Eine große Zeit. William Boyd
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Название: Eine große Zeit

Автор: William Boyd

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783311701705

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СКАЧАТЬ konnte man einen Tag im Voraus bestellen. Ihm wurde bewusst, dass er sich hier auf seltsame Art heimisch fühlte.

      Traudl kam herein und räumte die Dessertteller ab.

      »Wie geht’s, Traudl?«, fragte Lysander. Sie war ein kräftiges, dralles Mädchen, ziemlich unbeholfen dazu.

      Wie aufs Stichwort ließ sie einen Dessertlöffel fallen.

      »Nicht so gut, mein Herr«, sagte sie, hob den Löffel auf und rieb den Vanillesoßenfleck mit einer Serviette weg.

      »Warum denn?«

      »Ich schulde Frau Kriwanek so viel Strafgeld, dass mir in diesem Monat kein Lohn bleibt.«

      »Das tut mir leid. Du musst besser aufpassen.«

      »Traudl? Traudl soll aufpassen? Völlig undenkbar!«, ertönte eine männliche Stimme.

      »Guten Abend, Herr Leutnant«, sagte Traudl errötend.

      Wolfram Rozman zog einen Stuhl vom Tisch und ließ sich darauf fallen.

      »Traudl, mein kleines Flauschküken, bring mir doch ein bisschen Brot und Käse.«

      »Aber gern, Herr Leutnant.«

      Wolfram lehnte sich über den Tisch und klopfte Lysander auf die Schulter. Er trug einen hellblauen Anzug und eine fliederfarbene Fliege. Er war sehr groß, um einiges größer als Lysander, und bewegte sich mit dieser lockeren, schlaksigen Trägheit, die für hochgewachsene Männer typisch ist. So fläzte er sich hin, den Arm über die Lehne des Nachbarstuhls geworfen, und streckte die Beine unter dem Tisch aus. Seine hellblauen Hosenaufschläge und Gamaschen ragten neben Lysanders Platz unter dem Tisch hervor. Wolfram hatte einen verhangenen, müden Blick und einen dichten blonden Schnurrbart mit gewachsten Enden, die über seine vollen weichen Lippen gezwirbelt waren.

      Lysander bot ihm eine Zigarette an, Wolfram nahm sie und zündete sie, nachdem er seine Taschen vergeblich nach Streichhölzern durchforstet hatte, mit Lysanders Feuerzeug an.

      »Ich stehe wohl auf ihrer allerschwärzesten Liste«, sagte Wolfram und blies formvollendete Rauchringe in die Luft. »Schwarz wie die Nacht.«

      »Sagen wir einfach, du bist nicht besonders ›erfreulich‹.«

      »Ich bin den ganzen Weg hierher gerannt, weil ich nicht zu spät kommen wollte, und dann dachte ich – Herrgott sakra, nein, das halte ich nicht aus. Und so bin ich stattdessen ins Café gegangen und habe Schnaps getrunken.«

      »Warum verzichtest du nicht ganz aufs Abendessen, so wie Barth? Dann würdest du sie gar nicht zu Gesicht bekommen.«

      »Das Regiment kommt für alle Kosten auf. Nicht ich.«

      Traudl brachte einen Teller mit mehreren Scheiben Schwarzbrot und etwas Streichkäse.

      »Danke, mein Äffchen.«

      Traudl schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich jedoch anders, knickste und ging durch die Hintertür.

      Wolfram beugte sich vor.

      »Lysander – du weißt doch, dass du Traudl besteigen kannst, wenn du ihr zwanzig Kronen gibst?«

      »Besteigen?«

      »Flachlegen.«

      »Im Ernst?« Lysander rechnete schnell nach: Zwanzig Kronen waren nicht einmal ein Pfund.

      »Ich mache es mehrmals wöchentlich. Das Mädchen braucht Geld – und eigentlich ist es ganz nett mit ihr.« Wolfram drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus, bestrich eine Brotscheibe mit Käse und fing an zu essen. »Diese süßen großen Landeier haben einige erstaunliche Tricks auf Lager – ich wollte dir bloß Bescheid geben, falls dir mal danach ist.«

      »Danke. Ich behalte es im Hinterkopf«, sagte Lysander etwas perplex. Wie würde Frau K wohl reagieren, wenn sie von diesen Machenschaften erführe? Er würde Traudl jedenfalls von nun an mit anderen Augen sehen.

      »Du wirkst so überrascht«, sagte Wolfram, sein Käsebrot kauend.

      »Das bin ich auch. Ich hatte ja keine Ahnung. Ausgerechnet hier – in dieser Pension. Wie sehr der Schein doch trügt.«

      Wolfram richtete sein Messer auf Lysander.

      »Diese Pension – die Pension Kriwanek – ist genau wie Wien. An der Oberfläche befindet sich die Welt von Frau K. So angenehm und erfreulich, alle lächeln höflich, niemand furzt oder popelt in der Nase. Aber darunter fließt ein dunkler, reißender Strom.«

      »Was für ein Strom?«

      »Der Strom der Lust.«

      6 Der Sohn von Halifax Rief

      »Ich bin im Foyer des Majestic Theatre an der Strand. Ich bewege mich durch einen Pulk elegant gekleideter Damen – jüngere und ältere. Sie plaudern und tratschen, ab und an wirft mir eine von ihnen einen Blick zu. Die Damen schenken mir nicht die geringste Beachtung – obwohl ich splitternackt bin.«

      Lysander hielt inne. Gerade las er Dr. Bensimon aus seinen Autobiographischen Untersuchungen vor.

      »Jaaaa …«, sagte Dr. Bensimon bedächtig. »Das ist interessant. Haben Sie das gestern Nacht geträumt?«

      »Ja. Ich habe es umgehend aufgeschrieben.«

      »Aber was hat es mit dem Theater auf sich?«

      »Das liegt auf der Hand«, sagte Lysander. »Es wäre noch viel interessanter, wenn es sich nicht um ein Theater handeln würde.«

      »Ich verstehe nicht ganz.«

      »Ich bin Schauspieler«, erklärte Lysander.

      »Von Beruf?«

      »Ich verdiene meinen Lebensunterhalt auf der Bühne, meistens im Londoner West End.«

      Er hörte Bensimon aufstehen und das Zimmer durchqueren, um sich am Fußende des Diwans zu setzen. Lysander drehte sich im Sessel zur Seite – Bensimon musterte ihn aufmerksam.

      »Rief«, sagte er. »Der Name kam mir gleich so bekannt vor. Sind Sie zufällig mit Halifax Rief verwandt?«

      »Er war mein Vater.«

      »Mein Gott!« Bensimon schien aufrichtig überrascht. »Ich habe ihn als King Lear gesehen, im … Wo war das noch mal?«

      »Im Apollo.«

      »Stimmt, im Apollo … Er ist doch gestorben, nicht wahr? Mitten in der Spielzeit.«

      »’99. Ich war dreizehn.«

      »Gütiger Himmel. Sie sind der Sohn von Halifax Rief. Nicht zu fassen.« Bensimon starrte Lysander an, als sähe er ihn zum ersten Mal. »Ich meine, eine gewisse Ähnlichkeit zu erkennen. Und Sie sind auch noch Schauspieler.«

      »Nicht so erfolgreich wie mein Vater – aber ich kann ganz gut davon leben.«

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