Aus der Sicht der Fremden. Maria von Hall
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Aus der Sicht der Fremden - Maria von Hall страница 8

Название: Aus der Sicht der Fremden

Автор: Maria von Hall

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

Серия:

isbn: 9783958408418

isbn:

СКАЧАТЬ zerstört! Und es gab keine schönen Aufenthalte im Wald mehr. Wir mussten uns mit dem schmerzhaften Verlust ebenso wie mit den Kriegserlebnissen abfinden. Der Schmerz ist geblieben, aber auch die schönen Kindheitserinnerungen an das Paradies im Wald bei Pleß. Die wenigen Fotos aus der Zeit, die wir bei Onkel Viktor verbracht haben, sind uns Kindern nach dem Krieg und dem Verlust des Onkels sehr wichtig geworden. Sie haben plötzlich eine besondere Bedeutung für uns bekommen. Hier ein paar Bilder aus der glücklichen Zeit, die wir trotz Krieg bei Onkel Viktor erleben durften.

      Die Auerochsen im Reservat Jankowitz bei Pleß

      Die Mutter meines Vaters, Maria O., geb. am 28. 09. 1878 in Teschen, mit ihrem

       Sohn Viktor und seinen Kindern Ruth und Otto. Ein Bild aus den letzten gemeinsamen

       Sommerferien in seiner Försterei in Jankowitz. Kurz darauf ist meine Familie

       vor der russischen Armee geflüchtet.

      Otto bei der Jagd

      Der Abschied – Fritz und Otto

      Die letzten Ferien in Jankowitz, Sommer 1943

      Der Abschied, Sommer 1943. Meine Eltern und alle sieben Kinder,

       Toni, Lydia, Ruth, Fritz, Karl, Otto und Maria.

      ***

      Nach unserer Rückkehr dauerte es nicht lange und unser Vater wurde von der Zentralregierung Polens nach Warschau eingeladen. Nach der Anmeldung und einem sachlichen, kurzen Gespräch wurde er gebeten, sich beim Industrieministerium zu melden. Ab diesem Zeitpunkt war mein Vater kein freier Mensch mehr. Er erhielt den Auftrag, die durch den Krieg zerstörte industrielle Infrastruktur wieder aufzubauen. Zu diesem Zweck hatte man das Büro für Wiederaufbau gegründet, welches mein Vater leiten sollte. Man gab ihm noch drei Ingenieure als Mitarbeiter. Hauptthemen waren zunächst die zwei Häfen an der Ostsee und deren Wiederaufbau. Anschließend sollten die Hütten und Gruben in Schlesien wieder in Betrieb genommen werden. Im Laufe der folgenden Jahre musste mein Vater die zerstörten Fabriken und Betriebe in verschiedenen polnischen Städten wiederaufbauen lassen und das Ganze beaufsichtigen. Das Ministerium, dem er jetzt unmittelbar untergeordnet war, schickte ihn durch ganz Polen, von einer Stadt zur nächsten, und schließlich mussten wir 1953 Bielitz verlassen und nach Breslau umziehen. Mein Vater war ein guter Organisator, er arbeitete effizient und schnell. Innerhalb von zwei Jahren konnten alle Fabriken in Breslau wieder in Betrieb genommen werden. Mein Vater arbeitete schon ein Jahr in Breslau, als er unsere Familie nachkommen ließ. Ein Jahr konnten wir dort gemeinsam mit unserem Vater verbringen, danach wurde er schon in die nächste Stadt, nach Swiebodzin bei Posen abkommandiert. Beim Umzug nach Breslau waren meine älteren Geschwister Toni und Fritz schon außer Haus, ich war vierzehn und Karl fünfzehneinhalb Jahre alt, als wir nach Breslau umziehen mussten.

      Das Team für den Wiederaufbau Polens (links mein Vater mit 44 Jahren)

