Название: Geteilt durch Null
Автор: Ted Chiang
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783965090385
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Sie waren auf einen Speicher gestoßen.
Er musste nach unten zum höchstgelegenen Schiebestein, bevor dieser sich schloss. Seine Beine wären am liebsten die Stufen hinabgesprungen, doch er wusste, dass er sich dann nicht würde aufrecht halten können, und die tosende Strömung hätte ihn mitgerissen und höchstwahrscheinlich zu Tode geschmettert. So schnell er sich traute, ging er die Stufen hinab, eine nach der anderen.
Er rutschte einige Male aus, schlitterte jedes Mal bis zu einem Dutzend Stufen hinunter; sein Rücken schrammte über die Felsstufen, doch er spürte keinen Schmerz.
Die ganze Zeit rechnete er damit, dass der Tunnel über ihm einstürzen oder das gesamte Gewölbe aufbrechen, der Himmel sich unter seinen Füßen auftun und er zusammen mit dem himmlischen Regenguss auf die Erde fallen würde. Jahwes Strafe kam über sie, eine zweite Sintflut.
Wie weit war es noch bis zum Schiebestein? Der Tunnel schien kein Ende zu nehmen, und das Wasser strömte nun sogar noch schneller herab. Hillalum rannte buchstäblich die Treppe hinunter.
Plötzlich stolperte er und klatschte in flaches Wasser. Er war über das Ende der Treppe hinaus gerannt und in die Kammer mit der Schiebetür gefallen, und hier reichte ihm das Wasser bis über die Knie.
Er richtete sich auf und sah Damqiya und Ahuni, zwei andere Bergarbeiter, die ihn ebenfalls gerade bemerkten. Sie standen vor dem Steinblock, der bereits den Ausgang versperrte.
»Nein!«, schrie er.
»Die haben den Zugang schon verschlossen!«, schrie Damqiya. »Sie haben nicht gewartet!«
»Kommt noch jemand?«, rief Ahuni ohne Hoffnung. »Vielleicht können wir den Stein bewegen.«
»Da kommt niemand mehr«, erwiderte Hillalum. »Können sie den Stein von der anderen Seite bewegen?«
»Sie können uns nicht hören.« Ahuni schlug mit einem Hammer gegen den Granit, doch das Geräusch ging im Getöse des Wassers unter.
Hillalum sah sich in der kleinen Kammer um und bemerkte erst jetzt, dass ein Ägypter mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb.
»Er ist gestorben, als er die Treppe runterstürzte«, schrie Damqiya.
»Gibt es nichts, was wir tun können?«
Ahuni blickte nach oben. »Jahwe, verschone uns.«
Die drei standen im ansteigenden Wasser und beteten verzweifelt, doch Hillalum wusste, dass es vergebens war: Sein Schicksal hatte ihn nun doch eingeholt. Jahwe hatte von den Menschen nicht verlangt, den Turm zu errichten oder das Gewölbe zu durchbohren; die Menschen allein waren für die Entscheidung, den Turm zu bauen, verantwortlich, und sie würden bei diesem Unternehmen ihr Leben lassen, so wie bei jeder anderen Anstrengung, der sie auf Erden nachgingen. Ihre Rechtschaffenheit konnte sie nicht vor den Folgen ihrer Taten schützen.
Das Wasser erreichte ihren Brustkorb. »Lasst uns nach oben gehen«, rief Hillalum.
Sie mühten sich gegen die Strömung den Tunnel hinauf, während das ansteigende Wasser ihnen auf den Fersen blieb. Die wenigen Fackeln, die den Tunnel erhellten, waren ausgegangen, sodass sie die Stufen im Dunkeln hinaufstiegen, Gebete murmelnd, die sie nicht hören konnten. Die Holztreppen am Ende des Tunnels waren fortgerissen worden und hatten sich weiter unten im Tunnel festgeklemmt. Sie kletterten über die Holztrümmer, bis sie die glatte Steinrampe erreichten. Dort warteten sie ab, bis das Wasser sie höher hinauftrug.
Wortlos harrten sie aus, denn ihre Gebete waren erschöpft. Hillalum stellte sich vor, dass er im schwarzen Schlund Jahwes stand, während der Mächtige tief von den Wassern des Himmels trank, bereit, die Sünder hinunterzuspülen.
