Methoden der Theaterwissenschaft. Группа авторов
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      3. Affekt versus Emotion

      Die affektive Dimension von Aufführungen zu beleuchten, bedeutet nicht, das emotionale Erleben einzelner Zuschauer*innen zu rekonstruieren oder überhaupt individuelle Gefühle zu beschreiben. Die hier vorgeschlagene Perspektive geht vielmehr von einer Unterscheidung zwischen Affekt und Emotion aus.1 Affektivität ist demnach das dynamische Geschehen, das verschiedene Akteure auf vielfältige Weise miteinander in Beziehung setzt. Affekte finden also eher zwischen Akteuren statt als in ihnen (wobei unter Akteuren immer auch nicht-menschliche Handlungsträger oder Adressaten von Handlungen verstanden werden können). Gerade durch diesen relationalen Charakter sind Affekte von Emotionen als individuellen psychischen Zuständen zu unterscheiden. Anders als eine Emotion, ein Gefühl oder eine Stimmung ist der Affekt eine weitgehend unbestimmte Größe. Affekte bemessen sich zunächst in ihrer Intensität, sind hingegen noch nicht in ihrer Gerichtetheit, Wertung oder Artikulation bestimmbar – bevor sie in kulturell bzw. diskursiv etablierte Bahnen gelenkt und auf spezifische Weise ausagiert werden können. So entziehen sie sich oft auch einer präziseren sprachlichen Bezeichnung. Dagegen sind Emotionen soweit kulturell codiert, dass sie sprachlich repräsentiert werden können. Emotionen rekurrieren auf Affekte, um diese mit einem kulturell geprägten Repertoire von Artikulationsformen in Beziehung zu setzen. Insofern sind Emotionen nicht auf physiologische Empfindungen reduzierbar, sondern führen Empfindungen mit komplexen Konzepten zusammen, die diese Empfindungen artikulieren und dabei auch beeinflussen und kanalisieren. In diesen Konzepten manifestieren sich kulturell verankerte Klassifikationen, Interpretationen und Wissensbestände.2

      Die besonderen Möglichkeiten einer affektorientierten Aufführungsanalyse werden deutlich, wenn man davon ausgeht, dass Affekte kein individuelles, inneres Geschehen sind, sondern sich in externen Relationen und Konstellationen manifestieren. Tatsächlich nutzen Regisseur*innen etwa die proxemische Dimension der Aufführung, d.h. die variable Positionierung der Akteure im Raum, um affektive Verhältnisse zwischen Figuren zu verdeutlichen (Nähe und Distanz, Anziehung und Abstoßung beispielsweise). Auch räumlich-visuelle und/oder klangliche Atmosphären sind ein wichtiges Mittel, um vielfach diffuse, unklare und uneindeutige affektive Dynamiken darzustellen. Anstatt zu psychologisieren oder über Gefühlszustände zu spekulieren, sollte die Aufführungsanalyse deshalb ihre Chancen nutzen, die in einer genauen Beschreibung von Situationen und Handlungsformen liegen: Wie bzw. in welchem Modus wird eine bestimmte Handlung, etwa ein einfacher Gang über die Bühne, ausgeführt? Welche Situation findet ein Akteur vor, wenn er die Bühne betritt? Wie adressieren die Akteure von der Bühne aus das Publikum? Kann in der Hinwendung zum Publikum ein affektiver Gestus beschrieben werden? Der Begriff des Gestus kann eine Orientierung für affektorientierte Analysen dieser Art geben. Er bezeichnet Haltungen von Akteuren, die sich sowohl kommunikativ als auch körperlich zeigen. Eine an Brecht orientierte Theatertheorie geht davon aus, dass solche Haltungen nie nur von einzelnen Akteuren eingenommen werden, sondern sich zwischen Akteuren entfalten und von sozialen Kontexten abhängen. Aussagen zum Gestus können insofern bei einzelnen Akteuren ansetzen, müssen sich von dort aus aber auf komplexe Situationen und soziale Verhältnisse erstrecken.3 Am Ende solcher Analysen, die – wie jede Aufführungsanalyse – immer weiter verfeinert werden können, steht kein Katalog von Emotionen, die einzelnen Akteuren zugeschrieben werden könnten, sondern die differenzierte Beschreibung einer situativen Konstellation, die den*die Analysierende*n stets mit einschließt.

      Eine Aufführungsanalyse, die sich auf die affektive Dimension fokussiert, muss also materielle Relationen des Geschehens im Theaterraum herausarbeiten. Die Affekte sind aus dieser Perspektive die beschriebenen Relationen, es sind hingegen keine subjektiven Gefühle, die man individuellen Akteuren zurechnen könnte. Das soll zum Schluss exemplarisch an der Inszenierung Die Hamletmaschine vom Exil Ensemble4 des Berliner Gorki Theaters verdeutlicht werden (Regie: Sebastian Nübling, Premiere am 24.2.2018).

