Название: Die Todesstrafe I
Автор: Jacques Derrida
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Passagen forum
isbn: 9783709250389
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In Beachtung also dieses Unterschiedes soll der Richter diejenigen, die nur durch Unverstand, nicht aber durch böse Triebe und verwerfliche Gesinnung zu ihrem Standpunkt gelangt sind, der Besserungsanstalt überweisen und zwar kraft des Gesetzes auf mindestens fünf Jahre. Und in dieser Zeit soll kein anderer Bürger mit einem solchen Gefangenen verkehren als die Mitglieder des nächtlichen Rats, die durch ihren Umgang mit ihnen auf ihre Besserung hinwirken und ihr Seelenheil fördern sollen. Ist aber die Zeit der Gefangenschaft abgelaufen, so soll, wenn einer wieder zur Vernunft gekommen zu sein scheint, dieser auch wieder mit den Vernünftigen zusammen wohnen, ist dies aber nicht der Fall, so soll er mit dem Tode bestraft werden. Wer aber, nicht genug, daß er sich einer der drei Formen der Gotteslästerung schuldig gemacht hat, geradezu zum Tiere herabgesunken ist und voll Verachtung gegen die Menschen nicht nur viele Lebende durch seine Künste an sich fesselt, sondern auch die Toten wieder erscheinen zu lassen sich für fähig ausgibt und die Götter durch Opfer, Gebete und Zaubersprüche zu berücken und gnädig zu stimmen verheißt, und so zur Befriedigung seiner Habgier nicht nur Einzelne, sondern ganze Familien und Staaten von Grund aus zu verderben sich nicht scheut, den soll wie alle seinesgleichen, wenn er für schuldig befunden wird, das Gericht kraft des Gesetzes dazu verurteilen, in jenem im Innern des Landes gelegenen Gefängnis gefesselt untergebracht zu werden, und kein Freier soll je ihn besuchen; seine Nahrung aber soll er, so wie sie ihm von den Gesetzeswächtern zugesprochen worden ist, aus der Hand von Sklaven empfangen. Stirbt er, so soll sein Leichnam über die Grenze geworfen werden und da unbeerdigt liegen bleiben. Nimmt sich aber ein Freier seiner an und beerdigt ihn, so soll jedermann befugt sein, ihn wegen Gottlosigkeit gerichtlich zu belangen. Hat er aber Kinder hinterlassen, die dem Staate nützlich werden könnten, so soll die mit der Waisenfürsorge betraute Behörde auch diese als Waisenkinder unter ihre Obhut nehmen und ebenso gewissenhaft für sie sorgen wie für die anderen und zwar von dem Tage ab, wo die Verurteilung ihres Vaters erfolgte.20
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Verzeihen Sie bitte, wenn ich nun, gleich am Anfang, anlässlich des Beispiels von Sokrates und ein für alle Mal, einige massive Evidenzen in Erinnerung rufe, insbesondere die zwei größten und, zumindest dem Anschein nach, gröbsten unter ihnen. Diese zwei Evidenzen werden mich eine Zeit lang aufhalten, aber vergessen Sie nicht, dass wir diesen langen Umweg aus Anlass und am Rande des Falles Sokrates, der ersten unserer vier exemplarischen oder prototypischen Persönlichkeiten, unternehmen werden – wonach wir dann die drei anderen exemplarischen zum Tode Verurteilten zu uns kommen oder wiederkommen lassen werden.
Welches sind nun also diese zwei massiven Evidenzen?
Einerseits die (schon lange, seit einigen Jahrzehnten, seit Ende des Zweiten Weltkriegs aber beschleunigt) im Gange befindlichen Kämpfe für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe (Kämpfe, die wir zumindest in ihren groben Zügen und juristischen Skandierungen untersuchen werden, die internationaler Art sind, da sie oft die Form von allgemeinen Erklärungen und Empfehlungen internationaler Gemeinschaften angenommen haben), diese Kämpfe für die Abschaffung der Todesstrafe also betreffen nicht die Tötung oder das Töten im Allgemeinen, zum Beispiel in Kriegszeiten, sondern nur die Todesstrafe als gesetzliche Einrichtung der Innenpolitik eines für souverän erachteten Nationalstaats. Es ist immer legal, in der Situation eines erklärten Krieges einen ausländischen Feind zu töten, selbst im Falle eines Landes, das die Todesstrafe abgeschafft hat (und wir werden uns also in dieser Hinsicht zu fragen haben, was einen Feind, einen Ausländer21 und einen Kriegszustand – als Bürgerkrieg oder als zwischenstaatlicher Krieg – definiert; die Kriterien sind immer schwer zu bestimmen, und ihre Bestimmung wird immer schwerer werden).
Andererseits, zweitens: Bis hin zu gewissen jüngsten, eng umgrenzten Phänomenen der gesetzlichen Abschaffung der Todesstrafe im engen Sinne in einer immer noch begrenzten Anzahl von Ländern haben die Nationalstaaten abrahamitischer Kultur, jene Nationalstaaten, in denen eine abrahamitische Religion (Judentum, Christentum, Islam) vorherrschte, sei es, dass sie Staatsreligion, die offizielle und verfassungsmäßige Religion war, sei es, dass sie in der Zivilgesellschaft schlicht und einfach überwog, СКАЧАТЬ