Название: Die Todesstrafe I
Автор: Jacques Derrida
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Passagen forum
isbn: 9783709250389
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Wer einen Menschen (so) schlägt, daß er stirbt, muß getötet werden. Hat er ihm aber nicht nachgestellt, sondern Gott hat es seiner Hand widerfahren lassen, dann werde ich dir einen Ort bestimmen, wohin er fliehen soll. Doch wenn jemand an seinem Nächsten vermessen handelt, indem er ihn hinterlistig umbringt – von meinem Altar sollst du ihn wegnehmen, damit er stirbt. Wer seinen Vater oder seine Mutter schlägt, muß getötet werden.
Wer einen Menschen raubt, sei es, daß er ihn verkauft, sei es, daß er in seiner Gewalt gefunden wird, (der) muß getötet werden.
Wer seinem Vater oder seiner Mutter flucht, muß getötet werden.29
Auf Englisch, immer noch in der King James Version, lautet das Äquivalent für „(der) muß getötet werden [il sera mis à mort]“: „he shall be surely put to death“, oder für jenes Motiv eines Para-Opfers, „Wenn jemand an seinem Nächsten vermessen handelt, indem er ihn hinterlistig umbringt – von meinem Altar sollst du ihn wegnehmen, damit er stirbt“: „thou shalt take him from my altar, that he may die.“ Auf Deutsch lautet die revidierte und modernisierte Luther-Übersetzung jedes Mal: Wer dies oder jenes getan hat, „der soll des Todes sterben“*, oder, in der Szene des Para-Opfers: „so sollst du ihn von meinem Altar wegreißen, daß man ihn töte“*.
Wie aber kann Gott dem Moses sagen, er solle den Söhnen Israels befehlen „Du sollst nicht töten“, und einen Augenblick später, auf unmittelbar konsekutive und scheinbar inkonsequente Art und Weise, „Du sollst den, der dieses oder jenes Gebot übertritt, dem Tod überliefern“30? Wie kann er ein Strafgesetzbuch, ein Recht erlassen, das einem flagranten Vergehen gegen die Ethik der Zehn Gebote ähnelt? Ich beschränke mich für den Augenblick natürlich nur auf dieses erste, sehr anfängliche Beispiel aus dem Buch Exodus, denn wenn wir uns daranmachen würden, die Todesstrafe in der Bibel zu untersuchen, bräuchten wir ein unendliches Seminar. Nun, der Grund dafür ist, Sie ahnen es, und Sie haben es vermutlich bereits verstanden, dass die Todesstrafe, die „Rechtsordnung“*, der Urteilsspruch, das Verdikt, das den Tod festlegt [arrête la mort], sich nicht auf denselben Tod bezieht, < auf > dieselbe Tötung wie die, von der im „Du sollst nicht töten“ die Rede ist. Man muss darauf insistieren, auf dieser Differenz zwischen zwei Toden, zum einen deshalb, um die Spezifität der Todesstrafe zu erkennen, die, de jure, etwas anderes sein sollte als ein einfacher Mord, zum anderen gleichzeitig aber auch, weil in der Moderne der für die Abschaffung der Todesstrafe kämpfenden Bewegungen31, die wir untersuchen werden, häufig auf ein Recht auf Leben als Menschenrecht Bezug genommen wird, das, sich implizit scheinbar auf das biblische „Du sollst nicht töten“ beziehend, alles übersteigt oder ignoriert, was in diesem biblischen Text mitnichten das absolute Recht auf Leben oder auch nur einen einfachen Gegensatz zwischen Leben und Tod betrifft, sondern zunächst eine Unterscheidung zwischen zwei Weisen, den Tod zu geben, wobei die eine durch das „Du sollst nicht töten“ verboten wird, und die andere durch das Strafgesetzbuch, das Gott seinem Volk durch seinen Mittelsmann Moses diktiert, vorgeschrieben wird. Und die Worte sind nicht dieselben, Gott wählt seine Worte wohl, wenn ich so sagen kann, und das ist der Grund dafür, warum uns hier die Übersetzung von Chouraqui interessiert. Chouraqui übersetzt das sechste Gebot nicht mit „tu ne tueras pas [Du wirst nicht töten]“, sondern mit „tu n’assassineras pas [Du wirst nicht morden]“32, so als ob man hier daran erinnern müsse, dass das Entscheidende nicht der Unterschied zwischen dem Leben und dem Tod ist, zwischen der Tatsache, leben zu lassen oder das Leben zu nehmen, sondern die Modalität, die nicht zu rechtfertigende Qualität der Aggression oder der Gewalt, die Kriminalität dessen, was das Leben antastet, nicht aber die Tatsache, das Leben zu nehmen. Und was die jugements, die Rechtsordnungen* betrifft, so übersetzt Chouraqui sie, so nahe wie möglich am Buchstaben und an der Wiederholung im Hebräischen, durch „wird/soll sterben, er wird/ soll sterben“: „Frappeur d’homme qui meurt, mourra, il mourra [Wer jemanden schlägt, daß er stirbt, / sterben muß er, sterben]“; „Qu’un homme prémédite contre son compagnon de le tuer par ruse, de mon autel, tu le prendras pour qu’il meure [Wenn aber jemand sich vermißt gegen seinen Genossen, ihn mit Hinterlist umzubringen, von meiner Schlachtstatt hinweg hole ihn, daß er sterbe]“; „Frappeur de son père, de sa mère, mourra, il mourra [Wer seinen Vater oder seine Mutter schlägt, / sterben muß er, sterben]“; „Voleur d’homme et qui le vend, trouvé en sa main, mourra, il mourra [Wer jemanden stiehlt, / er habe ihn verkauft oder er werde in seiner Hand befunden, / sterben muß er, sterben]“; „Maudisseur de son père, de sa mère, mourra, il mourra [Wer seinen Vater oder seine Mutter verwünscht, / sterben muß er, sterben]“.33 +
Die beiden Tode, die beiden Tötungen stünden in СКАЧАТЬ