Название: Agatha Christie
Автор: Barbara Sichtermann
Издательство: Bookwire
Жанр: Афоризмы и цитаты
isbn: 9783955102234
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Agatha mit ihrem ersten Ehemann, Archibald Christie (1889–1962).
Die Gifte! Arsen, Zyankali, Curare – Agatha musste unbedingt wissen, wie sie wirkten, was sie im menschlichen Körper anrichteten und was für Spuren sie hinterließen. Sie plante einen Giftmord – auf dem Papier, in ihrem Krimi. Während sie Substanzen abwog und mischte, wanderten ihre Gedanken zu ihrem neuen Roman, und sie ersann einen Plot. Aber sie rief sich immer wieder zur Ordnung und zur Konzentration auf die Pharmazeutika. Der größte Teil ihrer Arbeit in der Lazarett-Apotheke galt zwar harmlosen Stoffen, die zu Medikamenten zusammengerührt wurden, aber auch hier kam es auf Genauigkeit an und somit auf größte Sorgfalt. »Als Amateure in der Spitalarbeit bereiteten wir alle Arzneien mit äußerster Präzision zu. Wenn der Arzt zwanzig Gran Wismutkarbonat für eine Dosis verschrieb, bekam der Patient genau zwanzig Gran. Das war richtig so, eben weil wir Amateure waren, aber ich kann mir gut vorstellen, dass ein Apotheker, der fünf Jahre studiert hat und einen akademischen Grad besitzt, sein Handwerk ebenso perfekt beherrscht wie eine Köchin das ihre. Mit großer Selbstverständlichkeit mischt er die Ingredienzen, ohne alles abzumessen oder zu wiegen. Er weiß es einfach. Bei Giften und gefährlichen Drogen ist er natürlich sehr genau, aber harmloses Zeug kommt in ungefähren Mengen dazu. Ähnlich geht es auch bei Färbemitteln oder Würzessenzen zu. Er macht es Pi mal Daumen.« Agatha führte ein Notizbuch, in dem sie die besonderen Eigenschaften verschiedener Substanzen aufschrieb, ihre Gerüche, Konsistenzen und Reaktionen an der Luft und im Wasser. ›Wer weiß, wann ich je wieder so tief in diese mysteriöse Welt hineingucken kann‹, sagte sie sich. Antimon, Belladonna, Digitalis, Morphium, Strychnin – so hießen die Überschriften in ihrem Büchlein. Als die Prüfung vor der Apotheker-Gilde anberaumt wurde, war Agatha ziemlich nervös. Sie hatte mehr Gewicht auf ihre Privatstudien gelegt und den Lehrplan nicht so ernst genommen. Aber sie bestand trotzdem – allerdings knapp. Bald darauf meldete sie sich bei der Handelsschule für einen Kursus in Stenografie und Maschineschreiben an. Die Kurzschrift lag ihr gar nicht, aber beim Maschineschreiben kam sie gut voran.
Wenn Archie einen seiner kurzen Urlaube erhielt, traf sich das Paar mal in London, mal in einem kleinen verschwiegenen Ort, bezog ein Hotel und feierte die zweite, die dritte und die vierte Hochzeitsnacht. Sie hatten so wenig Zeit füreinander gehabt, und es sah nicht so aus, als ob sich das bald ändern würde – der Krieg zog sich hin, er schien keineswegs jener begrenzte Waffengang zu sein, als den ihn die britische Presse und das Kriegsministerium eingeschätzt hatten. Archie war zum Bataillonskommandanten befördert und erneut wegen besonderer Tapferkeit ausgezeichnet worden. Agatha gegenüber spielte er die die Gefahr und den Schrecken herunter – das machten alle so, insbesondere die Offiziere, es galt als unschicklich, mit Müttern und Ehefrauen Klartext zu reden und so ihre Ängste zu steigern. Aber es nützte natürlich nichts. Die Frauen wussten genau, was im Feld geschah, Agatha sogar sehr genau, denn sie hatte an den Betten der Verwundeten gesessen und ihre Geschichten gehört.