Das Wasser stieg weiter an und trug sie aufwärts, bis Hillalum mit den Händen die Decke berühren konnte. Der große Riss, durch den das Wasser hereinströmte, befand sich gleich neben ihm. Nur eine kleine Luftblase war noch übrig. Hillalum schrie: »Wenn diese Kammer voll ist, können wir himmelwärts schwimmen.«
Er wusste nicht, ob die anderen ihn gehört hatten. Als das Wasser die Decke erreichte, holte er ein letztes Mal Luft und schwamm durch den Riss. Er würde näher am Himmel sterben als je ein Mensch zuvor.
Der Spalt zog sich viele Ellen lang hin. Sobald Hillalum ihn durchquert hatte, entglitt die Steinschicht seinen Fingern, und seine zappelnden Glieder berührten nichts mehr. Einen Moment lang spürte er, wie eine Strömung ihn erfasste, dann war er sich dessen nicht mehr sicher. Nur von Schwärze umgeben, überkam ihn wieder dieses entsetzliche Schwindelgefühl, das ihn beim ersten Anblick des Himmelsgewölbes ergriffen hatte: Er wusste nicht mehr, wo oben und unten war, rechts oder links.
Er strampelte mit den Beinen, hätte aber nicht sagen können, ob er sich vorwärtsbewegte.
Womöglich trieb er hilflos in ruhigem Wasser, womöglich aber wurde er von einer rasenden Strömung herumgewirbelt; er spürte nichts außer betäubender Kälte. Nirgends sah er irgendein Licht. Hatte das Wasser des Speichers keine Oberfläche, wo er auftauchen könnte?
Dann stieß er wieder gegen Stein. Seine Hände ertasteten einen Riss in der Wand. War er wieder dort, woher er gekommen war? Er wurde gewaltsam hineingezogen und hatte keine Kraft mehr, sich dem zu widersetzen. Er wurde in den Tunnel gespült und gegen die Wände geworfen. Der Tunnel war unglaublich tief, wie ein langer Minenschacht. Seine Lungen fühlten sich an, als wollten sie bersten, doch der Tunnel nahm immer noch kein Ende. Schließlich konnte er nicht länger die Luft anhalten und atmete aus. Die Schwärze, die ihn umgab, drang in seine Lunge ein – er würde ertrinken.
Doch auf einmal wichen die Wände vor ihm zurück. Er wurde von einem tosenden Strom weitergetragen, spürte Luft über dem Wasser! Dann spürte er nichts mehr.
Hillalum erwachte mit dem Gesicht auf kaltem Stein. Er konnte nichts sehen, aber in der Nähe seiner Hände Wasser fühlen. Er drehte sich um und stöhnte; alles tat ihm weh, er war nackt und seine Haut an vielen Stellen aufgeschürft oder von der Nässe runzelig, doch er atmete Luft.
Nach einiger Zeit gelang es ihm schließlich aufzustehen. Wasser umfloss geschwind seine Knöchel. Ein Schritt in eine Richtung, und das Wasser wurde tiefer. In die andere Richtung, und er stand auf trockenem Stein – Schiefer, dem Gefühl nach.
Es war völlig dunkel, wie in einer Mine ohne Fackeln. Mit geschundenen Fingerspitzen tastete er sich den Boden entlang, bis dieser anstieg und eine Wand bildete. Langsam, wie ein blindes Geschöpf, kroch er umher. Er fand den Ursprung des Wassers, eine große Öffnung im Boden. Da fiel ihm alles wieder ein! Durch dieses Loch war er vom Speicher ausgespuckt worden. Er kroch, stundenlang, wie er glaubte, weiter; wenn er in einer Höhle war, dann war sie riesig.
Er gelangte an eine Stelle, wo der Boden schräg anstieg. Gab es da einen Durchgang, der nach oben führte? Vielleicht würde er ihn zum Himmel führen.
Hillalum kroch weiter, ohne zu wissen, wie viel Zeit verstrich, und es war ihm egal, dass er nie zurückfinden würde, denn dort gab es kein Durchkommen. Er folgte, wenn möglich, einem Tunnel nach oben, und wenn er keine andere Wahl hatte, Gängen nach unten. Obwohl er vor Kurzem mehr Wasser geschluckt hatte, als er für möglich gehalten hatte, begann er durstig zu werden und hungrig.
Und schließlich СКАЧАТЬ