Название: Geteilt durch Null
Автор: Ted Chiang
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783965090385
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»Vielleicht sollten wir auch Scheuklappen tragen, wie der Ochse und die Ziege«, murmelte Hillalum im Spaß.
»Denkst du, uns überkommt die Angst auch, wenn wir noch höher steigen?«
Hillalum überlegte eine Weile. Es gefiel ihm nicht, dass einer ihrer Kameraden schon so früh die Nerven verlor. Er schob den Gedanken beiseite; Tausende stiegen ohne Furcht auf den Turm, und es wäre dumm, wenn sie sich alle von der Angst eines Mannes anstecken lassen würden. »Wir sind es nur nicht gewohnt. Uns bleiben noch Monate, um mit der Höhe vertraut zu werden. Haben wir erst einmal die Spitze des Turmes erreicht, werden wir uns wünschen, er wäre höher.«
»Nein«, sagte Nanni. »Ich glaube nicht, dass ich mir jemals wünschen werde, den Karren noch weiter ziehen zu müssen.« Sie lachten beide.
Abends aßen sie eine Mahlzeit aus Gerste, Zwiebeln und Linsen und schliefen in den engen Korridoren, die ins Innere des Turmes führten. Als sie am nächsten Morgen erwachten, waren die Bergarbeiter kaum in der Lage zu gehen, so sehr taten ihnen die Beine weh. Die Karrenzieher lachten und gaben ihnen eine Salbe, um ihre Muskeln damit einzureiben, und sie schichteten die Fracht auf den Karren so um, dass die Bergarbeiter weniger zu ziehen hatten.
Wenn Hillalum jetzt an der Seite des Turmes hinabschaute, wurden ihm die Knie weich.
In dieser Höhe blies ein stetiger Wind, und er ahnte, dass er stärker werden würde, je höher sie kamen. Er fragte sich, ob jemals einer der Arbeiter in einem unachtsamen Augenblick vom Turm geweht worden war. Und der Sturz – ein Mann hätte genug Zeit, um ein Gebet zu sprechen, bevor er auf dem Boden aufschlug. Hillalum schauderte bei dem Gedanken.
Der zweite Tag war wie der erste, vom Muskelkater in den Beinen der Bergarbeiter einmal abgesehen. Sie konnten nun viel weiter blicken, und die Größe des Landes war überwältigend; jenseits der Felder wurden die Wüsten sichtbar, und Karawanen schienen kaum mehr zu sein als Linien aus Insekten. Kein weiterer Bergarbeiter fürchtete die Höhe so sehr, dass er nicht weitergehen konnte, und ihr Aufstieg setzte sich ohne Zwischenfall fort.
Am dritten Tag hatten die Schmerzen in den Beinen der Bergarbeiter noch nicht nachgelassen, und Hillalum kam sich vor wie ein verkrüppelter alter Mann. Erst am vierten Tag fühlten sich ihre Beine besser an, und so zogen sie wieder ihre ursprüngliche Last. Ihr Aufstieg setzte sich bis zum Abend fort, als sie auf die zweite Zugmannschaft trafen, die ihnen mit leeren Karren auf der abwärts führenden Rampe raschen Schrittes entgegenkam. Die auf- und absteigenden Rampen wanden sich umeinander, ohne sich zu berühren, waren aber durch Korridore, die durch den Turm führten, miteinander verbunden. Nachdem die beiden Kolonnen in etwa auf gleicher Höhe waren, durchquerten sie den Turm, um die Wagen zu wechseln.
Die Bergarbeiter wurden den Karrenziehern der zweiten Etappe vorgestellt, und in dieser Nacht aßen sie zusammen und unterhielten sich miteinander. Am nächsten Morgen machte die erste Mannschaft die Karren für den Rückweg nach Babylon fertig, und Lugatum verabschiedete sich von Hillalum und Nanni.
»Gebt auf euren Wagen acht. Er ist den gesamten Turm öfter hinauf- und hinabgestiegen als irgendein Mensch.«
»Beneidest du auch den Karren?«, fragte Nanni.
»Nein, denn jedes Mal, wenn er die Spitze erreicht, muss er den ganzen Weg nach unten zurückkehren. Ich könnte das nicht aushalten.«
Als die zweite Mannschaft am Ende des Tages anhielt, kam der Karrenzieher hinter Hillalum und Nanni zu ihnen, um ihnen etwas zu zeigen. Sein Name war Kudda.
