In deiner Kammer. Paul Keller
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Название: In deiner Kammer

Автор: Paul Keller

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9788711517352

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СКАЧАТЬ ist ja erst gar nicht wahr.“ Das sagt man doch zu keinem solchen Fräulein. Und dann überhaupt, was war er für ein Esel, dass er sich so schämte! Er hätte sein Glück machen können. Er hätte einfach „ja“ sagen und das blaue Heft zeigen sollen, dann hätte sie doch gesehen, dass er kein so erbärmlicher, dummer Kerl ist.

      Nun weiss sie von allem nichts.

      Wenn sie ihn noch einmal fragte, nur noch ein einziges Mal fragte! Aber er weiss schon, damit ist’s nichts mehr, sie hat’s übel genommen.

      Er müsste selbst anfangen!

      Joachim gerät in grosse Erregung, steht auf und macht einen Gang um die Herde. Dann setzt er sich wieder auf den früheren Platz.

      Sein alter Plan ist wieder vor ihm aufgetaucht; der Traum von der grossen Stadt, von Ruhm und Reichtum. Den Zeitungsfetzen, auf dem von dem Dichter Peter Rosegger gedruckt steht, der jetzt berühmt und reich sei und doch ehemals bloss ein ungebildeter Schneidergeselle war, trägt er noch immer bei sich. Er liest die Geschichte alle Tage, denn wenn er sie bloss auswendig vor sich hinsagt, glaubt er sie nicht. Dass es so etwas wirklich geben könne, hat ihn ja so glücklich und so faul gemacht. Vor dem Winter wird ihn der Bauer fortjagen. Das macht der Geiz.

      Es ist alles egal. Wenn er nur wüsste, wo der Schneider und Dichter Rosegger wohnt; da würde er einmal einen Brief an ihn schreiben, wie man’s anfangen müsse, wenn man ungebildet sei und dichten könne. Aber die Adresse steht nicht in der Zeitung.

      Jetzt zieht er das blaue Heft unter der Weste hervor und beginnt in halblautem, singendem Tone Gedichte zu lesen. Plötzlich erstirbt seine Stimme zum Flüstern:

      „Es kann nicht sein,

      Du bist so fein

      Doch du so weit und ich hier allein,

      Das — das kann erst recht nicht sein!“

      „Adieu, Joachim! Wir reisen heute schon! Adieu! Adieu!“

      Der Schäfer schrickt auf. Drüben auf der Strasse sieht er die Droschke seines Bauern vorbeifahren, darin sitzt sie und ihr Vater.

      „Adieu, Joachim!“

      Der sitzt wie versteinert. Der Wagen fährt weiter. Sie wendet sich um und winkt noch einmal, auch der Vater. Und der Anton sitzt vorn auf dem Bock und knallt mit der Peitsche. Das alles sieht Joachim, aber er vermag kein Glied zu rühren. Er starrt nur dem Wagen nach, der den Berg hinauffährt. Erst wie er ihn jenseits des Hügels verschwinden sieht, öffnen sich seine Lippen. Ein kurzes, lallendes Lachen kommt ihm vom Munde:

      „Sie ist fort!“

      Dann sitzt er wieder ganz still — eine Viertelstunde lang; nur einen Stengel Sauerampfer kaut er gedankenlos. Schliesslich legt er sich hin, mit dem Gesicht auf die Erde, und bleibt so liegen eine halbe Stunde lang.

      Plötzlich springt er auf. Er reisst die Mütze vom Kopfe und schlägt mit ihr Räder in die Luft wie ein Verrückter; und dann fängt er an zu schreien.

      „Warten! Halt! Halt! Warten! Warten! Ich will Ihnen etwas sagen — etwas sa — a — agen! Ha — a — a — alt!“

      Er rast über den Acker, hin zur Strasse und den Berg hinauf bis zur Windmühle. Dort bricht er erschöpft in die Kniee und schaut mit weiten, starren Augen in die Ferne.

      Nichts mehr zu sehen, nichts mehr!

      Joachim bleibt knieen. Wenn er wartet, wird er die Eisenbahn sehen können, auf der sie fährt.

      So wartet er. Ein Stückchen weg von ihm liegt der Müller im Grase. Er ist eine Nacht und einen Tag auf der Mühle gewesen und jetzt eingeschlafen.

      Drüben färbt sich der Himmel rot. In den goldenen Himmel wird sie hineinfahren, und er wird die Eisenbahn sehen können.

      Ganz ruhig kniet der Joachim. Es ist jetzt kein anderes Gefühl in ihm als gespannte Erwartung.