      4. Eine relationale Perspektive

      Wie viele Inszenierungen postmigrantischen Theaters wirkt die Hamletmaschine des Gorki Theaters von Beginn an sehr sprachbetont: Monologisches, dialogisches und chorisches Sprechen steht im Vordergrund, weshalb es naheliegt, in der Analyse von der textuellen Dimension der Aufführung auszugehen. Hamletmaschine ist ein Stück aus dem Jahr 1977 von Heiner Müller und der Form nach eine fragmentarische Textfläche, die nicht in ihrer Kürze (von etwa neun Druckseiten), wohl aber in ihrer postdramatischen, die dramatische Figuration konsequent überschreitenden Anlage auf die späteren Stücke von Elfriede Jelinek vorausweist. Der Text beginnt mit den markanten Sätzen: „Ich war Hamlet. Ich stand an der Küste und redete mit der Brandung BLABLA, im Rücken die Ruinen von Europa.“1 Dieser Auftakt lässt heute an die Situation der Geflüchteten an den Grenzen Europas denken, ansonsten aber erscheint Müllers Stück nicht prädestiniert als Textgrundlage für eine postmigrantische Inszenierung. Es ist ein metatheatraler Text, der klassische europäische Theatertraditionen reflektiert, darunter vor allem das Shakespeare-Theater mit Hamlet und weiteren kanonischen Figuren sowie die antike griechische Tragödie mit den an sie anschließenden Diskursen über die Vergeblichkeit theatralen Handelns. Die Grundidee der Inszenierung des Exil Ensembles besteht darin, diesen vierzig Jahre alten Text über eine zerstörte, gewaltsame und zukunftslose Welt und die Rolle des Künstlers darin zu collagieren mit neuen Texten des syrischen Theatermachers Ayham Majid Agha, der, selbst Mitglied des Exil-Ensembles, auf der Bühne auch als Akteur zu sehen ist. Seine Texte handeln von Erfahrungen im vom Bürgerkrieg geschüttelten Syrien. Mit der Insertion der Texte von Agha erhält die textuelle Dimension der Aufführung zugleich eine multilinguale Struktur, denn die neu eingefügten Textfragmente sind auf Arabisch oder Englisch belassen, während die Müller-Texte primär auf Deutsch gesprochen werden.

      Um sich den affektiven Relationen der Aufführung analytisch zu nähern, gilt es nun, zwei Verhältnisse zu fokussieren, in die der neu konstituierte Theatertext in dieser Inszenierung eintritt, nämlich einerseits das Verhältnis von Sprache und Raum und andererseits das Verhältnis von Sprache und Körper. Die hervorstechendste Regie-Idee ist es, den auf der Bühne gesprochenen Text, die aus Müller- und Agha-Material kompilierten Textflächen, nicht nur akustisch, sondern auch visuell zu verräumlichen. Die sieben Schauspieler*innen agieren auf der weitgehend leeren, in Schwarz getönten Bühne hinter einer Art Gaze-Schirm, auf den der gesprochene deutsche, arabische oder englische Text in unterschiedlichen Lichtintensitäten und in verschiedenartigen Lineaturen projiziert wird. Zugleich sind oben rechts und links der Bühne aber auch – wie in allen Aufführungen des Gorki Theaters üblich – Übersetzungen des gesprochenen Textes als Übertitel zu lesen. Diese Konstellation hat weitreichende Folgen: Durch die filigrane Projektionstechnik sieht man die Schriftzeichen in drei verschiedenen Sprachen als Einschreibungen auf den Körpern der Schauspieler*innen. Im Zusammenspiel der agierenden Körper und der stetig wechselnden, fließenden Schriftprojektionen ergibt sich der Eindruck größter dynamischer Komplexität. Die gesprochene Sprache wirkt nicht nur auf die Körper geworfen, sondern zugleich auch von diesen gelöst, denn die Bewegung des Schriftbilds erscheint mit der der Körper nicht synchronisiert. Der multilinguale Text schiebt sich als lichtstarke Projektion auf dem Gaze-Schirm buchstäblich zwischen Akteure und Zuschauer. Auf diese Weise wird der potentiell trennende Charakter der Sprache, aber zugleich auch die ästhetische Schönheit der verschiedenartigen Schriftzeichen erfahrbar. Schrift und Sprache affizieren die Körper der Schauspieler*innen und die Wahrnehmungstätigkeit der Zuschauer*innen gleichermaßen, aber in unterschiedlicher Richtung.

      Die Art der Projektion wird entscheidend dadurch geprägt, dass alle Darsteller*innen auf der Bühne in clownesken Ganzkörper-Masken aus Gummi agieren (Kostüme: Eva-Maria Bauer). Da zudem die Stimmen in der indirekten Wiedergabe über Mikroports teilweise wie durch Lachgas verzerrt klingen, erhält die gesamte Inszenierung einen grotesken Grundton. Die in den Medien viel diskutierte Zusammensetzung des Exil Ensembles aus nach Deutschland geflüchteten Schauspieler*innen aus Syrien, Palästina, Afghanistan und anderen Regionen des nahen und mittleren Ostens ist unter den Gummi-Kostümen und durch die Transformation der Stimmen schlicht nicht mehr wahrnehmbar. Die Körper scheinen sich aber nicht nur der СКАЧАТЬ