (1714–1804) und August F. W. Sack (1703–1786). Es ließ sich jedoch nicht vermeiden: Christliche Theologie verstand sich immer mehr im Sinne des Rationalismus; das Christentum wurde zunehmend als eine Vernunftreligion definiert, in der das Übersinnliche, das nicht durch die Vernunft Erfassbare, verschwand. Diese Vernunftreligion СКАЧАТЬ