»Weißt du, was ich gern täte?«, fragte sie Archie im Garten eines kleinen Hotels in New Forest, »ich würde mir gern Männerkleider anziehen, eine Einberufung fälschen und in den Krieg ziehen, zufällig genau in deinen Truppenteil.«
Archie küsste ihre Wange. »Sei froh, dass du das nicht musst«, sagte er. Und dann klagte er doch ein wenig – darüber, dass er nicht mehr fliegen konnte. Es hatte ihm so viel bedeutet. Er vermisste die Wolken. »Du musst mich entschädigen. Du und dein goldenes Haar.«
»Warum treffen wir uns nicht nächstes Mal in Ashfield?«, fragte Agatha. »Ich möchte mit dir auf der Terrasse sitzen. Und wir könnten den Pier entlangwandern …«
»Lass uns lieber nach Bristol gehen«, antwortete Archie, »ich scheue Ashfield wegen deiner Mutter. Ich habe das Gefühl, dass sie mich ablehnt.«
»Das tut sie ganz und gar nicht. Im Gegenteil, du gefällst ihr. Aber du hast eben diesen einen großen Nachteil: du nimmst mich ihr weg. Das ist es, womit sie nur schwer fertigwird.«
»So ein Unsinn. Du wirst 26. Alle Mütter müssen ihre Töchter gehen lassen. Das ist der Lauf der Welt.«
»Mit Clara hat es eben eine besondere Bewandtnis.«
»Was für eine Bewandtnis?«
»Sie kann Trennungen nicht vertragen. Und ich bin die Letzte, die sie noch hat. Verstehst du?«
»Nein, verstehe ich nicht.«
»Wirst du aber, wenn du weißt, wie meine Mutter aufgewachsen ist. Sie hat ihren Vater verloren, da war sie neun Jahre alt. Sie hatte noch drei Brüder. Ihre arme Mutter Mary Ann, meine Omi, stand nun allein in der Welt, sie bekam nur eine winzige Pension. Da hat Claras Tante Margaret, Omis Schwester, der Witwe ein Angebot gemacht. Margaret war jung verheiratet und gut gestellt, und sie sagte zu ihrer Schwester Mary Ann: Gib uns eins deiner Kinder ab, wir ziehen es für dich auf, dann ist deine Bürde ein bisschen weniger schwer. Und Omi gab Tochter Clara zu ihrer Schwester. Meine Mutter musste also ihre Familie verlassen und zur Tante ziehen, die außerordentlich lieb zu ihr war, aber es war eben nicht die Mutter. Es war eine neue Familie, in die sie sich erst einleben musste. Und das ist nicht gut gelungen. Verstehst du jetzt?«
»Huh«, machte Archie, »die Ärmste ist also weggegeben worden?«
»So ist es. Sie hatte furchtbares Heimweh, das nicht vergehen wollte. Bis heute fühlt sie sich von Trennungsängsten verfolgt. Ehrlicherweise muss man aber zugeben, dass der Wechsel für Clara auch was Gutes hatte. Sie lernte dort ihren Cousin Frederick kennen. Der war nicht ihr richtiger Cousin, keine Blutsverwandtschaft, er war der Sohn aus erster Ehe von Tante Margarets Ehemann, einem Amerikaner, der Miller hieß. Ihr Cousin Frederick Miller gehörte also mit zur Familie, er war neun Jahre älter als meine Mutter. Er hat sie, als sie Kinder waren, immerzu geneckt und geärgert und geknufft, und als Clara erwachsen war, ging das so weiter, nur mit anderem Unterton. Und stell dir vor: Irgendwann machte er ihr den Antrag. Mein Vater Frederick Miller, ja. Sie ist also doch noch gut ausgegangen, Claras Geschichte. Aber dass ihr Trennungen zu schaffen machen, das müsstest du jetzt verstehen.«
Archie brummte vor sich hin. Dann nickte er und sagte: »Einverstanden. Bei meinem nächsten Urlaub komme ich nach Torquay. Und nach Ashfield. Ich will deiner Mutter klarmachen, dass sie sich von ihrem Schwiegersohn Archie Christie niemals trennen muss.«
Oft saß Agatha im Schulzimmer, starrte aus dem Fenster und dachte über ihren Krimi nach. Er würde ihr gelingen, das fühlte sie, und sie würde diesmal Mr Philpotts mit dem Manuskript verschonen, es dafür sogleich an einen renommierten Verlag schicken. »Ich konnte mir natürlich einen sehr ungewöhnlichen Mord und ein sehr ungewöhnliches Motiv ausdenken, aber das entsprach nicht meiner schriftstellerischen Absicht. Der ganze Witz eines guten Kriminalromans besteht darin, dass einer offensichtlich der Mörder sein muss, es aber ebenso offensichtlich aus irgendeinem Grund nicht sein kann. Obwohl er es natürlich ist …« Agatha hatte von Madge eine alte Schreibmaschine geerbt, an der saß sie in ihrer freien Zeit, übte für den Kursus und tippte die handschriftlichen Skizzen für ihren Krimi ab. So eine Seite sah, wenn man sie aus der Maschine herausdrehte, auf eine herrliche Weise gedruckt aus. Das war ein Vorgeschmack auf das Buch, das sie irgendwann in Händen halten würde. Würde sie? СКАЧАТЬ