Название: Aus der Sicht der Fremden
Автор: Maria von Hall
Издательство: Автор
Жанр: Контркультура
isbn: 9783958408418
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Es waren extrem schwere Jahre für mich, die ich durchhalten musste. Ich war aber jung und gesund, und an jedem späten Abend war ich froh, wenn ich mit allen Pflichten und geplanten Arbeiten fertig geworden war. Das Haus, in dem ich die kleine Wohnung bekam, war ein Neubau, aber es hatte keine Zentralheizung. Jeden Abend, wenn die Kinder schon schliefen, holte ich die Kohle für den nächsten Tag in den zweiten Stock, und mit dieser Tätigkeit war der Tag für mich erst abgeschlossen. Das waren Jahre ohne freie Wochenenden und Urlaub.
Meine einzige Schwester Toni, die neun Jahre älter war als ich, wohnte damals mit ihrem Mann Kurt und den beiden kleinen Kindern Halinka und Kornelius in der Stadt Beuthen, die nahe der Stadt Katowice liegt. Seitdem meine Schwester das Elternhaus in Bielitz mit neunzehn Jahren verlassen hatte und mit ihrem Mann nach Beuthen gezogen war, pflegte sie einen engen Kontakt zu mir. Ich war erst zehn Jahre alt gewesen, als sie uns verlassen hatte. Sie besuchte mich aber in Bielitz regelmäßig mit Kurt, der damals den Militärdienst als Deutscher unter der Erde in einer Grube in Beuthen leisten musste. In den späteren Jahren lief der Kontakt per Telefon während der Arbeit im Büro oder wir tauschten Briefe aus. Das war in der Zeit, in der sehr wenige Menschen sich ein Telefon zu Hause leisten konnten. Wir haben uns trotzdem unser Leben lang nicht aus den Augen verloren.
Im Jahre 1968 wollte ich mit meinen beiden Kindern, die fünf und neun Jahre jung waren, in meinen ersten Urlaub fahren. Ich habe von der Firma meiner Schwägerin kostenlos ein Campinghäuschen, das sich in den Bergen befand, zur Verfügung gestellt bekommen. Ein solches Angebot wollte ich mir nicht entgehen lassen. Als ich meiner Schwester von dem Urlaub erzählte, fragte sie mich plötzlich, ob ich ihre Tochter Halinka mitnehmen würde. Ich habe mir bei der Frage nichts gedacht, wunderte mich aber, dass sie keinen Urlaub für diesen Sommer planten. Ich war natürlich einverstanden, und so bin ich dann mit meinen Kindern und der damals zwölfjährigen Halinka in die Berge in die kleine Touristenstadt Weishell gefahren, die an der südlichen Grenze Polens lag. Aus dem Zentrum der kleinen Stadt führte uns ein steiler Weg zu unserem Urlaubsziel. Es hat genieselt und fast eine Stunde lang gedauert, bis wir mit unseren Rucksäcken auf dem Berg angekommen waren. Auf dem kleinen Campingplatz auf der Alm befanden sich circa zwölf kleine Campinghäuser. Rundherum stand ein dichter Wald und neben den Häusern sprudelte ein Bach. Einfach herrlich! Es war kein Mensch zu sehen. Das Campinghaus war klein und die Ausstattung bescheiden. Wir hatten vier einfache Klappbetten zur Verfügung, weiters standen ein kleiner Tisch und vier Stühle darin. Zum Kochen gab es einen kleinen Kocher mit einer Platte. Das alles hat mich aber nicht erschreckt. Wichtig war, dass die Kinder aus der Stadt weg waren und die frische, kristallreine Luft atmen konnten. Die Kinder haben sich schnell eingelebt, der dichte Wald, der sprudelnde Bach, das waren natürlich Attraktionen für die Kinder und sie haben trotz des Nieselns Stunden am Ufer spielend verbracht, und die kleinen, zahlreichen Salamander haben zusätzlich Spaß gemacht. Jeden Tag nach dem Frühstück haben wir uns alle gleich auf einen Wanderweg begeben und die Bauern in der Gegend aufgesucht, um Eier, Butter und Quark einzukaufen. Den bescheidenen Rest wie Obst und Brot haben wir aus dem Städtchen holen müssen. Da hatten wir schon nach unserer Rückkehr den halben Tag hinter uns. Während ich mich schnell um das Mittagessen kümmerte, haben die Kinder am Bach gespielt und ich freute mich, dass sie dort so viel Spaß hatten. Nachdem das Mittagsessen auf dem Tisch stand, ging ich zum Bach, um die Kinder zu holen und zu sehen, was sie sich da aus den Steinen alles gebaut und einfallen lassen hatten. Ich staunte, die Kinder hatten Fantasie! Die Beschäftigung mit den Steinen hat die Kinder doch am Bach gehalten und machte sichtbar Freude. Die Sonne wollte sich in diesen Tagen nicht richtig zeigen, es hat überwiegend genieselt und war kühl. Die Kinder haben ständig die Pelerine tragen müssen, aber das hat sie nicht gestört. An all den Tagen hatte ich keine Urlauber auf der Alm und auf den Wegen durch die Berge getroffen. Zum Nachdenken hatte mich die Tatsache nicht gebracht, ich dachte, dass die Leute sich einfach im Campinghaus die Zeit vertrieben oder unterwegs waren.
