Название: Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht
Автор: Julia Fritz
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik
isbn: 9783823302254
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Wenn Zensuren zu einer Art Tauschwert geraten oder ihrem eigentlichen Zweck enthoben werden, stößt dies auf Kritik bei SchülerInnen. Lernen diene demnach nicht mehr primär einem Wissens- oder Kompetenzzuwachs, sondern werde einzig auf das Erreichen einer guten Zensur reduziert, weshalb das Gelernte danach wieder vergessen werden könne (vgl. Czerwenka et al. 1990:116ff.). Auch dass Tests und Leistungskontrollen als Instrument der Disziplinierung und Verhaltenskorrektur eingesetzt werden, verstößt in den Augen der Lernenden gegen den intendierten Sinn schulischer Leistungsbewertung (vgl. Haselbeck 1999:335). Dennoch lassen sich in keiner der Studien Hinweise darauf finden, dass SchülerInnen eine komplette Abschaffung der Noten wünschen.
3.3.4 Zur Bedeutung sozialer Beziehungen
Die Schule wird von Jugendlichen als sozialer Raum erlebt, der das Treffen von Freunden und Kennenlernen neuer Menschen ermöglicht (vgl. u.a. Nölle 1995:115; Denner et al. 2002:52). Eine intakte und gut funktionierende Klassengemeinschaft stellt insofern für SchülerInnen1 einen sehr wichtigen Aspekt von Schule dar (vgl. Bocka 2003:132), der Einfluss auf das Lernen, die Schulleistung, das Verhalten und die Persönlichkeitsentwicklung nimmt (vgl. Grewe 2017:547). Obwohl einige der Studien zum Klassenklima aus Schülersicht bereits einige Jahre zurückliegen, zeichnen deren Ergebnisse ein überwiegend positives Bild bezüglich des Auskommens und sozialen Miteinanders von SchülerInnen (vgl. u.a. Kanders et al. 1996:66). In der Untersuchung von Haecker und Werres (1983:84f.) geben mehr als 80 % der Befragten an, sich immer oder oft mit anderen zu vertragen, Freude am Zusammensein mit den KlassenkameradInnen zu empfinden und sich nie oder sehr selten von diesen allein gelassen zu fühlen. Häufig werden Freunde und KlassenkameradInnen sogar als die wichtigsten Bezugspersonen genannt, die wesentlichen Einfluss auf das eigene Wohlergehen im schulischen Kontext nehmen. Werte wie Kompromissbereitschaft, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Offenheit, Vertrauen, gegenseitige Achtung sowie ein partnerschaftlicher Umgang prägen das Verständnis einer funktionierenden Klassengemeinschaft (vgl. Haselbeck 1999:345).
Dennoch gibt es einen geringen Anteil an SchülerInnen (4 %), der dieses positive Urteil hinsichtlich des Zusammenhalts und der Hilfsbereitschaft nicht teilt und angibt, sich stets oder oft ausgeschlossen zu fühlen (vgl. Haecker & Werres 1983:86). Andere Studien sprechen sogar von 12,8 % der Lernenden, die über negative soziale Erfahrungen in der Schule berichten (vgl. Czerwenka et al. 1990:139). Diese beziehen sich zumeist auf Streit und Aggressionen (ebd.) sowie unfaires Verhalten, z.B. Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund des Aussehens, der Nationalität, einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit oder wenn bei Fehlern gelacht wird. Aus einer solchen Außenseiterposition wieder herauszukommen empfinden die Betroffenen aufgrund fehlender Unterstützung als sehr schwer (vgl. Bocka 2003:132f.). Auch SchülerInnen, die als „zu gut“ oder „zu schlecht“ aus der Klassengemeinschaft herausstechen, erfahren häufig Stereotypisierungen und damit soziale Abwertung (vgl. Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982:48f). Dies führe zu einem Dilemma zwischen der sozialen Norm der Klassengemeinschaft einerseits und der schulisch vorgegebenen, formalen Konkurrenzstruktur andererseits. Der Wunsch, besser zu sein als die anderen, kollidiert mit dem Interesse an freundschaftlichen und kooperativen Beziehungen in der Klasse. Diese beiden Pole verlangen von den Lernenden ein ständiges Austarieren, um weder das Verhältnis zu MitschülerInnen zu gefährden noch im Vergleich der Leistungen zu unterliegen.
Für Schüler können sich vielfältige Probleme aus der Konkurrenzstruktur im Klassenverband ergeben: die Angst vor dem Unterliegen in der Konkurrenz mit den anderen Schülern; die Abhängigkeit des Selbstwertgefühls als Person und der eigenen beruflichen und sozialen Zukunftsperspektiven von der relativen Stellung in der Leistungshierarchie; der Verlust der sozialen Bezüge zu anderen Schülern, den Konkurrenzstrukturen mit sich bringen können etc. (Furtner-Kallmünzer & Sardei-Biermann 1982:43).
