Die Klasse. Hermann Ungar
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Название: Die Klasse

Автор: Hermann Ungar

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788726619041

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СКАЧАТЬ anderer aus der Ordnung der Dinge fiel. Der Aufenthalt in einer allen, dem Lehrer wie den Schülern gleich ungewohnten Umgebung, die besondere Wirkung der sinnlichen Natur, die Bewegung und Erhitzung des Marsches, die Freiheit einer ständig wechselnden Ordnung, die erregende Vielfalt der Eindrücke des Gesichts und die Verlassenheit und Einsamkeit des Lehrers inmitten der Schüler zwischen Feldern, Wald und Himmel, seine Armut und Nichtigkeit in diesem Zusammenhang, die die Knaben fühlen mußten, machten die Gefahren an diesem Tage drohender, vielfältiger, unausweichlicher als an jedem andern Tag. Die Möglichkeiten dieses Tages waren unberechenbar. Es gab keinen Plan für die Stunden dieses Tages, keine Ordnung, die dem Lehrer seine bestimmte Stellung und seinen Platz anwies wie in der Schule. Die Schüler würden singen, sich zerstreuen, ihn umringen, Fragen stellen, in Gasthöfen einkehren, um zu trinken, die Zucht würde gelöst sein vom ersten Schritt an am Morgen; die Zucht der Schule war untauglich für diesen Tag und Josef Blau kannte keine andere für solche Umstände geeignete. Vielleicht hatten sie Spottlieder bereit, sie auf dem Marsch oder im Gasthof zu singen, Spottlieder gegen ihn und Selma, vielleicht lockte ihre für diesen Tag befreite Kraft die Schüler unwiderstehlich, sich an Josef Blau zu vergreifen. Sie mußten nur ihn zerren, Trunkenheit vorschützend ihn an den Ärmeln zupfen, sie mußten nur ihn unterfassen und in scheinbarem Scherz zum Laufen zwingen, gar nicht ihn mit Schlägen überfallen, gar nicht die Kleider von seiner Brust reißen, ihn zu vernichten, seine Begegnung mit ihnen für die Zukunft unmöglich zu machen.

      Er mußte die Gefahr kennen, wenn er ihr begegnen sollte. Wenn die Knaben Pläne hatten, mußte er versuchen, in diese Pläne einzudringen. Dann konnte er vielleicht durch Wort und Haltung der Ausführung zuvorkommen, durch seine Kenntnis abschrecken und verwirren. Modlizki kannte den Schüler Karpel. Es gab keine Wahl, als Modlizki aufzusuchen, heute noch. Vielleicht genoß Modlizki Karpels Vertrauen.

      Josef Blau eilte nach Hause, die Hefte mit der neuen Arbeit der Schüler unter dem Arm. Als er den obersten Absatz der dunklen Treppe hinaufstieg, hörte er Stimmen aus seiner Wohnung. Er blieb stehen und lauschte. Er erkannte die Stimme der Mutter, der Onkel Bobeks Stimme antwortete. Er hörte den Schall der Laute, aber er verstand die Worte nicht.

      Selma saß am Tisch und nähte. Eine Ecke des Tisches war für Blaus Mahlzeit gedeckt. Die Mutter und Selma hatten gegessen. Auf einem kleinen rot überzogenen Plüschsofa links vom Eintretenden saß Onkel Bobek. Onkel Bobek füllte mit seinem mächtigen Körper dreiviertel des Sofas. Onkel Bobek hatte die kurzen Beine von sich gestreckt und den Kopf, der ohne Hals im Fett von Nacken und Schultern lag, nach hinten gelehnt, daß man in die geblähten Nasenlöcher sah, aus denen schwarze Haarbüschel wuchsen. Sein Bauch wölbte sich nach oben wie eine Kugel. Im weiten Ausschnitt des Hemdkragens lag das Fett seines Doppelkinns. Die Mutter saß, Onkel Bobek zugekehrt, halb abgewandt vom Tisch. Ihre linke Hand lag auf der Tischplatte. Sie hielt den Kopf schief und lächelte. Die Beine waren übereinandergeschlagen und bis an die Knie entblößt.

      »Da ist er!« rief sie, als Josef Blau eintrat. Der Onkel blieb an seinem Platz. Er erhob sich ungern und nur mit Anstrengung. Er machte eine Bewegung mit der kleinen fettgepolsterten Hand auf Josef Blau zu.

      »Es wird Frühling«, sagte Josef Blau.

      Die Mutter sah ihm angestrengt auf die Lippen. Onkel Bobek warf seinen schweren Körper, daß das Sofa krachte. Er patschte mit seinen Händen auf die gespannte Hose über den Schenkeln. Seine Hände waren klein wie Kinderhände. Sie schienen Josef Blau unheimlich in ihrem Mißverhältnis zum Körper. Zudem war ihre Haut von rosiger Zartheit, indes Onkel Bobeks Gesicht, von einem schwarzen Bartstreifen umrahmt, wie von innen schwarzblau schien. Onkel Bobek wollte etwas sagen. Seine Worte begannen tief im Leib. Sie rasselten in seiner Brust, bevor sie aus dem Mund drangen.

