Methoden der Theaterwissenschaft. Группа авторов
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СКАЧАТЬ übersetzt werden kann, steht hierbei für eine offene Ordnung, die je nach Zeiten und Räumen aus unterschiedlichen Elementen besteht, die wiederum je spezifisch konstelliert sind und gerade in ihrer Offen- und Unabgeschlossenheit die wesentliche Funktionsweise eines Dispositivs bestimmen. Anders als beispielsweise ein Mechanismus oder Apparat – Termini, mit denen der Begriff Dispositiv ebenfalls immer wieder übersetzt wird und die stärker auf technische oder kausal-logische Verknüpfungen abheben – versteht sich das Dispositiv als eine abstrahierte Ordnung, die nach bestimmten, jedoch nicht immer durchschaubaren Regeln funktioniert.

      In der zweiten Hälfte der 1970er verwendet Foucault in seinen Texten den Begriff Dispositiv immer häufiger, womit auch eine maßgebliche Erweiterung seiner Epistemologie einhergeht. Auch das Dispositiv wird von ihm als ein „entschieden heterogenes Ensemble“2 gefasst, das diskursive und nicht-diskursive Phänomene, „Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes“3 beinhaltet. Es ist weniger die Rejustierung des Modells auf Nichtdiskursives, Materielles und Tätigkeiten, mithin Praxen, die das Dispositiv vom Konzept der Ordnung unterscheidet. In der Neukonzeption verschiebt sich die Aufmerksamkeit von der Heterogenität und Inkommensurabilität der Elemente auf ihre Ausrichtung und Anordnung, auf ihre Konstellation und Dynamik. Der Begriff Dispositiv soll daher primär die Verbindung zwischen diesen Elementen deutlich machen und die Ordnung als eine dynamische und energetische Konstellation fassen, die sich zu einer bestimmten Zeit ausbildet, um ein Problem in anderen, gesellschaftlichen und kulturellen, Ordnungen zu lösen. Damit werden vor allem die Kräfteverhältnisse einer Ordnung und ihre Lenkung bedeutsam. Foucault beschreibt das Dispositiv als eine „Formation, deren Hauptfunktion zu einem historischen Zeitpunkt darin bestanden hat, auf einen Notstand zu antworten.“4 Es reagiert mittels seiner Dynamik auf die Dysfunktionalität einer Anordnung, manipuliert Dinge und deren Verhältnis untereinander zu einem bestimmten Zweck. Dispositiven kommt somit ein intentionaler, strategischer Charakter zu. In ihnen tritt vornehmlich das hervor, was die Ordnung der Dinge regiert.

      Dispositive sind mithin Anordnungen, dis-positio, die Wissen und Subjekte produzieren. Sie folgen als Antwort auf einen Notstand einer Machtstrategie. Folgt man diesem Modell, so ist die Aufführung als eine mögliche Antwort in der Ordnung der darstellenden Kunst zu verstehen, genauso wie die Partitur, eine allfällige Verfilmung, ein Buch oder ein Hörstück andere Formen des Antwortens darstellen. Vor dem Hintergrund der Abstraktion und Verallgemeinerung darf allerdings nicht übersehen werden, dass der Begriff Dispositiv eine stark alltägliche Konnotation zeitigt, was nicht zuletzt darauf hinweist, dass sich jedes Dispositiv konkretisieren, oder materialisieren muss, wie Louis Althusser festhält: Aus jedem Dispositiv „ergibt sich völlig natürlich das (materielle) Verhalten“ seiner Elemente.5 Letztlich wird immer etwas Bestimmtes disponiert, muss sich ein Dispositiv immer materialisieren. Andernfalls bleiben seine Kräfte und Wirkungen leere Behauptung. Trotz seiner Abstraktion zeigt sich das Dispositiv folglich in einem begrenzten und konkreten Rahmen, in einer bestimmten Materialisation – als ein bestimmtes Dispositiv.6 Dispositive sind nicht bloß abstrakt relationale Gebilde. Sie schaffen materielle Realität. Gerade diese Notwendigkeit zur Materialisation legt es nahe, Kunst als ein spezifisches ästhetisches Dispositiv zu verstehen: Da Kunst, weder als Werk noch als Aufführung, Ereignis oder performativer Akt ontologisch zu fassen ist, beruht sie zwangsläufig auf der Materialisation einer ihr vorangehenden, konzipierten Ordnung.7 Versteht man nun Theater als ein derartiges ästhetisches Dispositiv, dann ist die Aufführung eine mögliche und zugleich notwendige Materialisation dieser Ordnung, genauso wie die Partitur, eine allfällige Verfilmung, ein Buch, oder ein Hörstück andere mögliche Materialisationen darstellen.

