Die Klasse. Hermann Ungar
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Название: Die Klasse

Автор: Hermann Ungar

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788726619041

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СКАЧАТЬ zu besänftigen, zu mildern. Vielleicht lag es an Modlizki und nicht an dem, was er sagte, daß man nichts fand, es entgegenzusetzen, an seinem Blick und seinem unbewegten Gesicht und seiner Haltung und seiner tiefen gleichbleibenden Stimme, die von allem sprach, nur davon nicht, wovon Josef Blau sprechen wollte, jeder Erinnerung daran auswich. Aber einmal mußte es kommen, daß Josef Blau davon beginnen konnte und ergründete, warum er ihn von allen am tiefsten haßte, vielleicht weil Josef Blau der Genosse seiner Jugend, Armut und Niedrigkeit gewesen und zu Achtung und Stellung aufgestiegen war. Doch Modlizki wußte, daß die, denen Josef Blau vorgesetzt war, ihn nicht achteten. Vielleicht war es doch das andere, die Beleidigung, die Modlizki nicht vergessen hatte von damals, er dachte daran, wenn er mit Josef Blau sprach, seit damals haßte ihn Modlizki, damals hatte es begonnen! Sie waren Kinder und aßen in wohlhabenden Häusern, täglich in einem anderen Haus, jeder für sich an ungedeckten Küchentischen. Aber einmal in der Woche, es war am Donnerstag, Josef Blau erinnerte sich genau, trafen sie in einem Hause zusammen, beim Kaufmann Wismuth, sie aßen in der Küche und standen auf und gingen, nachdem sie der alten Magd gedankt hatten, die Genoveva hieß, ein seltener Name, aber in dieser Gegend nicht so selten, daß man sich ihn hätte merken müssen. Josef Blau bekam das Stipendium und wurde in das Gymnasium aufgenommen und am Donnerstag darauf holte das Fräulein ihn aus der Küche, wo er mit Modlizki saß, an den gedeckten Tisch ins Zimmer und Modlizki ließen sie draußen. Sein Vater war ein Trunkenbold gewesen, die Mutter wusch in den Häusern. Josef Blau sagte nichts und gehorchte. Er begriff nicht anders, als daß er gehorchen mußte, als die Tochter ihn holte. An der Tür zögerte die Tochter und wandte sich nach Modlizki um und Josef Blaus Blick folgte ihrem Blick. Da sah Josef Blau Modlizkis Augen: sie waren so voll Haß, daß Josef Blau der Atem stockte. Doch schon hatte Modlizki den Kopf wieder in gehorsamer Ehrfurcht geneigt. Das Fräulein zögerte noch, aber vielleicht wagte sie nichts ohne Auftrag des Vaters oder vielleicht hatte auch sie Modlizkis Blick gesehen. Sie wandte sich und ging. Josef Blau folgte ihr. Er schloß die Tür hinter sich zur Küche und zu Modlizki. Das war es, das hatte Modlizki nicht vergessen, daß Josef Blau an diesem Tage aufgestiegen war an den gedeckten Tisch im Zimmer und den Gespielen und Genossen vergessen und beleidigt hatte, Modlizki dachte daran und er rächte sich und ließ Josef Blau nicht sprechen und erklären und wich der Gelegenheit aus. Er ließ Josef Blau immer wieder kommen, denn er kam vielleicht nicht nur Modlizkis Pläne zu erraten, auch das trieb ihn vielleicht, es Modlizki zu erklären und Modlizki zu versöhnen, aber Modlizki wollte keine Versöhnung, er wollte nicht aufhören zu hassen.

      Modlizki schritt Josef Blau entgegen, ohne Eile wie immer, den Kopf mit den schwarzen, in der Mitte gescheitelten Haaren leicht nach links geneigt. Seine großen schwarzen Augen ruhten ernst und unbeweglich auf Josef Blau, seine Haltung war gemessen, von bescheidener Ehrfurcht, er lächelte nicht und in seinem gelben Gesicht mit der langen Nase bewegte sich nichts. Aber die Unbeweglichkeit war nicht Ruhe, sie schien in Gestalt und Antlitz mit Gewalt gehalten, die Gemessenheit gespielt wie auf der Bühne, alles gleichsam auf einen Zweck vorbereitet und beängstigend.

      Sie traten in eine holzgetäfelte halbdunkle Halle. Josef Blau setzte sich in einen geschnitzten Stuhl mit dem Rücken gegen das Fenster. Es war gut, daß der Raum dunkel war. Es war leichter, im Dunkeln zu sprechen. Josef Blau sah sich im Zimmer um. Er erkannte ausgestopfte Tierköpfe und und Waffen an den Wänden. Auf dem Tisch lag ein aufgeschlagenes Buch.

      »Du hast gelesen?« fragte Josef Blau.