      Jetzt! — Da! — Der weisse Rauch! — Die Wagen kann er nicht ordentlich sehen! — Er springt auf die Füsse, steht auf den Zehen, schnellt sich in die Luft. Es genügt nicht! Dort! — — — Drei Sätze, ein Ruck, er hängt an dem einen Flügel der Mühle, schwebt hoch, höher! Der Rauch! Der Himmel! Die Wagen! Sie! — Er lässt die rechte Hand los, schwingt das Heft — hoch, hoch — das Gesicht wird dunkelblau. — Fünf oder sechs Sekunden dauert das alles, dann wird er mit fürchterlicher Gewalt hinabgeschleudert, dicht neben den Müller.

      Einer wacht auf: der Müller.

      Eine Vorfrühlings-Erinnerung.

      Mein Stolz war damals eine kleine Tabakspfeife. Kein Junge im Dorfe ausser mir besass eine solche. Ich hatte das Prachtstück von einem „Kühprinzen“ erhandelt, einem jovialen jungen Manne von etwa 16 Jahren, der schon längst aus der Schule war, es aber doch nicht verschmähte, mit uns Schuljungen zu verkehren. Ja, seine Leutseligkeit ging so weit, dass er Schulden bei uns machte. Überhaupt, ein Lebemann war er! An einem einzigen Sonntagnachmittage — so kam mir ein dunkles Gerücht zu Ohren — hatte er beim „Titschen“ 120 Knöpfe verspielt. Und da kam er in Zahlungsschwierigkeiten. Also erschien er bei mir, der ich als Knopfkrösus im Dorfe bekannt war, und bot mir einige seiner Güter zum Verkaufe an. Einen kleinen Taschenkamm lehnte ich rundweg ab, aber für ein Taschentuch mit dem Bilde des alten Moltke setzte ich 25 Knöpfe. Das war zu wenig für ihn, und so bot er mir erst zögernd einen kleinen, runden Spiegel und dann nach fürchterlichem Seelenkampfe sein altes Taschenmesser zum Verkaufe. 60 Knöpfe war alles, was ich geben wollte. Dem armen Schlucker stand der Schweiss auf der Stirne. „60 sein zu wing,“ keuchte er. Da rückte ich endlich mit meinen selbstsüchtigen Absichten heraus. „Fer die Feife gäb’ ich zweehundert,“ sagte ich lauernd. „Du bist ganz verrückt,“ antwortete er und verliess mich. Kaltblütig liess ich ihn laufen.

      Am nächsten Abend hatte ich die Pfeife. Der Spielgegner des „Kühprinzen“ hatte gedroht, ihn bei seiner Braut zu kompromittieren, wenn er nicht zahle. 20 Knöpfe musste ich allein für diese Drohung bezahlen, da sie der Gläubiger nur auf die Gefahr einer riesigen Tracht Hiebe hin riskieren konnte.

      Ich lebte damals bei meinem Grossvater, der Landwirt war und gleicherzeit Stellmacher. Nie mehr im Leben habe ich seligere Zeit verlebt als bei ihm. Wir hatten zwar fast alle Tage Rauchfleisch auf dem Tische; aber er ass das fette, und ich bekam das magere, und wenn’s eine Arbeit gab, tat er sie selbst und liess mich springen. Ich sei nicht für die Arbeit, sagte er.

      Im Hause meines Grossvaters lebte oben in der Giebelstube die alte Blümeln. Zu ihr bin ich oft hinaufgestiegen, und ich dachte immer ans Dornröschen, das zur Spinnerin schleicht. Aber die alte Blümeln spann nie. Im Sommer ging sie rüstig und fleissig zur Arbeit, Tag für Tag, und im Winter war sie, da sie gerade Zeit dazu hatte, immerfort krank. Was ihr fehlte, sagte sie keinem Menschen, mir auch nicht.

      Auch an dem Märztage, von dem ich erzählen will, ging ich zur Blümeln. Sie lag im Bette und sah mich jämmerlich an. In der Stube waren vielleicht 30 Grad Hitze, und sie hatte noch zwei Tücher um den Kopf gebunden. Da klagte die Arme über Kopfschmerzen.

      Ich machte mich der Blümeln so angenehm als möglich. Ich liess mir etwas von ihrem seligen Manne erzählen, ich beguckte staunend das Bild ihres Sohnes, der beim Militär war, ich legte auf ihren Wunsch noch einmal frische Kohlen aufs Feuer. Dann wurde ich launig. Ich erzählte eine Schnurre vom Alten Fritz, deren Pointe sie aber nicht zu erfassen schien; ich turnte СКАЧАТЬ