In deiner Kammer. Paul Keller
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Название: In deiner Kammer

Автор: Paul Keller

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9788711517352

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СКАЧАТЬ geht er auf die eine Tür zu und legt die Hand auf die Klinke. Aber er bleibt zögernd stehen, als ob er in ein Mysterium eindringen sollte.

      Wenn er öffnete, und der Tisch wäre gedeckt da drin wie einst, und sie stünde in der Stube und säh’ ihn an mit ihren freundlichen Augen! Die Hand zittert ihm heftig, und da geht die Tür auf.

      Ein leerer, dunkler Raum. Nur das Stearinlicht wirft einen unsicheren Schimmer über das Gemach hin.

      Das war ehemals seine Wohnstube! Dort stand das Sofa, dort der Tisch, dort sein kleiner Schreibtisch, dort ihr Nähtisch. Er weiss noch alles, er weiss, wo jedes Bild gehangen hat an der Wand. Und jetzt ist alles fort; das Sofa, der Tisch, die Bilder und — sie!

      Der Mann legt die Hand über die Augen. Dann rafft er sich auf und sieht sich genauer in der Stube um. Es ist eine andere Tapete, aber es stecken noch ein paar Nägel in der Wand von seiner Zeit her. Auch der Ofen hat noch die zwei zersprungenen Kacheln, die er kennt.

      Die Scheu vermindert sich, ein Heimatgefühl überkommt ihn. Da tritt er in das zweite Zimmer. Es war ehemals seine „gute Stube“. Er wollte ja eigentlich gar keine gute Stube, aber Margarete bestand darauf nach Frauenart. Es war eine ihrer wenigen kleinen Eitelkeiten. Er muss ein wenig lächeln. Wie klein und niedrig dieses Zimmer war! Seine jetzige Küche ist doppelt so gross als diese „gute Stube“. Und doch war es eine gute Stube, so sehr gut, dass er sich jetzt keiner einzigen bösen Stunde erinnert, die er hier verlebte.

      Er tritt ans Fenster. Dort drüben liegt ein grosses dunkles Haus. Eine Volksschule ist’s, und er hat vor Jahren dort amtiert. Jetzt ist er längst nicht mehr Lehrer, jetzt ist er Grosskaufmann, Fabrikbesitzer, Stadtverordneter, Gott weiss, was er jetzt alles ist. Ja, ja, er ist gewaltig in die Höhe gekommen, sein Vermögen hat sich vermehrt, sein Ansehen ist gewachsen, seine Lebensweise hat sich verfeinert, nur sein Glück ist verloren gegangen. Nur sein Glück, sonst nichts! Alles andere ist in tadelloser Ordnung.

      Er schaut immer hinüber nach den hohen, dunklen Fenstern, und da packt ihn — wie schon so oft — das Heimweh nach dem alten, lieben Berufe, dem doch sein ganzes Herz gehört hatte, und der auch gewiss seine Bestimmung war.

      Seufzend wendet er sich endlich ab und geht nach der Wohnstube zurück. Ob er das letzte wagte und auch einmal da hinein in die Schlafstube ging? Dort drin war sie gestorben.

      Er zögert lange. Aber dann öffnet er langsam die Tür. Jäh schliesst er die Augen. Steht nicht dort — dort im Winkel, im Scheine eines ungewissen Nachtlichtes, ihr Bett? Liegt sie nicht dort in ihren Qualen, und schaut sie ihn nicht traurig an mit ihren guten Augen? Und wimmert nicht das Kindlein wieder?

      „Ich möchte so gerne bei euch bleiben, bei euch beiden! Weine nicht so sehr, guter Franz, — weine nicht gar so sehr?“

      „Du hattest mich so lieb, — du bist so gut, — ich danke dir, Franz, ich danke dir für alles! Es war so schön bei dir!“

      „Margarete!“

      Das Licht fällt verlöschend zur Erde, der Einsame eilt in den leeren Winkel. Er presst die heisse Stirn gegen die kühle Wand und weint bitterlich.

      Nach Minuten lehnt er sich ans Fenster. Draussen über dem stillen Hofe leuchten zwei Sterne.

      Wie er so in den dunklen Hof hinausschaut, wird sein Gesicht finster. Warum hatte es ihn so furchtbar hart betroffen, warum musste sie sterben? Sie war sein guter Engel gewesen und hatte, als sie schied, die Liebe und das Glück mit sich genommen. Wenn sich sonst eine Ehe löst durch den Tod, findet der zurückbleibende Teil trotz seines Wehes doch einen Trost, einen Halt, einen Frieden, vielleicht gar ein neues Glück. Er nicht! Er hat sich hundertmal selbst belogen.

      Hier, hier in diesen Räumen allein hat sein Glück gewohnt. Hier hat er’s zurückgelassen, und er findet es nicht wieder, und wenn er suchend wandert über die ganze Erde. Am allerwenigsten wird er es bei ihr finden — bei der Zweiten.

