Название: Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht
Автор: Julia Fritz
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik
isbn: 9783823302254
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Obwohl die Berücksichtigung von Emotionen beim Fremdsprachenlernen in der Vergangenheit immer wieder als Desiderat formuliert wurde, beschränken sich bisherige Ansätze in der Emotionsforschung weitgehend auf den affektiven Faktor Angst, insbesondere im Hinblick auf die mündliche Sprachproduktion (vgl. Riemer 2016:268f.). Besonders hervorzuheben ist insofern die Arbeit von Cronjäger (2009), die mittels eines Längsschnittdesigns die Intensität, die Bedingungen und Wirkungen sowie Veränderungen von Unterrichtsemotionen (Freude, Stolz, Ärger, Angst, Langeweile) während eines Schuljahres zu vier unterschiedlichen Messzeitpunkten untersucht.
Betrachtet man die forschungsmethodologischen Konzeptionen, die diesen Untersuchungen zugrunde liegen, fällt auf, dass die Mehrzahl der Arbeiten, die sich mit der Erforschung affektiver Faktoren beschäftigen, quantifizierende Ansätze verfolgen. Daneben existieren jedoch auch Studien, die im qualitativen Forschungsparadigma zu verorten sind.
Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien
Besonders hervorzuheben ist hier das Forschungsprogramm Subjektive Theorien (vgl. Kallenbach 1996; Grotjahn 1998; Kolb 2007), das einen explorativen Zugang zu den individuellen Sichtweisen der SchülerInnen auf das Erlernen fremder Sprachen ermöglicht. Durch die Anwendung dieses aus der Sozialpsychologie stammenden Forschungsprogramms (vgl. Groeben et al. 1988) auf den Kontext des Fremdsprachenlernens gelingt es, Einsichten in die individuellen Vorstellungen und Überzeugungen von Lernenden – d.h. „ihre jeweils subjektiv erlebten, empfundenen und ‚verarbeiteten‘ Erfahrungen im Umgang mit Fremdsprachenlernen“ (Kallenbach 1996:75) – zu gewinnen. Die individuellen Sichtweisen von OberstufenschülerInnen erhebt Kallenbach mittels eines dreischrittigen Verfahrens aus Interview, Fragebogen und Struktur-Lege-Technik.1 Damit unterscheidet sich ihre Studie in Bezug auf die theoretische Konzeption, die der Schülersicht zugrunde gelegt wird. Denn anders als bei den zuvor genannten Arbeiten geht es bei diesem Ansatz nicht um die empirische Messung bzw. Erforschung affektiver Lernervariablen, sondern um „komplexe Wissenskonstrukte, die der/die einzelne aus der persönlichen Erfahrung im Umgang mit Fremdsprachen in und außerhalb der Schule aufbaut“ (ebd.: 49).
Martinez (2008:98) verweist in ihrer Studie auf das Forschungsprogramm Subjektive Theorien als den „am weitesten ausgearbeitete[n] Ansatz zur Rekonstruktion der subjektiven Sicht von Lernenden“. Aktuelle fremdsprachendidaktische Studien (vgl. u.a. Trautmann 2014; Bauer 2015) wählen bei der Erfassung der Lernerperspektive zunehmend qualitativ-rekonstruktive Forschungsansätze, die der Bildungsgangforschung (vgl. Decke-Cornill et al. 2007) zuzuordnen sind. Diese betont die Prozesshaftigkeit von subjektiven Bildungsgängen sowie die biografische Dimension des Lernens und ist damit besonders geeignet, bildungsbezogene Entwicklungsverläufe in den Blick zu nehmen (vgl. Kallenbach 2007:217).
Bildungsgangforschung
Meyer bezeichnet die Bildungsgangforschung als „research on learner development and educational experience“ (Meyer 2009:1), die „mit der Konzentration auf den Gang der Bildung die Perspektive der Lernenden [betont]“ (ebd., Hervorh. im Orig.). Als Fragestellungen der Bildungsgangforschung formuliert Meyer folgende Schwerpunkte:
Uns interessiert Bildung als ein sozialisatorischer Prozess, in dem sich das Selbst entwickelt, mit Krisen, Regressionen, Brüchen, Entwicklungsschüben und Aufbrüchen.
Uns interessieren die Perspektiven, die sich für die Selbstregulation des Lernens unter der Bedingung institutionalisierter Lehre eröffnen.
Uns interessiert, wie sich Heranwachsende in diesen Lehr-Lern-Situationen verhalten, wie sie ihre Lernaufgaben deuten und welche Sinnkonstruktionen sie mit dem Unterricht verbinden.
