Die Klasse. Hermann Ungar
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Название: Die Klasse

Автор: Hermann Ungar

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788726619041

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СКАЧАТЬ imstande war, morgen, durch die Art, wie er das Komplott aufdeckte und wie er es bestrafte, den Sieg in eine Niederlage zu verwandeln. Wenn überhaupt er seinen Willen noch durchsetzen konnte, wenn nicht unter dem Eindruck des Sieges die Knaben, einer vom andern gestachelt, die geheime Empörung in offene verwandelten, und wenn nicht bei seinem Eintritt schon ihm Karpels, Laubs und der anderen lachendes Gesicht entgegensehen würde. Wenn er sie mit seinem Blick noch halten konnte, wenn sie noch nicht sich offen empörten, war sein Weg vorgezeichnet. Die Entdeckung des Komplotts mußte ohne Erregung geschehen, fast ohne Wort. Nichts durfte verraten, wie nahe die Knaben ihrem Sieg gewesen waren. Er mußte an seinem Platz stehen wie sonst und die Knaben mußten ihm gegenüber, in ihren Bänken sitzend, sechs neue Sätze schreiben. Er wollte über die Knaben statt einer Strafe für die entdeckte und zur Vermeidung neuer unterirdischer Konspiration verhängen, daß jeder während des Schreibens den linken Arm gerade vor sich gestreckt auf das Schreibpult lege und die Finger der Hand um die dem Lehrer zugekehrte Kante der Bank krümme. So würde die Haltung des Körpers fixiert sein, die Beobachtung jeder Bewegung erleichtert. Die rechte Hand würde schreiben, die linke weit nach vorn gebunden sein und durch ihre Unbeweglichkeit wie ein Anker die Bewegung des ganzen Körpers binden, auch des unterirdischen, die Beweglichkeit der Beine in jedem Fall auf das Mindestmaß beschränken. Das über die Knaben verhängt, schien besser als Strafe. Denn die Strafe mußte den Bestraften die Wichtigkeit des Vorfalls erst recht bewußt machen. Sie würde nicht abschrekken, die Knaben vielleicht zu weiteren Herausforderungen verleiten, wenn er ihrem Schlag seinen entgegensetzte, die Partei der Knaben zu der einen, sich zur anderen kämpfenden Partei machte. Das Verhältnis sollte der Möglichkeit solchen Vergleichs entzogen sein. Er entdeckte und blieb entrückt, nicht in die Sache gezogen, wenn er den Vorfall scheinbar straflos ließ, durch die neue Anordnung aber den Knaben körperlich die Unterworfenheit unter seinen Willen sinnfälliger fühlbar machte, als es durch eine der zugelassenen Strafen erreichbar war.

      Josef Blau bereitete mit Sorgfalt sechs neue Sätze vor, die die Schüler morgen übersetzen sollten. Wieder war er bestrebt, bei einfachster Formulierung unauffällig in jedem Satz einen grammatischen Hinterhalt zu verbergen, an dem sich die Aufmerksamkeit des Schülers wie die Selbständigkeit seiner Arbeit erweisen mußte.

      Während er Formulierungen gegeneinander abwog, hörte er die Stimme Selmas und der Mutter auf der Treppe. Die Stimme Selmas, die sich der Mutter verständlich machen wollte, war laut, und die sonst tief und angenehm schien, klang schrill und peinlich. Die Mutter antwortete, nicht imstande, die Stärke der eigenen Stimme abzumessen, und es war Josef Blau, als dröhne diese Stimme, tief wie die eines Mannes, in alle Räume des Hauses, gleichsam verstärkt durch das mächtige Instrument des Leibes, aus dem sie drang, wie durch den resonierenden Körper einer Baßgeige. Josef Blau schloß die Hefte. Ihm war, als müsse er den Frauen entgegeneilen, die Tür öffnen, ihr Eintreten in die Wohnung beschleunigen. Er wollte diese laute Stimme vom Hause abschließen, soweit Tür und Mauer dieser Stimme ein Hindernis waren, in die Wohnungen der Nachbarn zu dringen. Er stand der Tür zugewandt und wartete. Nun waren die Stimmen da, der Schlüssel drehte das Schloß auf und Selma und die Mutter traten ein.

      Die Mutter ließ sich auf den Stuhl fallen, auf dem Josef Blau gesessen hatte. Sie öffnete sitzend die Jacke und legte den Hut vor sich auf den Tisch. Ihr Atem zog pfeifend aus den Nasenlöchern. Auf der Oberlippe lag ein Schatten von schwarzen Barthaaren. Josef Blau wußte, daß sie nun gleich das Wort an ihn richten würde, und daß er ihr würde antworten müssen. Er würde, so entsetzlich es war, die Stimme über ihr Maß anschwellen lassen müssen und doch nicht verstanden werden. Die Mutter würde ihm zunicken, als verstände sie ihn, wie sie immer tat, weil sie nicht durch eine Frage ihr Gebrechen eingestehen wollte. Sie würde ihn böse ansehen, als spreche er, sie zu verletzen, ihr das Gebrechen vorzuwerfen, leise mit ihr, leiser vielleicht als sonst. Sie begriff nicht, daß er alle Kraft aufbot, sie sah nicht, daß seine Wange sich rötete, wenn sein Ohr die eigene überlaute Stimme vernahm, zurückgeworfen zu ihm von den Wänden. Nun richtete sie ihre starren Augen auf ihn und nun begann sie: »War Bobek da?«