Im Jahre 1954 bekamen wir eines Nachmittags einen unerwarteten Besuch in Breslau. Er hatte uns alle nicht nur überrascht, er war auch ungewöhnlich. Es klingelte. Ich eilte neugierig zur Tür und machte auf. Vor mir standen zwei Polizisten, die nach meinem Vater verlangten. Ich rief ihn, er kam schnell dazu, und als er die beiden erblickte, bat er sie gleich ins Wohnzimmer, ohne eine einzige Frage zu stellen. Mein Bruder Karl und ich saßen zusammen mit der Mutter in der Küche und warteten gespannt und ungeduldig auf Vater. Das Gespräch dauerte lange, und als die Polizisten endlich unsere Wohnung verließen, atmeten wir erleichtert auf. Unser Vater kam dann langsam in die Küche, in der die Mutter schon mit dem Abendbrot auf ihn wartete. Er war erregt und nachdenklich, er wusste nicht, wie er anfangen sollte. Schließlich sagte er leise: „Sie haben von mir verlangt, dass ich meinen deutschen Namen aufgebe. Sie wollten auch, dass ich in die polnische Partei eintrete.“ Vater war noch fassungslos und versuchte, sich zu beruhigen. Wir alle waren verblüfft und warteten mit Spannung, wie das Gespräch ausgegangen war. Unser Vater hatte dieses nach längerem Ringen mit einer Frage beendet. Diese hatte gelautet: „Was ist Ihnen lieber? Ein Mensch, der nichts auf die Reihe kriegt, aber ein Parteigenosse ist, oder ein parteiloser, aber ehrlicher Mensch, der arbeiten kann?“ Die Polizisten hatten nichts erreicht und waren gegangen. Mein Vater hatte weder seinen Namen aufgegeben noch war er in die polnische Partei eingetreten.

      Kapitel 2

      Nördlich von meiner Heimatstadt Bielitz liegt die kleine Industriestadt Mikolow, die in den Sechzigerjahren ungefähr 22.000 Einwohner hatte. Es ist eine sehr alte, aber schöne und ruhige Stadt, die damals mit vielen Blumenrabatten geschmückt war. Das Zentrum der Stadt bildete ein großer Platz vor dem Rathaus, der damals noch mit Katzenkopfpflaster ausgelegt war. Um diesen herum befanden sich Lebensmittelgeschäfte, eine Apotheke, ein Restaurant, ein Kräutergeschäft und in einer schmalen und kurzen Gasse, die zum Rathaus führte, das einzige private Geschäft der Stadt, in dem ich Getreide kaufen konnte. Auch eine Buchhandlung und die Stadtbibliothek waren im Zentrum zu finden. Außerhalb befanden sich das Krankenhaus, das Kreisgericht und das Gymnasium, das meine beiden Töchter in den Siebzigerjahren besucht haben. Das Flair der Stadt hatte damals noch etwas Mittelalterliches.

      Fünfzehn Minuten Busfahrt von der Stadt Mikolow entfernt liegt das kleine Städtchen Laziska Gorne, in das ich im Jahre 1964 mit meinen beiden kleinen Kindern zog. Hier wohnten überwiegend Bergmänner, die in der Grube „Boleslaw Smialy“ beschäftigt waren, mit ihren Familien. Da meine Kinder ein Altersunterschied von vier Jahren trennt, musste ich acht Jahre lang um 06:30 Uhr in der Früh zum einzigen Kindergarten gehen, der zur Kohlengrube gehörte, und danach weiter zur Bushaltestelle am Rathaus eilen, um den Bus um 7:05 nach Mikolow zu erwischen. Auf dem großen Platz im Zentrum dieser Stadt befand sich eine Bushaltestelle, wo ich nach Tychy umsteigen musste. Ich habe dort im Gesundheitsamt gearbeitet, und wenn es mir gelang, um halb acht in Mikolow umzusteigen, bin ich trotzdem jeden Tag zwanzig Minuten zu spät im Amt angekommen. Unannehmlichkeiten habe ich deswegen aber nicht bekommen, weil der Chef wusste, dass es für mich keine andere Verbindung gab.

      Die rot bemalten Busse hatten damals noch ganz einfache Türen, die man selber aufmachen und schließen musste. Die Busse waren nicht immer pünktlich und jeden Tag gab es dasselbe Theater auf der weiteren Fahrt nach Tychy. Der Bus war in den Morgenstunden dermaßen überfüllt, dass die Menschen wie Trauben an den Treppen hängenblieben, um weiterzukommen. Der nächste Bus ist erst nach zwanzig Minuten gekommen und die meisten Bewohner der Stadt waren auf den Bus angewiesen, wenn sie nach Tychy oder weiter nach Bierun oder Auschwitz fahren wollten. Nur wenige Menschen konnten sich in den Sechzigerjahren ein Auto leisten. Es war ein Kampf hineinzukommen und ich musste oft auf einem Bein zwischen den anderen Passagieren stehen. Der Busfahrer, der sich an den Fahrplan halten wollte, hat den überfüllten Bus bei offenstehenden Türen in Fahrt gebracht, und die an der Treppe dicht aneinandergedrängten Menschen haben sich an den Innengriffen der СКАЧАТЬ