      Kann es denn nach einer Ersten eine Zweite geben? Für ihn nicht! Es war ein furchtbarer Irrtum, als er sich an jene andere band. Sie ist auch nicht sein Weib geworden, — nur seine Gemahlin. Sein Weib war diese hier!

      Wie kommt es aber, dass gerade heute nach so langer Zeit seine alte Liebe und Sehnsucht wieder lebendig wird? Weil er geflohen ist vor jener anderen, geflohen aus seinem kalten, frostigen Hause, geflohen wie ein Gemarterter. Und jetzt weiss er auch, warum der Fuss heute über die Strombrücke lenkte, warum er hierher kam.

      Er musste einmal wieder zu Hause sein!

      Ja, er hat viel verloren: sein Weib, seinen Beruf, seine Heimat. Er hat sich nie wieder heimisch gefühlt. Damals, als ihm kurz nach Margaretens Tode unerwartet die hohe Erbschaft zufiel, als er unglückseligerweise seinen Beruf aufgab, damals ist er ruhelos umhergezogen durch die ganze Welt. Er suchte Vergessen und Frieden. Der Tor! über die höchsten Alpenkuppen vermag ein winziger Grabhügel uns nachzuschauen.

      Irgendwo traf er seine jetzige Frau. Sie war ihm so gleichgültig wie alle anderen, aber ihr Vater gefiel ihm. Die Ruhe des älteren Mannes tat seiner aufgeregten jungen Seele wohl.

      Und eines Tages war er mit der Tochter verlobt. Als er damals nach dem Feste nach Hause in sein Zimmer kam und vor das Bild seiner Frau treten sollte, war es ihm, als habe er einen Ehebruch begangen. Und doch waren die Augen des Bildes, das vor ihm auf dem Tische stand, gütig und mild. Es war stille Nacht, und er sprach mit ihr in seinem Herzen. Da war es ihm, als ob sie ihm Antwort gäbe, als ob eine leise, zarte Stimme zu ihm spräche: „Armer Freund, ich zürne dir ja nicht! Finde eine neue Heimat, du lieber, ruheloser Mann!“

      Und diese Heimat hat er nicht gefunden. Er ist in das Geschäft seines Schwiegervaters eingetreten, er hat ein kostbares Haus bezogen und einen grossen Haushalt eingerichtet, aber eine Heimat war das nicht. Er lebte immer wie ein halbfremder Gast bei seiner Gemahlin und ihren vielen Bedienten.

      Ist sie gar so zu verurteilen? O nein! Sie ist schön, reich und geistvoll. Sie hat nur kein Herz. Und er — er hat sie ja auch nie geliebt. Die Heirat mit ihr war nichts als ein neuer, letzter Versuch, zur Ruhe zu kommen. Dass er so ganz und gar misslang, war kaum ihre Schuld.

      Es fehlt ihr die Herzensgenialität Margaretens, ihre liebe Stimme, ihr sanftes stilles Wesen, ihre fürsorglichen, weichen Hände. Und das kann durch nichts, durch keinen oberflächlichen Glanz aufgewogen werden.

      Müde lehnt sich der Einsame gegen das Fenster. Die zwei Sternlein vom Himmel schauen auf ihn freundlich hernieder. Ganz still steht er und lauscht und schaut mit den feinsten Sinnen seiner Seele. Da fällt der Groll von ihm ab, und sein Herz wird weich. Er schaut nicht nach rückwärts, aber es ist ihm, als schritte unhörbar sein geliebtes Weib durchs Zimmer, wie sie sonst tat, wenn er traurig war. Und jetzt fühlt er’s ... sie legt den blonden Kopf auf seine Schulter und schlingt den Arm weich um seinen Hals, und sie fragt nach seinem Kummer und tröstet ihn, es würde bald wieder besser sein.

      Da wendet er sich jäh um. O, er ist allein! Eine Frage, eine einzige Frage nur wollte er an sie stellen: Wie es besser werden könnte.

      Und da fällt ihm urplötzlich sein Kind ein, sein Kind und ihr Kind — die kleine Margarete. Die lebte noch. Damals, als die Frau starb, hatte er das Kind zu seiner Mutter und seiner Schwester gegeben, die in einer kleinen Stadt lebten; er selbst konnte es ja nicht erziehen. Und dann, als er sich wieder verheiratet hatte, hatte er sich gescheut, das Kind zu sich zu nehmen. Das Mädchen hing an der Grossmutter und an der Tante; aber die Hauptsache war, er mochte es seiner zweiten Frau nicht zur Erziehung übergeben. Die liebte ihn nicht, um viel weniger würde sie sein Kind lieben. Und die Liebe ist doch das einzige Werkzeug der СКАЧАТЬ