Название: Sherlock Holmes' Buch der Fälle
Автор: Arthur Conan Doyle
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783955012410
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Er stand gerade vor einer großen geöffneten Vitrine, die sich zwischen den Fenstern befand und einen Teil seiner chinesischen Sammlung enthielt. Bei meinem Eintreten drehte er sich um und hielt eine kleine braune Vase in der Hand.
»Bitte nehmen Sie doch Platz, Doktor«, sagte er. »Ich habe eben meine eigenen Schätze betrachtet und mich gefragt, ob ich es mir wirklich leisten könnte, sie zu vermehren. Dieses kleine T'ang-Exemplar18 aus dem siebten Jahrhundert dürfte Sie vermutlich interessieren. Ich bin sicher, feinere Handarbeit oder eine reichere Glasur haben Sie noch nie gesehen. Haben Sie die erwähnte Ming-Schale bei sich?«
Ich packte sie sorgfältig aus und reichte sie ihm. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, zog, da es bereits dunkelte, die Lampe herüber und schickte sich an, die Schale zu untersuchen. Dabei fiel das gelbe Licht auch auf sein Äußeres, und ich konnte es in aller Ruhe studieren.
Er war ohne Zweifel ein bemerkenswert gut aussehender Mann. Der europäische Ruf seiner Schönheit war vollauf gerechtfertigt. Er war zwar nicht mehr als mittelgroß, jedoch von anmutiger und kräftiger Statur. Sein Gesicht war olivenfarbig, fast orientalisch, mit großen, dunklen, verträumten Augen, die auf Frauen zweifellos eine unwiderstehliche Faszination ausüben konnten. Sein Haar und der Schnurrbart waren rabenschwarz; letzteren trug er kurz, gezwirbelt und sorgfältig gewichst. Seine Züge waren regelmäßig und angenehm, mit Ausnahme des geraden, dünnlippigen Mundes. Wenn ich jemals den Mund eines Mörders gesehen habe, dann hier – eine grausame, harte Scharte im Gesicht, zusammengepreßt, unerbittlich und schrecklich. Er war schlecht beraten, den Schnurrbart so zurechtzustutzen, denn sein entblößter Mund war ein Gefahrensignal der Natur zur Warnung seiner Opfer. Seine Stimme war einnehmend, seine Manieren vollendet. Sein Alter hätte ich auf etwas über dreißig geschätzt, wiewohl später aus seinen Unterlagen hervorging, daß er zweiundvierzig war.
»Sehr fein – sehr fein, in der Tat!« sagte er schließlich. »Und Sie sagen, Sie haben ein dazu passendes sechsteiliges Service. Mich wundert nur, daß ich von so herrlichen Stücken noch nichts gehört haben soll. Ich weiß nur von einem einzigen Stück in England, das zu diesem hier paßt, und das steht aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zum Verkauf. Wäre es indiskret, wenn ich Sie fragte, Dr. Hill Barton, wie Sie in seinen Besitz gekommen sind?«
»Spielt das wirklich eine Rolle?« fragte ich mit der sorglosesten Miene, die ich zustande brachte. »Sie sehen ja selbst, daß das Stück echt ist, und was den Preis betrifft, so begnüge ich mich mit der Wertbestimmung durch einen Experten.«
»Sehr mysteriös«, sagte er mit einem raschen, argwöhnischen Aufblitzen seiner dunklen Augen. »Wenn man es mit Objekten von solchem Wert zu tun hat, möchte man natürlich alles über den Handel wissen. Daß das Stück echt ist, ist unbestreitbar. Daran hege ich überhaupt keinen Zweifel. Aber angenommen – ich muß jede Möglichkeit in Betracht ziehen –, es stellt sich hinterher heraus, daß Sie gar kein Recht hatten, es zu verkaufen?«
»Ich würde Ihnen Sicherheiten gegen jeden Rechtsanspruch dieser Art bieten.«
»Das würde freilich die Frage aufwerfen, was Ihre Sicherheiten wert sind.«
»Darüber könnte meine Bank Auskunft erteilen.«
»Nun schön. Dennoch kommt mir der ganze Handel ziemlich ungewöhnlich vor.«
