Название: Eine große Zeit
Автор: William Boyd
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783311701705
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Am Burgtheater überquerte er den Ring und musste sofort an Udo Hoff und dessen architekturkritische Tirade denken. Und daraus erwuchs wiederum eine gewisse prickelnde Euphorie bei der Vorstellung, Hettie wiederzusehen. Er malte sich aus, wie es wohl wäre, eine ganze Nacht mit ihr in diesem schmalen Bett zu verbringen, dann morgens aufzuwachen, warm und noch schläfrig, Schenkel an Schenkel, sich umzudrehen und nach ihr zu greifen …
In der Pension setzte er sich gleich hin und schrieb an Blanche, um die Verlobung zu lösen. Das war der einzige ehrbare Ausweg, auch wenn die Lügen aus seiner Feder nur so flossen. Er teilte ihr mit, er sei, nachdem er in Wien mehrere Ärzte und Psychoanalytiker konsultiert habe, zur Überzeugung gelangt, dass ihn höchstens eine äußerst aufwendige und langwierige Kur heilen könne. Außerdem sei er in Sorge über das bedenkliche Ausmaß seiner »mentalen Erregung«, und angesichts all dessen habe er das Gefühl, es sei mit »Rücksicht auf Dich, liebste Blanche, dringend geboten, Dich von Deinen Versprechen und Gelöbnissen zu entbinden«. Er bat sie um Verzeihung und Verständnis und ermunterte sie, nach Belieben mit dem Ring zu verfahren, den er ihr geschenkt hatte – sie könne ihn in die Themse werfen, verkaufen, einer Nichte oder Patentochter vermachen –, was immer ihr am passendsten erschiene. Er würde ihre Schönheit und liebevolle Art stets in Erinnerung behalten und bedauere zutiefst, dass ihn diese »widrigen Umstände« daran hinderten, ihr ergebener Gatte zu werden.
Lysander versiegelte den Umschlag mit gemischten Gefühlen – Schuldbewusstsein, Trauer und überschwänglicher Freude sowie leiser Selbstzufriedenheit, weil er dem falschen Spiel so schnell ein Ende bereitet hatte. Hinzu kam ein erhebendes Moment der Erlösung. Er war nun ein freier Mann – seine leidige Anorgasmie gehörte der Vergangenheit an, war nur mehr eine schlimme Erinnerung. Und aus der Liaison mit Miss Bull konnte alles Mögliche werden. Er nahm sich jedoch vor, keine Zukunftspläne zu schmieden, ehe er sie wiedergesehen hatte. Seine Aufregung speiste sich schließlich auch aus einem echten Gefühl von Bedrohung – in den Kulissen lauerte ein betrogener Liebhaber –, ganz abgesehen von Hetties heftigen Stimmungsschwankungen (er hatte sie selbst miterlebt – er blendete sie keinesfalls aus). Doch das Einzige, woran er im Augenblick denken konnte, war der nächste Mittwoch.
Beim anschließenden Abendessen sagte Wolfram zu ihm: »Offenbar bist du allerbester Laune, Lysander.«
»Das bin ich in der Tat«, gestand er. »Jetzt weiß ich nämlich, dass diese Wienreise das Beste ist, was ich jemals unternommen habe.«
»Das höre ich gern, Herr Rief«, sagte Frau K. »Ich war schon immer der Meinung, dass Wien die angenehmste Stadt Europas ist.«
»Der Welt«, fügte Lysander hinzu. »Die angenehmste Stadt der Welt.«
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