Odermatt saß Bannister und seinem Hausautor gegenüber, genoß den Hummer, den Abend und die Vorstellung, daß er morgen abend allein durch Pat Pong streifen würde. Er wunderte sich, daß ein solches Viertel so nahe bei einem Nobelhotel liegen konnte, aber in der Stadt der Kontraste steht alles auf engstem Raum: Buddha-Tempel und Stundenhotels, fromme Bettelmönche und brutale Heroinhändler, Armut und Verschwendung, Geld und Liebe.
Casagrande sah, daß Odermatts Blick plötzlich starr wurde. Die Augen im teigigen Gesicht weiteten sich vor Überraschung.
»Nicht umdrehen«, sagte der Mann aus Zürich. »Sitzen Sie gut auf Ihrem Stuhl, Casagrande? Am besten halten Sie sich auch noch am Tisch fest. So, und jetzt wenden Sie den Kopf, ganz vorsichtig nach links«, wies er ihn an. »In Richtung des gelben Lampions — übernächster Tisch.«
Der Mann aus Monte Carlo folgte der Anweisung, mechanisch wie eine schnurgelenkte Puppe, mehr höflich als interessiert.
»Dear me«, sagte Bannister, der der Blickrichtung gefolgt war. »Really unbelieveable.«
»Wirklich nicht zu fassen«, stimmte ihm Casagrande zu, als er sich von seiner Verblüffung erholt hatte.
Martin Laimer saß neben der schönen Unbekannten mit der ungarischen Mutter, dem deutschen Vater, dem US-Adoptiv-Daddy und der Jugendzeit in vielen Ländern der Erde. Im spärlichen Licht wirkten die beiden wie ein Liebespaar; sie machten auch keine großen Umstände zu verbergen, daß sie einander nahestanden.
»Alle Achtung«, stellte der Geldmann fest. »Dieser Laimer hat uns ja ganz schön geleimt —«
»Richtig schlitzäugig, seine Besprechung mit dem Thai-Geschäftsfreunds bemerkte Bannister und lächelte schief. »Seht euch diesen Narren des Glücks an —«
»Der Kerl wirft glatt das Konzept meines neuen Romans um«, grollte Casagrande. »Der bringt meine ganze Dramaturgie durcheinander«, setzte er aufgebracht hinzu.
»Vielleicht hat Mr. Laimer ausnahmsweise einmal mehr Phantasie gehabt als du«, versetzte ihm Bannister einen Seitenhieb.
Sie drehten sich alle drei noch einmal und sahen zum gelben Lampion hin, wie um sich zu überzeugen, daß sie richtig gesehen hatten.
Daran konnte es keinen Zweifel geben.
4
Die improvisierte »Hole-in-one«-Feier im Clubhaus hatte sich in die Länge gezogen, denn die Gäste waren zu Gegeneinladungen übergegangen, um die Heldin des Tages zu feiern. Endlich gelang es den beiden Golferinnen, sich nach einem kleinen Imbiß loszureißen; schließlich würden sie morgen mittag abfliegen.
Es begann bereits zu dunkeln, als sie in Vale do Lobo wegfuhren. Die Nacht warf ihre Schatten voraus, doch ein zunehmender Mond zog am Himmel auf, bereit, die wunderbare Landschaft zu versilbern. »Dieses As war ein herrlicher Abschluß deiner Algarve-Tage«, stellte Milena fest.
»Herrlich schon«, erwiderte Lulu lachend, »aber mit fünfzehn Flaschen Schampus auch ziemlich kostspielig.«
Sie erreichten den Feriensitz der Deutlers. Nach dem Trubel im Clubhaus genossen die beiden nunmehr die Stille; sie war trügerisch — die Ruhe vor dem Sturm, den Lulus Enthüllungen bei ihrer Freundin auslösen müßten. Sie rauchte schweigend, suchte einen Einstieg in ein Gespräch, das sie dem Düsseldorfer Bankier Keil abnehmen sollte.
Der Abend war kühl, aber nicht kalt. Die beiden Frauen saßen auf der Terrasse, hoch über der Steilküste, und sahen auf das Meer hinaus. Ein säuselnder Wind streichelte die Wellen des Atlantiks, sie schrubbten den Strand und gluckerten dabei vor Zufriedenheit. Die Positionslampen der Fischerboote leuchteten wie Glühwürmchen.