      »Ausgezeichnet, Blau! Ausgezeichnet! Frühling, Sommer, Herbst und Winter! Ich erlebe es nun fünfundfünfzigmal. Sehr interessant. Bald regnet es, bald schneit es. Sehr wichtig, sehr notwendig. Wozu das, frage ich, wozu, frage ich euch? Immer dasselbe. Notwendige Sachen, die Jahreszeiten!«

      »Du bist immer unzufrieden«, schrie die Mutter.

      »Unzufrieden? Ich mache mir meine Gedanken. Das ist alles. Oder nenne es unzufrieden. Auch gut. Aber ich höre es nun so lange, was Blau da sagt. Es wird Frühling! ruft er. Als ob es jemanden überraschen würde! Hat es Gott so eingerichtet, um uns Abwechselung zu machen? Heilige Jungfrau, das ist eine Abwechselung, wie in manchem Haushalt, wo es jeden Montag Kuttelfleck gibt, Dienstag Erbsen mit Speck und so fort, und jeden Sonntag Nierenbraten! Schöne Überraschung!«

      »Das trifft mich nicht, Bobek, ich weiß nicht, wie du daräuf kommst!«

      »Von dir rede ich nicht. Das wäre ein Wunder, will ich sagen, wenn Gott nur eine Jahreszeit gemacht hätte, eine wo man nicht schwitzt und nicht friert und nicht einregnet. Notwendige Sache, der Frühling!«

      Josef Blau hatte sich gesetzt. Martha brachte das Essen. Blau sah Selma an; Selma schlug den Blick nieder und rückte näher an den Tisch.

      »Der Lenz«, schrie die Mutter und wippte mit dem übergeschlagenen Bein. Dann schloß sie verzückt die Augen.

      Onkel Bobek machte eine Handbewegung, als verbeuge er sich.

      »Das schwache Geschlecht ist gegen mich und für die Poesie, siehst du! Aber wegen des Frühlings wollte ich nicht mit dir sprechen, Blau. Ich höre, du willst unterschreiben.« »Gewiß, aber . . .«

      »Es ist eine reine Formalität, du riskierst nichts. Ich werde alles in Ordnung bringen. Tausend Kronen mit Zinsen auf drei Monate macht zwölfhundert. Hier«, er zog ein Wechselformular aus der Brusttasche. »Ich habe es gleich mitgebracht.«

      Selma hatte die Arbeit vor sich auf den Tisch gelegt. Sie hatte runde rote Flecken auf den Wangen. Die Mutter trommelte mit den Fingern der Linken auf die Tischplatte. Selma sah Blau an. Dann sagte sie leise: »Wir werden soviel brauchen, gerade jetzt.«

      »Es wird da sein, Selma«, sagte Onkel Bobek und legte seine Hand beteuernd auf die Brust.

      »Ich wäre in einer entsetzlichen Lage, wenn du nicht unterschreibst, Blau, das kannst du nicht wollen! Es ist ein alter Freund von mir, der Geld leiht zu Zinsen, Berger heißt er. Er will es mir leihen. Aber zwei Unterschriften, sagt er! Zwei Unterschriften sind das Mindeste.«

      »In drei Monaten zwölfhundert«, sagte Josef Blau. »Und wenn du nicht in der Lage bist?«

      »In drei Monaten? Warum sollte ich nicht in der Lage sein, warum sollte ich es nicht sein in drei Monaten? Aber angenommen, daß ich es nicht bin, wird Berger nicht mit sich reden lassen? Er ist doch mein Freund, würde er es geben, wenn er es nicht wäre? Ein Wechsel, meinst du, ist ein Wechsel und die Freundschaft wird er vergessen, wenn es um sein Geld geht. Er wird dir an den Kragen, meinst du, mit dem Wechsel. Aber dazu kann es nicht kommen, Blau. Ich weiß, was ich euch schulde und ich werde dich nicht im Stiche lassen, so wahr mir Gott beistehen soll oder wobei soll ich dir schwören?«

      Josef Blau wehrte mit der Hand ab. Er nahm das Formular und unterschrieb.

      »Es ist eine große Gefahr«, sagte er und reichte Onkel Bobek das Blatt. Onkel Bobek barg den Wechsel in der Tasche.

      »Es ist viel Geld«, sagte Selma. »Wir werden es nie bezahlen können. Auch wenn wir alles verkaufen.«

      »Ihr? Ich, ich werde es bezahlen. Wer sagt, daß ihr es bezahlen sollt? Es wird da sein, Selma, zwölfhundert, auf den Tag und schlimmstenfalls«, er verstärkte seine Stimme, daß die Mutter ihn hörte, »schlimmstenfalls, am Ende gibt es doch die liebe Mathilde.«

      Er sah die Mutter zärtlich an.

      »Man СКАЧАТЬ