      Definition der Aufführung als Dispositiv

      Eine offensichtlich zunächst nur heuristisch zu verstehende Analogie zwischen Foucaults Dispositivbegriff und der Aufführung liegt in der dis-positio von heterogenen Elementen. Theater ist immer eine raum-zeitliche Anordnung von materiellen – Körpern, Stimmen, Objekten, Apparaturen, – und immateriellen Elementen und Verfahren, von Techniken wie Schauspiel-, Gesangs-, und Tanztechniken oder Arbeitsweisen, von immateriellen Diskursen und Medien, und institutionellen und organisatorischen Verfasstheiten, die das ins Spiel bringen, was sich zeigt und gleichzeitig nicht zeigen kann. Welche Konzeption oder Vorstellung von Theater materialisiert sich also in welchen Anordnungen? Diese Frage verweist darauf, dass der Aufführung eine gewisse Kontingenz innewohnt, die Überschreitung mithin als Maßgabe des Theaters figuriert, durch welche sich die Aufführung auf andere Medien hin öffnet, die nunmehr weitere Materialisationen von Theater sind.

      Die Aufführung ist mithin weder primär ein Text, eine Situation oder eine Erfahrung. Die Aufführung ist die Materialisation eines Dispositivs: des Dispositivs Theater oder gar des Dispositivs der darstellenden Kunst im weiteren Sinn. Nicht jedes theatrale Dispositiv kann sich zu jeder Zeit materialisieren. Denken Sie an das Theater Kleists, Craigs, Appias, Artauds, deren Vorstellungen von Theater derart kontingent sind, das sie ihre eigene Überschreitung in sich tragen und die Materialisation in den zeitgenössisch bekannten, institutionalisierten und tradierten Formen desavouierten. Und dennoch materialisiert sich auch die Kunst genannter Autoren – in anderen Formen, Formaten, Medien, mitunter zu anderen Zeiten. Derartige Werke und Ideen sprengen den tradierten Aufführungsbegriff und machen auf Sollbruchstellen aufmerksam.

      Das fachwissenschaftliche Novum, Theater unter epistemologischen Prämissen als Anordnung, als Dispositiv zu denken, besteht folglich darin, die Materialisation in einer Aufführung und die Herausbildung weiterer spezifischer Formate (wie beispielsweise bürgerliches Illusionstheater, Regietheater, Lecture Performance, Work-in-Progress, Artistic Research-Formate) weit differenzierter als bislang im Wechselspiel historischer, gesellschaftlicher, institutioneller und ästhetischer Bedingungen beschreiben zu können. Damit soll indes keiner Verallgemeinerung Vorschub geleistet werden. Wenn Ulrike Haß schreibt, „Theater ist per se ein summarischer, abstrakter Begriff, oder anders gesagt, ein Suchbegriff“,1 und damit die generelle Defintion von „Theater als Dispositiv“ ablehnt, ist dies durchaus anzuerkennen. Sofern wir aber von einer je spezifischen und materialen Ausprägung sprechen, ohne die dieses epistemologische Modell nicht zu konzipieren ist, wie beispielsweise dem Dispositiv Regietheater, wird ein derartiges Verständnis von Theater konstruktiv und erkenntnisbringend. Das Dispositiv Regietheater wäre demnach eine institutionelle Anordnung, also primär ein bestimmtes ästhetisches und sozio-ökonomisches Dispositiv, in welchem sich die Ordnung der darstellenden Kunst auf eine bestimmte Art und Weise materialisieren kann.

      Zu fragen ist im Rahmen dieser Methode einerseits nach der Art und Weise der Anordnung, welche die darstellende Kunst vornimmt, also nach ihrem Wissen und dessen Prinzipien (auktorialen Strategien und intrinsischen Kalkülen), und andererseits nach der Wahrnehmung, der Erfahrung und dem Wissen, welche(s) daraus ergeht. Darüber hinaus stellt sich vor allem die Frage, inwiefern diese Strategien und Kalküle mit den Strategien und Kalkülen anderer (gesellschaftlicher) Dispositive koalieren oder konfligieren. Theater als Dispositiv zu betrachten, bedeutet, es in all seinen Dimensionen der institutionellen Verankerung und Arbeitsweisen, der Produktions- wie der Rezeptionsverhältnisse, der gesellschaftlichen Diskurse und ihrer materiell-technischen Praktiken zu beschreiben, und jene Momente der Dysfunktion oder Fiktion, die im Rahmen der Materialisation evident werden, als jene raren Momente zu verstehen, an welchen ein Dispositiv sinnlich erfahrbar wird. Denn diese sinnliche Erfahrbarkeit von Dysfunktionen macht den wesentlichen Unterschied der Dispositive darstellender Kunst gegenüber anderen Dispositiven aus – sie ist vielleicht sogar ihr zentrales Kalkül.

      Es heißt vor allem auch, das Theater in strategischer Beziehung zu einem künstlerischen und (oder) gesellschaftlichen Problem zu begreifen, und zu überlegen, wie sich die je spezifische Materialisation der theatralen Ordnung dazu verhält. Methodisch lässt sich auf dieser Grundlage die Forderung ableiten, bei einer analytischen Auseinandersetzung mit dem theatralen Dispositiv, im Konkreten, der Aufführung, der Partitur, der Installation oder anderem, an den Sollbruchstellen anzusetzen – den dysfunktionalen oder fiktiven Elementen –, in denen die bestehende Ordnung und die regulierende Vernetzung von Aktanten nicht mehr reibungslos funktioniert. Derartige Brüche, die als Skandal, als Fehler oder gar als Nicht-Aufführung СКАЧАТЬ