Название: Apropos Gestern
Автор: Georg Markus
Издательство: Bookwire
Жанр: Афоризмы и цитаты
isbn: 9783902998927
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»Schauen Sie«, sagte Farkas, »seit zwanzig Jahren bin ich keinen Abend vor elf nach Haus gekommen. Was glauben Sie, was sich meine Frau für Sorgen macht, wenn ich einmal um zehn daherkomm.«
Für die Frühjahrs-»Bilanz«, die Ende April 1971 im Ronacher aufgenommen wurde, schleppte sich Farkas mit eiserner Disziplin zu den Proben und zur Aufzeichnung. Eines Abends brach er im Simpl zusammen, wurde wieder ins AKH gebracht. Auf seinem Nachtkasten lagen Papier und Bleistift – er machte sich Notizen für das nächste Simpl-Programm, das den Titel »Alles im ORF« tragen sollte, und für eine geplante Operettenbearbeitung an der Volksoper.
Am Abend des 15. Mai 1971 lachte Österreich noch einmal über Karl Farkas und seine letzte »Bilanz« im Fernsehen. Zu diesem Zeitpunkt lag er bereits im Koma, am nächsten Morgen war er tot. »Mit Karl Farkas«, schrieb Friedrich Torberg in seinem Nachruf, »ist der letzte Stern eines untergegangenen Planetensystems erloschen.«
Ich schätze mich glücklich, dem Strahlen dieses Sterns in seinem vorletzten Lebensjahr nahe gewesen zu sein. In seinem letzten Jahr war ich nicht mehr am Simpl, da ich mich langsam um einen »richtigen Beruf« hatte umsehen müssen.
»ENTSCHULDIGEN SIE, WIE WIRD MAN JOURNALIST?«
Mein Einstieg als Zeitungsreporter
Neben seinen Auftritten bewunderte ich auch den schriftstellerischen Teil der Arbeit von Karl Farkas. Außerdem fiel mir ein, dass einst im Deutschunterricht meiner Schule meine Aufsätze vorgelesen wurden. Also kam mir in den Sinn, das Schreiben zum Beruf zu machen. Aber wie kommt man dazu und an wen wendet man sich?
Mein erster Gedanke war die »Kurier«-Redaktion, die damals in der Lindengasse in Wien-Neubau residierte. Meine Eltern hatten den »Kurier« abonniert, der auch mir in Schreibweise und Aufmachung zusagte – nicht zuletzt infolge der herausragenden Persönlichkeit seines langjährigen Chefredakteurs und Leitartiklers Hugo Portisch. Ich fuhr also – immer noch im rosa Taunus – in den siebenten Bezirk und stellte dem Portier eine Frage, die mir in ihrer Naivität noch mehrere Jahre von altgedienten Mitgliedern der Redaktion unter die Nase gehalten wurde. Die dem Portier gestellte Frage lautete: »Entschuldigen Sie, wie wird man Journalist?« In der Version des später berühmten, leider früh verstorbenen »Kurier«-Kolumnisten Herbert Hufnagl hätte ich mein Anliegen sogar mit den Worten »Ich möchte rasend gern Reporter werden« vorgetragen.
Wie auch immer, der Portier tat das einzig Richtige, er schickte mich in den elften Stock, in dem die Lokalredaktion untergebracht war. »Lokalchef« Josef Jäger empfing mich, und ich legte ihm meinen Wunsch dar, Journalist werden zu wollen. Als er mich fragte, was ich denn schreiben wollte, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen: »Künstlerinterviews und Theaterkritiken!«
Mit diesem Ansinnen machte ich mich einmal mehr lächerlich, denn in der Lokalredaktion ist man mehr mit Mord, Totschlag, Bankraub und ähnlichen Delikten beschäftigt als mit Themen der Hochkultur. Ich könnte meinen Posten, erklärte ich noch großspurig, in drei Wochen antreten, so lange sei noch ein Urlaub mit Freunden geplant.
Weder der Wunsch nach Künstlerinterviews noch die Urlaubsplanung spielten in Herrn Jägers Reaktion eine Rolle, denn er erklärte mir, keinen Volontär aufnehmen zu können, da die Redaktion gut besetzt und im Moment kein Posten frei wäre. Ich legte ihm einen Zettel mit meiner Telefonnummer auf den Schreibtisch, verabschiedete mich artig und fuhr in die Wohnung meiner Eltern, in der ich damals noch lebte.