Ich hatte mit den Kindern kaum eine Woche in den Bergen verbracht, da weckte mich eines Tages – um 03:00 Uhr in der Früh – eine heftige Detonation! Sie war ganz nah und die Angst raubte mir sofort den Atem. Da ich wie ein Hase schlief, bin ich gleich erschrocken aus dem Bett hochgesprungen und ging wie ich war vor das Häuschen. Plötzlich hörte ich die nächste Detonation und Schüsse! Was war da los? Die Geräusche kamen von ganz nah. Dann schaute ich endlich genauer hin und merkte, dass an allen Campinghäusern eine Kette mit einem Vorhängeschloss hing! Das hat mich noch zusätzlich erschreckt, weil mir in diesem Moment klar wurde, dass ich mit den Kindern alleine auf der Alm war! Die Kinder haben tief geschlafen und nichts mitbekommen. Ich fing schnell an, unsere Sachen zu packen und das Frühstück vorzubereiten. Das schlechte Wetter war Ausrede genug, um den Urlaub abzubrechen. Erst bin ich mit den Kindern zu meinen Eltern nach Tychy gefahren, und als ich erzählte, was ich in der Früh erlebt hatte, sagte der Vater zu mir: „Bei uns haben die Fensterscheiben gezittert, wir haben es auch mitgekriegt.“ Mehr wollte er vor den Kindern nicht sagen, nur, dass ich zu Hause Radio einschalten sollte. Die Eltern haben jeden Tag die Nachrichten im Radio verfolgt und wussten, was los war. Dann zeigte mir die Mutter einen Brief von Toni, der grade angekommen war. Er war an mich adressiert. Ich machte schnell den Umschlag auf und las folgende Worte: „Liebe Maria, bitte kümmere Dich um unsere Halinka! Wir sind in den Urlaub nach Österreich gefahren und kommen nicht mehr zurück.“ Diese Nachricht hat das Kind nicht erschreckt, es schien, dass es sie noch nicht so richtig verstand.
Ich bin mit den Kindern zurück nach Hause gefahren. Ab diesem Zeitpunkt habe ich regelmäßig Radio angehört. Es wurde über den Aufstand in der Tschechei berichtet. Das Land befand sich im Krieg. Kurz danach habe ich an einem Nachmittag Besuch vom staatlichen Geheimdienst bekommen. Der Mann fragte mich genau aus, stellte gezielte Fragen, wollte alles über meine Schwester und meinen Schwager wissen, aber ich konnte auf seine Fragen keine Antwort geben, weil mich Toni nicht in ihre Fluchtpläne eingeweiht hatte. Und das war richtig so, denn ich konnte wirklich keine Auskunft geben. Der Mann hat sich in meiner bescheidenen Wohnung umgeschaut und ist nicht wiedergekommen. In dem zweiten Brief, der schon nach Laziska Gorne adressiert war, bat mich meine Schwester um die Liquidation ihrer Wohnung in Beuthen.
Die Sache mit dem Umzug war schnell erledigt. Mein Bruder Fritz hat mir mit seiner Frau und seinem Freund geholfen und wir haben uns sehr beeilt, die Wohnung zu leeren. Wir waren uns nicht sicher, ob uns doch jemand dabei hindern würde. Der Transporter, mit dem wir aus Tychy nach Beuthen gekommen waren, stand im Hof des Hauses, das zu der Firma gehörte, in der mein Schwager tätig war. Als wir die Möbel aus der Dreizimmerwohnung trugen, schauten uns die Nachbarn durch die Fenster schweigend zu, aber niemand stellte eine Frage, niemand sprach uns an, wahrscheinlich deswegen, weil sie mich als Schwester erkannt haben. Trotzdem haben wir in Eile gearbeitet, die Wohnung abgeschlossen und sind schnell weggefahren. Nachdem die Wohnung ausgeräumt war, wollte ich nach ein paar Tagen nochmal nach Beuthen fahren, um den Rest zu beseitigen und aufzuräumen. Meine zwölfjährige Nichte Halinka wollte mitfahren, also nahm ich das Kind mit. Als sie die leere Wohnung erblickte, fing sie bitterlich zu weinen an. Sie hatte begriffen, dass sie verlassen worden war. Sie tat mir in diesem Moment unheimlich leid und ich bereute es, dass ich sie mitgenommen hatte.
Ich habe meine Nichte in der Schule in Laziska Gorne angemeldet und Halinka ging mit meiner ältere Tochter Renate um 7:45 Uhr allein zur Schule, während ich das Haus mit meiner jüngeren Tochter Neli schon um 6:25 Uhr verlassen musste.
Ich habe nicht daran geglaubt, dass das Kind irgendwann aus Polen herauskommen würde, da die Grenzen zu waren, deswegen habe ich mich noch im selben Jahr um eine größere Wohnung gekümmert. Ich bin noch im November 1968 nach Tychy gefahren und suchte die Wohnungsgesellschaft Oskard auf. Das war die einzige Möglichkeit, eine Wohnung zu bekommen, weil die Stadt Tychy immer noch ausgebaut wurde. Mit jedem Jahr entstanden neue Siedlungen. Diese wurden mit Buchstaben bezeichnet und in Bau war erst die Siedlung E. Die nette Dame, mit der ich dort sprach, wollte wissen, wo ich arbeite und ob ich einen gut verdienenden Mann habe. Die neuen Wohnungen waren ja sehr teuer und ich habe damals im Gesundheitsamt nur 931 Zloty verdient. Das war sehr wenig! Ich war aber СКАЧАТЬ