»Ihr habt noch nie die Sonne aus solcher Höhe gesehen. Kommt und schaut.« Der Karrenzieher ging zum Rand, setzte sich und ließ die Beine über die Kante baumeln. Er bemerkte, dass die beiden zögerten. »Kommt. Ihr könnt euch hinlegen und über den Rand blicken, wenn ihr wollt.« Hillalum wollte nicht wie ein ängstliches Kind wirken, konnte sich aber nicht überwinden, sich an den Rand eines Abgrunds zu setzen, der sich Tausende von Ellen unter seinen Füßen erstreckte. Er legte sich auf den Bauch, nur mit dem Kopf an der Kante. Nanni gesellte sich zu ihm.
»Wenn die Sonne untergeht, dann schaut an der Seite des Turmes hinunter.« Hillalum warf einen Blick nach unten und schaute dann schnell zum Horizont.
»Was ist hier am Sonnenuntergang anders?«
»Ihr müsst bedenken, dass es, wenn die Sonne hinter die Bergspitzen im Westen sinkt, in der Ebene von Shinar dunkel wird. Hier jedoch sind wir höher als die Berggipfel und können also die Sonne immer noch sehen. Die Sonne muss für uns noch weiter untergehen, bis wir Nacht haben.«
Hillalum war fassungslos. »Die Schatten der Berge markieren den Beginn der Nacht. Auf der Erde dort unten wird es früher Nacht als hier oben.«
Kudda nickte. »Ihr könnt zuschauen, wie die Nacht den Turm emporklettert, vom Boden zum Himmel. Sie bewegt sich rasch, aber ihr solltet sie sehen können.«
Er beobachtete den roten Feuerball für eine Weile, schaute dann hinab und streckte den Finger aus. »Jetzt!«
Hillalum und Nanni blickten hinunter. Am Fuße der gewaltigen Säule lag das kleine Babylon im Dunkeln. Dann kletterte die Schwärze den Turm hinauf, wie ein Vorhang, der zugezogen wurde. Sie bewegte sich so langsam, dass Hillalum glaubte, die Augenblicke zählen zu können, doch dann, als sie näher kam, beschleunigte sich die Finsternis, bis sie schneller, als er blinzeln konnte, an ihnen vorüberraste, und dann befanden sie sich im Zwielicht.
Hillalum drehte sich um und blickte nach oben, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie die Dunkelheit den Rest des Turmes verschlang. Allmählich wurde der Himmel dunkler, während die Sonne in weiter Ferne hinter dem Rand der Welt versank.
»Ein beeindruckender Anblick, nicht wahr?«, sagte Kudda.
Hillalum blieb ihm die Antwort schuldig. Zum ersten Mal verstand er, was die Nacht war: der Schatten der Erde selbst, der wider den Himmel geworfen wurde.
Nachdem sie zwei weitere Tage hinaufgestiegen waren, hatte sich Hillalum etwas mehr an die Höhe gewöhnt. Obwohl sie sich fast fünftausend Schritt senkrecht über dem Erdboden befanden, war er in der Lage, am Rand der Rampe zu stehen und hinaufzuschauen. Allerdings hielt er sich an einer der Säulen fest und lehnte sich vorsichtig nach hinten. Da bemerkte er, dass der Turm nicht mehr wie eine glatte Säule aussah.
Er fragte Kudda: »Es hat den Anschein, dass sich der Turm verbreitert. Wie kann das sein?«
»Sieh genauer hin. Dort oben sind hölzerne Balkone an den Seiten befestigt. Sie sind aus Zypressen gemacht und werden von Flachsseilen gehalten.«
Hillalum kniff die Augen zusammen. »Balkone? Wozu?«
»Auf ihnen wird Erde ausgebreitet, sodass man dort Gemüse anbauen kann. Wasser ist knapp in jener Höhe, weshalb Zwiebeln am weitesten verbreitet sind. Weiter oben, wo es öfter regnet, gibt es auch Bohnen.«
»Wie kann es dort oben Regen geben«, fragte Nanni, »der nicht hier unten fällt?«
Kudda sah ihn überrascht an. »Er verdunstet in der Luft, ehe er ankommt, was sonst?«
»Oh, natürlich.« Nanni zuckte mit der Schulter.
Am Ende des darauffolgenden Tages erreichten sie die ersten Balkone. Dabei handelte es sich um flache, dicht mit Zwiebeln bepflanzte Vorbauten, die an Seilen befestigt waren, welche an der Turmmauer knapp unter den nächsthöheren Balkonen festgemacht waren. In jeder Etage barg das Innere СКАЧАТЬ