Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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Als sie zurückkamen, war der Baron zu Fuss nach der Damen-Kammer, einer Felsengrotte an der Küste, gegangen. Sie warteten also beim Wirtshause auf ihn.
Erst gegen fünf Uhr abends, nach einem langen Spaziergang an der Küste, kehrte er zurück.
Man bestieg wieder die Barke. Ganz sanft, den Wind im Rücken, ohne jeden Stoss und jedes Schaukeln glitt sie vorwärts; man bemerkte kaum, dass sie sich bewegte. Nur mit Absätzen blähte ein leichter sanfter Windhauch die Segel, um sie gleich darauf wieder schlaff am Maste herunterhängen zu lassen. Das Wasser war wie abgestorben, während die Sonne nach Vollendung ihrer Bahn langsam ins Meer unterzutauchen schien.
Wiederum herrschte allgemeines Schweigen unter dem überwältigenden Eindrucke dieser abendlichen Meeresstille.
»Ich würde sehr gern ’mal auf Reisen gehen«, sagte endlich Johanna.
»Jawohl«, meinte der Vicomte, »dieser Wunsch ist nur zu sehr berechtigt. Aber ich finde es zu traurig, allein zu reisen. Man muss wenigstens zu zweien sein, um sich gegenseitig seine Eindrücke mitteilen zu können.«
»Das stimmt …« sagte sie nach einigem Nachdenken, »ich liebe es zwar auch, allein spazieren zu gehen, indessen …; man ist aber besser allein, wenn man träumen will …«
»Man kann auch zu zweien träumen«, sagte er, jedes Wort betonend und sie dabei lange ansehend.
Sie schlug die Augen nieder. Sollte das eine Anspielung sein? Sie betrachtete den Horizont, als weilten ihre Gedanken in der Ferne.
»Ich möchte nach Italien reisen …« begann sie wieder langsam. »Und nach Griechenland … ach ja! nach Griechenland! … und nach Korsika! das muss so wildromantisch sein.«
Er hätte der Alpen und Seen wegen die Schweiz vorgezogen.
»Nein«, sagte sie, »ich möchte entweder nach ganz unbekannten Gegenden wie Korsika oder nach ganz alten Ländern, wie Griechenland, wo jeder Fleck Erde seine Geschichte hat. Es muss so hübsch sein, die Spuren der Völker zu verfolgen, von denen wir schon in der Jugend gelesen haben und die Orte zu sehen, wo sich die großen Ereignisse abgespielt haben.«
»Was mich betrifft«, entgegnete der etwas weniger schwärmerische Vicomte, »so zieht mich England ausserordentlich an. Dort kann man vieles lernen.«
So durchwanderten sie gemeinsam den Erdkreis, indem sie die einzelnen Länder und ihre Vorzüge lebhaft erörterten und selbst die weniger bekannten Völker, wie die Chinesen und Lappländer mit ihren zum Teil noch unerforschten Sitten und Gebräuchen dabei nicht übergingen. Schliesslich aber einigten sie sich in der Ansicht, dass Frankreich mit seinem gemässigten, im Sommer nicht zu heissen, im Winter nicht zu rauen Klima, mit seinen üppigen Triften und grünen Wäldern, seinen herrlichen Strömen, mit seinem Kunstsinn, der kaum von der Blütezeit Athens übertroffen wäre, das prächtigste Land der Welt sei.
Hierauf schwiegen sie auch wieder.
Die Sonne, schon halb im Meere versunken, sandte über die stille Wasserfläche ihre letzten Strahlen, welche bis zum Schiffe einen glänzenden Streifen auf derselben bildeten.
Die letzten Windstösse hatten aufgehört. Keine Furche war auf dem Wasser mehr zu sehen; das schlaffe Segel schimmerte in rosigem Lichte. Eine unbegrenzte Ruhe schien den weiten Himmelsraum zu umfassen. Wie eine keusche Braut schien das gewaltige Meer seinen feurigen Liebhaber zu erwarten, der, wie von dem Verlangen nach seiner Umarmung, mit Purpurglut übergossen sich zu ihm niederneigte, um endlich ganz in demselben zu verschwinden.
Dann begann allmählich eine erquickende Kühle einzutreten. Ein Schauer wölbte den Busen des Wassers, als wenn das untergegangene Tagesgestirn einen Seufzer stillen Friedens über die Welt ausgestossen hätte.
Die Dämmerung währte nicht lange. Die Nacht mit ihrem funkelnden Sternenheer brach an. Papa Lastique griff zu den Rudern und man bemerkte beim Einschlagen derselben, dass das Meer phosphoriszierte. Johanna und der Vicomte betrachteten miteinander die tanzenden Lichtstreifen, welche die Barke hinter sich ließ.
Sie waren aus ihren Träumereien wieder aufgewacht und atmeten mit Behagen die frische erquickende Abendluft ein. Johanna hatte die eine Hand auf die Bank gestützt, und wie zufällig berührte sie dabei die Finger des Vicomte. Aber sie zog die Hand nicht zurück; die leichte Berührung flösste ihr ein eigentümliches wonniges Gefühl ein.
Als sie an diesem Abend ihr Zimmer betrat, fühlte sie sich seltsam bewegt; sie hätte am liebsten weinen mögen. Sie betrachtete die Uhr auf dem Kamin und dachte, dass die Bewegung der kleinen Biene dem Schlage des Herzens gliche, eines Herzens, das ihr nahe stand. Sie dachte, dass sie die Zeugin seines ganzen Lebens sein würde, dass sie die Freuden und Leiden dieses lebhaften und doch so regelmässigen Tik-Tak’s teilen würde. Und plötzlich hielt sie die vergoldete Biene an, um einen Kuss darauf zu drücken. Sie hätte am liebsten die ganze Welt geküsst. Es fiel ihr ein, dass sie unten in einer Schieblade eine ihrer alten Puppen verwahrt hatte. Sie holte sie hervor mit einer Freude, als träfe sie eine liebe alte Bekannte wieder; und indem sie das teure Spielzeug zärtlich an ihre Brust drückte, bedeckte sie die rotgefärbten Lippen desselben mit zahlreichen heissen Küssen.
Traumverloren hielt sie es lange so in ihren Armen.
War das wirklich »Er«, den ihr tausendfach eine innere Stimme versprochen, den ihr eine gütige Vorsehung so in den Weg geführt hatte? War er wirklich das für sie bestimmte Wesen, dem sie ihr ganzes Dasein opfern würde? Waren sie beide dazu bestimmt, sich in inniger Zärtlichkeit zu vereinen, für immer zu verbinden, die »Liebe« zu kosten?
Sie empfand noch nicht jene stürmischen Regungen der СКАЧАТЬ