Uns interessiert, ob und wie die Heranwachsenden Entwicklungsaufgaben, die gesellschaftliche Anforderungen und Beschränkungen mit individuellen Bedürfnissen, Interessen und Fähigkeiten vermitteln, wahrnehmen und bearbeiten.
Uns interessiert, wie die Heranwachsenden nicht nur Wissen und Können, sondern zugleich auch die Fähigkeit zur Selbstbestimmung und zu verantwortlichem Handeln für eine Welt entwickeln, die zunehmend komplexer und schwieriger wird. (ebd., Hervorh. im Orig.)
So richtet sich bspw. das Erkenntnisinteresse der Arbeit von Trautmann auf die Rekonstruktion subjektiver Erlebnisweisen und die Frage, „wie Fremdsprachenlernen/‑erwerb von Schülerinnen und Schülern subjektiv erfahren und bewältigt wird“ (2014:10), um Bedingungen des Gelingens bzw. Misslingens der Anforderung Fremdsprachenlernen herauszuarbeiten. Ähnlich gelagert ist die Herangehensweise von Bauer, die in ihrer Arbeit „die Erfahrungen der Lernenden sowie ihre daraus resultierende Bezugnahme zur englischen Sprache sowie zu den Fachgegenständen des Englischunterrichts“ (2015:104, Hervorh. im Orig.) rekonstruiert. Beide Ansätze zeigen die Potenziale rekonstruktiver Forschungsansätze auf, sind jedoch eher in der anglistischen Fremdsprachendidaktik zu verorten. Vergleichbare Untersuchungen aus der Didaktik der romanischen Sprachen liegen bislang nicht vor.
Wie deutlich wurde, verfolgen Studien, deren Erkenntnisinteresse auf die Erforschung der Lernerperspektive gerichtet ist, zum Teil unterschiedliche Ansätze und sind damit in ihren methodischen Zugängen nur bedingt vergleichbar. Dennoch liefern sie wichtige Einsichten in die subjektiven Sichtweisen von SchülerInnen. Ein Überblick über zentrale Ergebnisse der Arbeiten zur Schülersicht soll daher Gegenstand der nachfolgenden Kapitel sein.
3.3.1 Die Abwahl der zweiten Fremdsprache
Neben der Notwendigkeit einer kritischen Hinterfragung der bildungspolitischen Rahmenbedingungen (vgl. Kap. 2) legen die vorliegenden empirischen Untersuchungen1 nahe, dass die Abwahl des Faches Französisch auch vor dem Hintergrund des erlebten Unterrichts zu diskutieren ist. Auch Meißner (1997:19) mahnt an, dass monokausale Begründungszusammenhänge zu kurz greifen, um diese Entwicklungen hinreichend zu erklären, und verweist auf die Notwendigkeit, die Motive für die Hinzu- oder Abwahl von Fremdsprachen in der Sekundarstufe II genauer zu erforschen.2 Neben einer Reihe anderer Fragestellungen wirft auch er die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen konkreten Unterrichtserlebnissen und dem Abwahlverhalten von SchülerInnen auf. Die Ursachen für die Entscheidung gegen eine bestimmte Fremdsprache scheinen vor allem in (schulischen) Lernerfahrungen begründet:
Während bei Eintritt in die Sekundarstufe und zu Beginn des Fremdsprachenunterrichts schulisches und berufliches Nützlichkeitsdenken dominieren, treten nun [am Ende der Sekundarstufe I, Anm.d. Verf.] die Auswirkungen der persönlichen Begegnung mit dem fremdsprachlichen Medium in den Vordergrund. (Hermann-Brennecke & Candelier 1993:240)
Auch Schumann und Poggel (2008:114) argumentieren, dass der Rückgang der Schülerzahlen nicht dem mangelnden Interesse der Jugendlichen an Frankreich und den FranzösInnen, „sondern eher der Methodik des Französischunterrichts und den Frustrationserlebnissen beim Erlernen der französischen Sprache geschuldet ist“. Nur die Hälfte der SchülerInnen (53,3 %) gibt an, Französisch gern zu lernen; 41 % verneinen dies. Etwa ein Drittel der Lernenden (36,7 %) lernt Französisch nur aufgrund der Obligatorik einer zweiten Fremdsprache (vgl. ebd.: 116). Venus (2017b) kann in ihrer Arbeit zeigen, dass mehr als 60 % der SchülerInnen nach der Schulzeit Französisch СКАЧАТЬ