»Es steht Ihnen frei, das Geschäft zu machen oder nicht«, sagte ich gleichgültig. »Ich habe es Ihnen zuerst angeboten, weil ich gehört habe, Sie seien ein Kenner; aber anderswo werde ich keine Schwierigkeiten haben.«
»Wer hat Ihnen denn gesagt, daß ich ein Kenner sei?«
»Mir ist bekannt, daß Sie über das Thema ein Buch geschrieben haben.«
»Haben Sie das Buch gelesen?«
»Nein.«
»Meine Güte, das wird mir immer unverständlicher! Sie sind ein Kenner und Sammler und besitzen ein sehr wertvolles Stück in Ihrer Sammlung, haben sich jedoch nie die Mühe gemacht, das einzige Buch zu konsultieren, das Sie über die wahre Bedeutung und den Wert Ihres Besitzes hätte belehren können. Wie erklären Sie das?«
»Ich bin ein sehr beschäftigter Mann. Ich bin praktizierender Arzt.«
»Das ist keine Antwort. Wenn jemand ein Steckenpferd hat, dann geht er ihm eifrig nach – ganz gleich, welche Tätigkeiten er sonst noch ausüben mag. In Ihrem Billett haben Sie behauptet, ein Kenner zu sein.«
»Das bin ich auch.«
»Dürfte ich Sie mit ein paar Fragen auf die Probe stellen? Ich muß Ihnen sagen, Doktor – wenn Sie denn wirklich ein Doktor sind –, daß die Sache immer verdächtiger wird. Ich möchte Sie fragen: Was wissen Sie über den Kaiser Shomu, und wie bringen Sie ihn mit dem Shosoin bei Nara19 in Verbindung? Du meine Güte, das bringt Sie wohl in Verlegenheit? Erzählen Sie mir doch ein bißchen über die Nördliche Wei-Dynastie und ihren Platz in der Geschichte der Töpferkunst20.«
In gespieltem Ärger sprang ich vom Stuhl hoch.
»Das ist unerträglich, Sir«, sagte ich. »Ich bin hierhergekommen, um Ihnen einen Gefallen zu tun und nicht, um von Ihnen wie ein Schuljunge examiniert zu werden. Meine Kenntnisse auf diesem Gebiet sind im Vergleich zu den Ihrigen vielleicht nur zweitrangig; aber ich werde gewiß keine Fragen beantworten, die in so beleidigender Weise gestellt wurden.«
Er sah mich unverwandt an. Alle Verträumtheit war aus seinen Augen gewichen. Sie funkelten plötzlich. Zwischen den grausamen Lippen schimmerten seine Zähne.
»Was wird hier gespielt? Sie sind doch als Spion hier. Sie sind ein Kundschafter von Holmes. Sie versuchen mich hereinzulegen. Wie ich höre, liegt der Kerl im Sterben; also schickt er seine Handlanger, um mich zu überwachen. Sie haben sich hier auf unerlaubte Weise Zutritt verschafft, aber bei Gott! Sie sollen merken, daß das Hinauskommen schwerer ist als das Hineinkommen.«
Er war aufgesprungen; ich wich zurück und machte mich auf einen Angriff gefaßt, denn der Mann war außer sich vor Wut. Möglicherweise war ich ihm von Anfang an verdächtig gewesen; dieses Kreuzverhör hatte ihm zweifellos die Wahrheit enthüllt; jedenfalls war klar, daß ich nicht hoffen durfte, ihn zu täuschen. Seine Hand fuhr hastig in eine Seitenschublade und durchstöberte sie wütend. Dann vernahm er wohl ein Geräusch, denn er hielt aufmerksam lauschend inne.
»Ah!« rief er. »Ah!« und stürzte in den Raum hinter ihm.
Mit zwei Schritten war ich an der offenen Tür, und die Szene dahinter werde ich immer als klares Bild im Gedächtnis bewahren. Das zum Garten hinausweisende Fenster stand weit offen. Daneben stand, einem Schreckgespenst gleich, den Kopf in blutbefleckte Bandagen gewickelt und das Gesicht erschöpft und weiß, Sherlock Holmes. Im nächsten Augenblick war er durch die Fensteröffnung, und ich hörte, wie sein Körper draußen in die Lorbeerbüsche krachte. Mit einem Wutgeheul stürmte der Hausherr hinter ihm her zum offenen Fenster.
Und dann! Es geschah im Nu, und doch nahm ich es deutlich wahr. Ein Arm – ein Frauenarm – schoß aus dem Laub hervor. Im gleichen Augenblick stieß der Baron einen gräßlichen Schrei aus – einen Aufschrei, der mir immer im Gedächtnis nachklingen wird. Er schlug beide Hände vors Gesicht, raste im СКАЧАТЬ