Название: Die Klasse
Автор: Hermann Ungar
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788726619041
isbn:
Modlizki schritt Josef Blau entgegen, ohne Eile wie immer, den Kopf mit den schwarzen, in der Mitte gescheitelten Haaren leicht nach links geneigt. Seine großen schwarzen Augen ruhten ernst und unbeweglich auf Josef Blau, seine Haltung war gemessen, von bescheidener Ehrfurcht, er lächelte nicht und in seinem gelben Gesicht mit der langen Nase bewegte sich nichts. Aber die Unbeweglichkeit war nicht Ruhe, sie schien in Gestalt und Antlitz mit Gewalt gehalten, die Gemessenheit gespielt wie auf der Bühne, alles gleichsam auf einen Zweck vorbereitet und beängstigend.
Sie traten in eine holzgetäfelte halbdunkle Halle. Josef Blau setzte sich in einen geschnitzten Stuhl mit dem Rücken gegen das Fenster. Es war gut, daß der Raum dunkel war. Es war leichter, im Dunkeln zu sprechen. Josef Blau sah sich im Zimmer um. Er erkannte ausgestopfte Tierköpfe und und Waffen an den Wänden. Auf dem Tisch lag ein aufgeschlagenes Buch.
»Du hast gelesen?« fragte Josef Blau.
»Ein lächerliches Buch, soweit mir ein Urteil zusteht«, erwiderte Modlizki. »Es will Gerechtigkeit und allgemeine Gleichheit einführen.«
»Warum lächerlich?« fragte Josef Blau. »Warum setzt du dich nicht, Modlizki?«
Modlizki verneigte sich. Er setzte sich in angemessener Entfernung auf die Kante eines freistehenden Stuhles. Er saß aufrecht, den Rücken nicht angelehnt.
»Ich bin es, der bei dir zu Gast ist«, sagte Josef Blau, »wozu diese Förmlichkeit?«
»Ich bin mir bewußt, welche Auszeichnung ich erfahre.« Seine Stimme war gleichmäßig und tief. Kein höhnischer Beiklang färbte sie scharf.
»O Gott!« sagte Josef Blau. Er sah Modlizki an. Modlizkis Gesicht war ruhig und ernst. Modlizki schwieg.
»Warum lächerlich?« fragte Josef Blau von neuem.
»Damit ist nicht geholfen, meine ich.«
»Man soll es lassen wie es ist?«
»Es ist nicht das Wichtigste, meine ich.«
»Das Wichtigste wäre?«
»Wenn sie meinem Herrn alles weggenommen haben und sein Gut verteilt, bleibt er ein Herr. Ein Herr, dem man alles weggenommen hat.«
»Ich verstehe dich nicht.«
»Ich bin nicht befähigt, es auszudrücken.«
»Sprich, sprich, Modlizki!«
»Nun, daß man ihnen die Güter nimmt, meine ich, darauf kommt es nicht an. Vielleicht müßte man verhindern, daß sie ihre Fingernägel pflegen, die Wäsche wechseln, Klavier spielen und den Damen die Hände küssen zum Beispiel. Wenn ich Revolution machen wollte, das wäre meine Revolution, meine ich. Vielleicht, daß es unnütz ist, das Hab und Gut zu enteignen, solange das bleibt, das ganze Getue, was sie als Anstand bezeichnen, die Gesittung, die feinen Formen, die alten Bilder und so. Diese Dinge unterscheiden sie. Sie werden für höhere gehalten.«
Josef Blau dachte an die weiße Göttin im Garten. Er hörte Modlizkis tiefe verhaltene Stimme.
»Du nimmst daran teil«, sagte er. »Du bist nicht ausgeschlossen.«
»Mein Vater stand auf einer Leiter, als er beim Diebstahl ertappt wurde«, sagte Modlizki. »Er stürzte zu Boden und starb. Ich habe von Jugend an Frostbeulen an den Füßen. Ich will es nicht vergessen.«
»Niemand kann es vergessen«, sagte Josef Blau leise. Modlizki blickte geradeaus vor sich hin. Nach einer kleinen Pause sprach er weiter.
»Ich vermesse mich vielleicht nicht, wenn ich sage, daß ich ein guter Diener bin.« Er schien angestrengt nachzudenken. Josef Blau dachte daran, daß Modlizki das Haus der Eheleute Colbert, die sich seiner angenommen und ihn halb als Pflegekind, halb als Diener gehalten hatten, hatte verlassen müssen, da er sich etwas hatte zuschulden kommen lassen, was den Sitten eines vornehmen Hauses zuwider war. Niemand hatte es von Modlizki erwartet. Modlizki setzte fort, als hätte er Josef Blaus Gedanken mit gedacht.
»Ich verstehe es, geräuschlos zu servieren. Mir ist der Ort jedes Kleidungsstückes und der Anlaß, zu dem es getragen wird, bekannt. Es ist mir bekannt, welche Bestecke aufgelegt und aus welchen Gläsern die verschiedenen Getränke genossen werden. Der Wein wird verläßlich gehalten. Ich bin anwesend, wenn die Dame abends Klavier spielt. Ich höre, aber ich höre gewissermaßen nicht zu. Die Herrschaften hören zu und schwärmen. Ich bin Diener. Ich bitte mir aus, daß man von mir verlangt, daß ich mit schwärme.«
Modlizki erhob sich. »Dieses lehne ich ab. Meine Anwesenheit bei Klavierspiel, Gespräch, Mahlzeit und Reise ist beruflich. Ich lehne eine persönliche Teilnahme ab. Es war mir nicht gegeben, es Herrn Colbert anders begreiflich zu machen als dadurch, daß ich meinen Schließmuskeln ihre Freiheit gewährte, während die Mahlzeit vollzogen wurde. Wenn verlangt wird, daß ich aufhöre, Diener zu sein, bekenne ich mich zu meinem Vater. Herr Colbert hatte das rechte Gefühl, meine ich, wenn er mein Betragen als den Hauch des Umsturzes bezeichnete.«
Modlizki stand vor Josef Blau und sah ihn starr an.
Hat er nicht recht, dachte Josef Blau? Vor Blau saßen СКАЧАТЬ