»Ganz bestimmt werde ich zur Zeit der Mandelblüte wieder hier sein«, gab sich Milena selbst das Versprechen. »Diese Pracht kann man sich einfach nicht entgehen lassen.«
Lulu Casagrande nickte, wiewohl sie ihre Zweifel hatte. Wenn ihre Freundin nicht sofort handelte, würde sich Milenas Vater — und dadurch auch sein Konzern — in einen beispiellosen Schlamassel hineinmanövrieren. Die Wienerin kannte ihn nur flüchtig; flüchtig schien ihr das richtige Wort zu sein, denn bei allen Ereignissen, die nichts mit seiner Firma zu tun hatten, wirkte der Industrielle wie auf der Flucht. Gesellschaftliche Verpflichtungen, soweit sie Martin Laimer überhaupt anerkannte, absolvierte er gewissermaßen im Laufschritt. Wohl fühlte sich der Unternehmer offensichtlich nur im Kreise seiner Entwicklungs-Ingenieure; er hatte vermutlich nur Bits und Chips im Kopf, was immer das sein mochte.
»Hat sich dein Vater eigentlich nach dem Tod deiner Mutter sehr verändert?« fragte Lulu behutsam.
»Überhaupt nicht«, erwiderte Milena. »Er ist ein Mann, der sich nie ändert; er ist offensichtlich schon fertig auf die Welt gekommen.« Sie sprach ohne Eifer und Zorn. »Ohnedies ist er in letzter Zeit meistens in Amerika. Wir führten von jeher alles andere als ein normales Familienleben.« Ihr Lächeln war zweckentfremdet. »Manchmal habe ich mir überlegt, ob wir überhaupt eine Familie sind.« Milena wickelte sich fröstelnd in ihre Stola. »Vielleicht bin ich auch nur undankbar. Mein Vater hat immer bestens für meine Mutter, für mich und für meine Tochter gesorgt, und letztlich auch für das berufliche Fortkommen meines Mannes. Nie hat er einen Geburtstag überfahren oder sonst ein Familienereignis. Nie blieb ein auch nur angedeuteter Wunsch unerfüllt. Wir bekamen, was wir wollten, stets in allerbester Ausführung. Aber diese Geschenke schienen irgendwie vom Fließband zu kommen. Verstehst du mich, Lulu?«
»Nicht ganz.«
»Alle Aufmerksamkeiten meines Vaters wirkten seltsam unpersönlich, wie fernbestellt, nach dem Terminkalender. Immer großzügig, und doch schien stets etwas zu fehlen.«
»Die persönliche Zutat«, stellte Lulu fest.
»Das ist es wohl«, erwiderte die Freundin.
»Aber das soll kein Vorwurf sein, vielleicht ist es mit den Präsenten, die ich ihm mache, genauso. Vermutlich begehe ich den gleichen Fehler. Wir sind — wir waren — von jeher — eine ziemlich kühle Familie. Auf unseren Beziehungen lag immer so etwas wie Rauhreif.« Milena lächelte gezwungen. »Keine Auseinandersetzungen. Keine Probleme. So gut wie nie Streit. Natürlich auch keine Affären.«
»Wie alt ist dein Vater jetzt?«
»Er wird einundsechzig«, antwortete Milena. »Aber das siehst du ihm nicht an.«
»Macht er sich jung?« fragte Lulu.
»Nein. Er war eigentlich niemals richtig jung, und so wirkt er jetzt auch nicht wirklich alt.«
»Keine modischen Anzüge, keine bunten Krawatten?«
»Wie kommst du darauf?« fragte die Hausherrin verständnislos.
»Nun ja, Martin Laimer ist jetzt ins gefährliche Alter gekommen —«
»Da kennst du ihn aber schlecht. Er hat sich nicht einmal eine Midlife-Crisis geleistet.«
»Er macht sich nicht viel aus Frauen?« fragte die Frau des Romanciers direkt.
»So würde ich es nicht formulieren«, erwiderte Milena nach kurzem Nachdenken. »Mein СКАЧАТЬ