Mit dem Berufswunsch »Journalist« dürfte es vorerst wohl nichts werden, zeigte ich mich enttäuscht. Doch es sollte anders kommen. Denn kaum zu Hause eingelangt, läutete das Telefon, am Apparat: Herr Jäger. »Wir haben, was ich nicht wusste, ein paar Krankenstände, einige Kollegen sind in den Bundesländern unterwegs, andere auf Urlaub. Also, wenn Sie anfangen wollen, dann kommen Sie. Aber nicht morgen oder in drei Wochen, sondern jetzt gleich. Am besten Sie machen sich sofort auf den Weg, es gibt genug zu tun.«
Heute weiß ich, dass ich unerhörtes Glück hatte. Täglich meldeten sich in den Redaktionen Dutzende junge Leute, die den vermeintlichen Traumberuf »Journalist« anstrebten, ohne zu wissen, wie das geht und was zu tun ist.
Auch ich wusste es natürlich nicht. Aber ich wollte mir die Chance nicht entgehen lassen, sagte den geplanten Urlaub ab und fuhr ein zweites Mal an diesem Tag in die Lindengasse. Dass mich Herr Jäger anrief, verdankte ich ausschließlich dem Umstand, dass ich der Letzte war, der an diesem Tag bei ihm vorgesprochen hatte, wodurch meine Telefonnummer noch auf seinem Schreibtisch lag und nicht im Papierkorb wie die Nummern aller anderen.
Josef Jäger wies mich einem »erfahrenen Reporter« zu, der allerdings auch erst seit wenigen Tagen in diesem Beruf tätig war, und sagte, dass mir Herr Pleschitzger, so hieß der junge Mann, alles erklären würde. Ernst Pleschitzger indes sagte nur: »Setzen S’ Ihna da her und horchen S’ gut zu.«
Und das war auch schon die gesamte Einschulung, die ich bis zum heutigen Tag zur Erlangung des Journalistenberufs erfahren habe.
Ich setzte mich an den mir zugewiesenen Tisch, auf dem ein kleines Kästchen stand, das seltsame Geräusche von sich gab, und hörte auftragsgemäß zu. »Zentrale an Berta zwo, Überfall auf Zentralsparkasse Filiale Taborstraße. Vorsicht, der Täter ist bewaffnet.«
Ich saß also am »Polizeifunk«, dessen Abhörung eigentlich nicht ganz legal war, aber von der Exekutive geduldet wurde, da diese selbst Interesse daran hatte, dass ihre Arbeit von den Medien unterstützt und gewürdigt würde.
Im Falle eines solchen Überfalls raste man dann im chauffeurgefahrenen Redaktionswagen und in Begleitung eines Fotografen zu der genannten Bankfiliale und versuchte Interviews mit Polizisten, Zeugen und sonstigen Personen zu erhalten. Dann fuhr man so schnell wie möglich zurück in die Redaktion und wartete auf Herrn Jägers Anweisung, ob die Story als Ein-, Zwei- oder gar Dreispalter vorgesehen wäre. Das war insofern von großer Bedeutung, als wir Nachwuchsreporter als freie Mitarbeiter nach Zeilenhonorar bezahlt wurden. Man versuchte also, die jeweilige Story als interessant zu »verkaufen«, um sie möglichst detailreich schreiben zu können.
Also, »schreiben« ist übertrieben. Die ersten Artikel wurden von erfahrenen Redakteuren umformuliert, ich selbst wusste ja noch nicht, wie eine Geschichte aufgebaut werden muss. Vor allem aber: Der Polizeifunk lieferte in den seltensten Fällen Geschichten wie obigen Bankraub, sondern meist belanglose Meldungen wie »Alte Frau hat sich verirrt und ist seit zwei Stunden abgängig« oder »Wohnungseinbruch in Wien-Währing« oder gar »Verdächtiges Geräusch in einem Blumengeschäft«. Zu solchen »Fällen«, das hatte ich bald heraußen, fuhr man natürlich nicht. Genau solche Polizeifunkmeldungen waren aber der Alltag des ahnungslosen Redaktionsaspiranten.
In meinen ersten Wochen und Monaten berichtete ich über die Eröffnung der Wiener Rathausgarage, über ein Wiener Taxi, das eine Million Kilometer auf dem Buckel hatte, über die populären »Kurier«-Hausfrauennachmittage, über einen Autounfall der Jazzlegende Fatty George, und ich betreute mit anderen die Kolumne »Ein Tisch für zwei«, die sich als äußerst nahrhaft erweisen sollte, da man regelmäßig renommierte Restaurants zu testen hatte.
Über die wahren Themen, die im Jahr 1970 bewegten, schrieb im »Kurier« natürlich nicht ich, sondern hart gesottene Profis. Bruno Kreisky wurde zum ersten Mal Bundeskanzler. Das zweite österreichische Fernsehprogramm ging täglich auf Sendung. Bundeskanzler Willy Brandt bat mit seinem historischen Kniefall von Warschau um Vergebung für die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. In Salzburg wurde die neue Felsenreitschule eröffnet. СКАЧАТЬ