Besonders nachdenklich stimmen die Ergebnisse einiger Langzeitstudien, die die Entwicklung des Klassenklimas über mehrere Jahrgangsstufen hinweg untersuchen und zu dem Ergebnis kommen, dass die Lernenden mit zunehmendem Alter mehr Konkurrenz in der Klasse wahrnehmen. Da das Klima von deutschen SchülerInnen im internationalen Vergleich deutlich schlechter eingeschätzt wird, ist dies jedoch nicht ausschließlich entwicklungspsychologisch, sondern vor allem durch schulische Faktoren zu begründen (vgl. Grewe 2017:550f.).
3.3 Die Schülersicht in der fremdsprachendidaktischen Forschung
In der fremdsprachendidaktischen Forschung im deutschsprachigen Raum finden sich Arbeiten zur Schülersicht vergleichsweise seltener als in der Pädagogik. So plädiert auch Edmondson (1996a: 81) dafür, die Erfahrungen und Einsichten der Lernenden in der Fremdsprachendidaktik und in der Fremdsprachenpolitik als Evaluationskriterien für das Produkt Fremdsprachenunterricht ernster zu nehmen. Darüber hinaus verfolgen sie andere Ansätze. Der Zugang zur Schülersicht erfolgt hier insbesondere über die Erforschung attitudinaler und affektiver Faktoren beim Fremdsprachenlernen (vgl. u.a. Düwell 1979; Hermann-Brennecke 1983; Meißner et al. 2008; Cronjäger 2009; Venus 2017b) sowie Studien zu subjektiven Theorien (vgl. Kallenbach 1996) bzw. beliefs (vgl. Rück 2009) oder zur Bildungsgangforschung (vgl. u.a. Trautmann 2014; Bauer 2015). Alle drei Forschungsstränge sollen nachfolgend kurz skizziert werden.
Erforschung attitudinaler und affektiver Faktoren
Den Versuch einer Auseinandersetzung mit den Begriffen „affektive“ und „attitudinale“ Faktoren unternimmt Finkbeiner. Sie verweist auf eine „Tradition der Vermischung von Konstrukten“ (2001:355). Infolge der terminologischen Vagheit relativiert sie die Möglichkeit einer eindeutigen und trennscharfen Definition. Vielmehr könne es sich bei Definitionsversuchen deshalb nur um eine Annäherung an Vorstellungen über diejenigen Konstrukte handeln, die „im Moment von der scientific community am ehesten mit den Begriffen attitudinal und affektiv assoziiert werden“ (ebd.). Sie fordert insofern dazu auf, „zu explizieren, was wir untersuchen, wenn wir von affektiven und attitudinalen Faktoren sprechen“ (ebd.). Riemer (2001:379) kritisiert bei der Erforschung affektiver Faktoren, dass häufig nicht trennscharf zwischen Einstellungen, Orientierungen, Motivationen und Motiven unterschieden wird, was einen Überblick über dieses Forschungsgebiet erschwert. Auch Venus weist auf Überlappungen des Faktors Einstellungen mit anderen Konzepten hin und konstatiert, „dass der Motivationsbegriff Einstellungen zu verschiedenen Einstellungsobjekten umfasst, d.h., Einstellungen werden hier als ein der Motivation untergeordnetes Konzept begriffen“ (Venus 2017a: 123).
Als wegweisend für die Erforschung der attitudinalen und affektiven Faktoren beim Fremdsprachenlernen ist die Fragebogenstudie von Düwell (1979) anzuführen, dessen Forschungsinteresse sich auf die Motivation, die Einstellungen sowie das Interesse von SchülerInnen im Französischunterricht der Sekundarstufe I ab Klasse 7 richtet. Eine spätere, jedoch in Erkenntnisinteresse und Forschungsmethodik vergleichbare Untersuchung bildet die europäische Vergleichsstudie Mehrsprachigkeit fördern. Vielfalt und Reichtum Europas in der Schule nutzen (MES) von Meißner et al. (2008), welche die Lernerfahrungen sowie Einstellungen und Haltungen von SchülerInnen zweier Jahrgangsstufen gegenüber verschiedenen Sprachen quantitativ erforscht. Venus (2017b), die ebenfalls im Rahmen einer quantitativen Fragebogenstudie die Einstellungen von bayerischen SchülerInnen an Gymnasien und Realschulen untersucht, geht darüber hinaus den Zusammenhängen dieser Einstellungen mit dem Lernerfolg sowie im Hinblick auf Unterschiede zwischen bestimmten Gruppen (z.B. Geschlecht oder Sprachenfolge) nach.
In einem engen Zusammenhang mit der Schülersicht steht ebenso die individuelle Lernervariable Motivation, die neben der Sprachlerneignung als einer der „big two“-Faktoren СКАЧАТЬ