      »Ein lächerliches Buch, soweit mir ein Urteil zusteht«, erwiderte Modlizki. »Es will Gerechtigkeit und allgemeine Gleichheit einführen.«

      »Warum lächerlich?« fragte Josef Blau. »Warum setzt du dich nicht, Modlizki?«

      Modlizki verneigte sich. Er setzte sich in angemessener Entfernung auf die Kante eines freistehenden Stuhles. Er saß aufrecht, den Rücken nicht angelehnt.

      »Ich bin es, der bei dir zu Gast ist«, sagte Josef Blau, »wozu diese Förmlichkeit?«

      »Ich bin mir bewußt, welche Auszeichnung ich erfahre.« Seine Stimme war gleichmäßig und tief. Kein höhnischer Beiklang färbte sie scharf.

      »O Gott!« sagte Josef Blau. Er sah Modlizki an. Modlizkis Gesicht war ruhig und ernst. Modlizki schwieg.

      »Warum lächerlich?« fragte Josef Blau von neuem.

      »Damit ist nicht geholfen, meine ich.«

      »Man soll es lassen wie es ist?«

      »Es ist nicht das Wichtigste, meine ich.«

      »Das Wichtigste wäre?«

      »Wenn sie meinem Herrn alles weggenommen haben und sein Gut verteilt, bleibt er ein Herr. Ein Herr, dem man alles weggenommen hat.«

      »Ich verstehe dich nicht.«

      »Ich bin nicht befähigt, es auszudrücken.«

      »Sprich, sprich, Modlizki!«

      »Nun, daß man ihnen die Güter nimmt, meine ich, darauf kommt es nicht an. Vielleicht müßte man verhindern, daß sie ihre Fingernägel pflegen, die Wäsche wechseln, Klavier spielen und den Damen die Hände küssen zum Beispiel. Wenn ich Revolution machen wollte, das wäre meine Revolution, meine ich. Vielleicht, daß es unnütz ist, das Hab und Gut zu enteignen, solange das bleibt, das ganze Getue, was sie als Anstand bezeichnen, die Gesittung, die feinen Formen, die alten Bilder und so. Diese Dinge unterscheiden sie. Sie werden für höhere gehalten.«

      Josef Blau dachte an die weiße Göttin im Garten. Er hörte Modlizkis tiefe verhaltene Stimme.

      »Du nimmst daran teil«, sagte er. »Du bist nicht ausgeschlossen.«

      »Mein Vater stand auf einer Leiter, als er beim Diebstahl ertappt wurde«, sagte Modlizki. »Er stürzte zu Boden und starb. Ich habe von Jugend an Frostbeulen an den Füßen. Ich will es nicht vergessen.«

      »Niemand kann es vergessen«, sagte Josef Blau leise. Modlizki blickte geradeaus vor sich hin. Nach einer kleinen Pause sprach er weiter.

      »Ich vermesse mich vielleicht nicht, wenn ich sage, daß ich ein guter Diener bin.« Er schien angestrengt nachzudenken. Josef Blau dachte daran, daß Modlizki das Haus der Eheleute Colbert, die sich seiner angenommen und ihn halb als Pflegekind, halb als Diener gehalten hatten, hatte verlassen müssen, da er sich etwas hatte zuschulden kommen lassen, was den Sitten eines vornehmen Hauses zuwider war. Niemand hatte es von Modlizki erwartet. Modlizki setzte fort, als hätte er Josef Blaus Gedanken mit gedacht.

      »Ich verstehe es, geräuschlos zu servieren. Mir ist der Ort jedes Kleidungsstückes und der Anlaß, zu dem es getragen wird, bekannt. Es ist mir bekannt, welche Bestecke aufgelegt und aus welchen Gläsern die verschiedenen Getränke genossen werden. Der Wein wird verläßlich gehalten. Ich bin anwesend, wenn die Dame abends Klavier spielt. Ich höre, aber ich höre gewissermaßen nicht zu. Die Herrschaften hören zu und schwärmen. Ich bin Diener. Ich bitte mir aus, daß man von mir verlangt, daß ich mit schwärme.«

      Modlizki erhob sich. »Dieses lehne ich ab. Meine Anwesenheit bei Klavierspiel, Gespräch, Mahlzeit und Reise ist beruflich. Ich lehne eine persönliche Teilnahme ab. Es war mir nicht gegeben, es Herrn Colbert anders begreiflich zu machen als dadurch, daß ich meinen Schließmuskeln ihre Freiheit gewährte, während die Mahlzeit vollzogen wurde. Wenn verlangt wird, daß ich aufhöre, Diener zu sein, bekenne ich mich zu meinem Vater. Herr Colbert hatte das rechte Gefühl, meine ich, wenn er mein Betragen als den Hauch des Umsturzes bezeichnete.«

      Modlizki stand vor Josef Blau und sah ihn starr an.

      Hat er nicht recht, dachte Josef Blau? Vor Blau saßen СКАЧАТЬ