      Er schüttelte den Kopf, nachdrücklich und mit Anstrengung, zugleich riß er den Mund auf und formte ein stummes Nein, das er durch abwehrende Bewegung der Hand bestätigte. Er wollte, daß die Mutter die Zeichen verstehe. Er vervielfältigte sie, als könne die Mutter auch die stumme Verständigung nur erfassen, wenn sie übertrieben wurde wie die menschliche Stimme. »Wo er steckt! Er wollte doch mit dir sprechen. Du weißt, warum. Oder weißt du es nicht mehr?«

      Er wußte es. Es war wegen des Geldes. Er nickte rasch und eindringlich mit dem Kopf. Sie öffnete den Mund, als schnappe sie nach Luft und drückte die Hände an den Körper.

      »Das Mieder, das Mieder«, sagte sie, »man erstickt. Es wird niemand mehr kommen. Wenn er noch nicht da ist, kommt er nicht mehr.«

      Sie erhob sich und verließ das Zimmer. Die Tür flog hinter ihr ins Schloß. Man hörte ihre Stimme aus der Küche und Marthas ängstliche Antwort. Josef Blau stand am Fenster. Er hatte sich abgewandt. Er wußte, daß die Mutter dem Onkel Bobek gefallen wollte. Onkel Bobek war der Vetter ihres verstorbenen Mannes. Die Mutter preßte ihren Körper in die Panzerstangen des Mieders, zwang das Gewicht ihrer Brüste aufwärts, ihren gealterten Busen einem Mann verlockend scheinen zu lassen. Er mochte nicht davon hören und nicht daran denken. Ihm war, als sei beschämend und beleidigend, was Selmas Mutter tat, nicht allein für sie, in unerklärlicher Weise für die Tochter, für Selma. Selma trat auf ihn zu. Sie ging schwer, als ziehe ihr Leib sie zu Boden. Sie hielt, in Papier geschlagen, ein kleines Päckchen in der Hand und lächelte.

      »Rate, was ich bringe«, sagte sie.

      Er sah sie fragend an.

      Sie öffnete das Päckchen. Ein kleines gestricktes Jäckchen aus roter Wolle lag darin und ebensolche Höschen. Sie hielt sie ausgebreitet auf dem Papier vor ihn hin. Er wollte die Hand danach ausstrecken, die kleinen Dinge zu berühren, sie zu streicheln, ihnen etwas Liebes zu tun, als er sich besann. Er legte die Hände auf dem Rücken ineinander. Was tat sie? Begriff sie nicht, was sie tat?

      »O Gott«, sagte er, »belaste die Zukunft nicht, belaste sie nicht!«

      Er sah sie an, als bereite sie ihm Kummer. Warum hatte sie das getan, hatte sie nicht verstanden, warum er nicht davon sprach, was bevorstand? Mußte er es ihr ausdrücklich sagen und so vielleicht alles vergeblich machen, was er sich auferlegt hatte? Sie hielt die Arme noch immer ausgestreckt. Nun ließ sie sie langsam sinken. Das Lächeln schwand aus ihrem Gesicht. »Man soll nicht sprechen«, sagte er stockend. »Man soll nichts sagen, daß man nichts verdirbt.«

      Er wollte auf sie zutreten. Er sah, daß ihre Augen sich mit Tränen gefüllt hatten. Selma wandte sich ab und verließ das Zimmer. Sie ging zur Mutter in die Küche.

      Josef Blau blickte ihr nach. Mußte sie nicht glauben, daß er hart und lieblos sei? Er hätte sie zurückrufen, ihr alles erklären sollen. Aber wie durfte man reden? Das Wort, das man sprach, war unwiederbringlich. Es begann seinen Weg. Es machte die Welt anders. Es berief ein Schicksal, das nicht mehr aufzuhalten war. Man konnte ein Wort sprechen oder das andere, man konnte einen Schritt machen nach links, nach rechts, man konnte das Wort, den Schritt nicht zurückrufen, wenn es gesprochen, wenn er getreten war. Vielleicht konnte er es schreiben, jedes Wort abwägen, bevor er es hinschrieb, die Gefahr einschränken, begrenzen. Er sollte ihr alles niederschreiben, daß sie ablasse, von dem Ungeborenen zu reden, es in die Welt zu setzen, bevor das Schicksal entschieden hatte, es in die Welt zu verstricken, bevor es da war. Sie bestimmte sein Geschlecht voraus, erwog, welchen Namen sie ihm geben wollte. Er strich jeden Gedanken daran aus. Denn er durfte das Glück, das er fühlen konnte so stark wie sie, nicht vorwegnehmen, um durch das der Entscheidung vorweggenommene Glück die Vergeltung nicht herauszufordern, die sich nicht über ihm oder ihr, den Schuldigen, sondern über dem Unschuldigen, Neugeborenen, entladen konnte. Es war nicht vorher bestimmt, wie es kommen würde. Er hatte dieses Geschöpf geschaffen, er, der Lehrer Josef Blau, sich vermessen, Gott zu sein und Leben zu setzen. Alles СКАЧАТЬ