Название: Apropos Gestern
Автор: Georg Markus
Издательство: Bookwire
Жанр: Афоризмы и цитаты
isbn: 9783902998927
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Ich sah viele Reporterkollegen kommen und gehen, aber in keinem anderen Fall war der Abgang so dramatisch wie in diesem: Es wurde wieder einmal eine Bank überfallen, wie das in den 1970er-Jahren geradezu »Mode« war. Ein Jungjournalist, erst seit wenigen Tagen als solcher tätig, wurde samt Fotograf per Redaktionswagen zu dem in einem Außenbezirk gelegenen Tatort geschickt, um dort den überfallenen Kassier, die amtshandelnden Polizisten und mögliche Zeugen zu befragen. In solchen Fällen zählt jede Minute, ist es doch vorrangig, den Bericht noch vor Andruck der Abendausgabe ins Blatt zu rücken. Alle warteten an diesem Nachmittag gespannt auf die erhoffte Sensationsstory des Nachwuchsreporters.
Doch plötzlich, nach kaum einer Viertelstunde, kehrte der Fotograf mutterseelenallein und ohne jegliche Ausbeute in die Redaktion zurück, um dem fassungslosen Lokalchef mitzuteilen: »Wir sind in der Lindengasse losgefahren, aber am Gürtel hat der Kollege dann plötzlich die Autotür aufgemacht und mir zugerufen: ›Sagen S’ denen in der Redaktion, des is doch ka Beruf für mich.‹«
Er stieg aus und ward nie wieder gesehen. Das Ende einer Karriere – mitten im Einsatz.
Für mich war’s schon der richtige Beruf, das spürte ich von Anfang an, ich liebte die Redaktionsatmosphäre und die Recherchen, was immer der Anlass für die Story war. Und ich schrieb gerne – auch fürs Lokalressort.
DER SOHN DES SCHOKOLADEKÖNIGS
Österreichs erstes Entführungsopfer
Kurt Waldheim wurde 1971 Generalsekretär der Vereinten Nationen. Erich Honecker folgte Walter Ulbricht als Erster Sekretär des Zentralkomitees der SED. Idi Amin wurde durch einen Putsch Staatspräsident von Uganda. Am Graben entstand Wiens erste Fußgängerzone. An der Wiener Staatsoper wurde Gottfried von Einems Oper »Der Besuch der alten Dame« uraufgeführt. Annemarie Moser-Pröll gewann den Skiweltcup. Joe Frazier holte den Weltmeistertitel im Schwergewicht im Kampf gegen Muhammad Ali. Es starben Ex-Kremlchef Nikita Chruschtschow, der Komponist Igor Strawinsky, Jazzlegende Louis Armstrong, der Sänger Jim Morrison, der Schauspieler Fernandel und der Kabarettist Karl Farkas. Der 26-jährige Schokolade-Erbe Hans M. Bensdorp wurde gekidnappt.
Jahre später sprach ich Österreichs erstes Entführungsopfer auf die Geschichte jenes 2. Jänner 1971 an. Zwei Männer hatten Bensdorp in ein Auto gezerrt und zu einer 24-stündigen Irrfahrt Wien–Salzburg und retour gezwungen. Als die Täter ihr Opfer nach Übergabe des geforderten Lösegeldes in Höhe von 250 000 Schilling nicht freiließen, setzte eine wilde Verfolgungsjagd ein. Auf der Westautobahn bei Melk gelang der Gendarmerie die Befreiung der unverletzten Geisel und die Festnahme der Entführer.
»Jemand, der so etwas nicht erlebt hat, kann sich nicht vorstellen, was es bedeutet, mit einer Pistole an der Schläfe einer ungewissen Zukunft entgegenzusehen«, schilderte mir der mittlerweile zum Priester geweihte Hans Michael Bensdorp den Tag und die Nacht, die er in der Gewalt der Gangster zugebracht hatte. »Es war die blanke Angst ums Überleben.« Mit Hans Bensdorp war den Kidnappern ein »großer Fisch« ins Netz gegangen, war er doch der Sohn des österreichischen »Schokoladekönigs«. Als ich das Entführungsopfer traf, war die väterliche Süßwarenfabrik bereits verkauft und Hans M. Bensdorp Pfarrer in Wien-Hetzendorf. Der Kriminalfall war für ihn »abgeschlossen und vorbei«, er verfolgte ihn nicht einmal mehr in seinen Träumen. Die einzige, stets wiederkehrende Erinnerung an die Entführung: »Ich werde regelmäßig darauf angesprochen, die Kinder in der Jungschar können die ›Raubersg’schicht‹ gar nicht oft genug hören.«
Der Entschluss, Priester zu werden, hätte mit dem schlimmsten Ereignis seines Lebens nichts zu tun gehabt. »Ich war damals schon Theologiestudent, meine Berufung stand fest, als ich 17 war.« Dass er das christliche Gebot des Verzeihens beherrschte, stellte Bensdorp unter Beweis: Nach seiner Freilassung aus der Haft traf das einstige Entführungsopfer einen der Täter, der andere war mittlerweile an Krebs gestorben.
»SCHARF AN DER GRENZE DER PIRATERIE«
Ephraim Kishon in Wien
In einem Interview, das ich im März 1972 mit dem damals 48-jährigen Ephraim Kishon führte, outete sich der berühmte israelische Satiriker als Österreich-Fan. »Und das ist kein Zufall«, sagte er, »weil dieses Land ein einziger Anachronismus ist. Seit Kaiser Franz Joseph hat sich hier nicht viel geändert. Österreich könnte eine Satire von Ephraim Kishon sein.«
Da seine Bücher damals bereits in 22 Sprachen erschienen und die Auflage allein in den deutschsprachigen Ländern bei sieben Millionen lag, war die Frage naheliegend, wie er sein Geld anlegte.
»Ich lege mein Vermögen«, sagte er, »in der israelischen Einkommenssteuer an. Das ist bei mir zu Hause die sicherste Investition. Ich gehöre in meinem Finanzamt zur Abteilung Schwerindustrie und musste bis vor Kurzem neunzig Prozent meines Einkommens abliefern. Inzwischen sind es 110 Prozent geworden.«
»Würden Sie lieber in Liechtenstein leben und keine Steuern zahlen?«, lautete meine nächste Frage.
Darauf er: »Ich würde lieber in Israel leben und keine Steuer zahlen. Außerdem ist es ein Irrtum zu glauben, dass man in Liechtenstein keine Steuern zahlt. Ich hatte vor Kurzem eine Lesung in Vaduz, da haben mir Zuhörer erzählt, dass sich das Fürstliche Finanzamt scharf an der Grenze der Piraterie befinde, weil man dort bis zu vierzehn Prozent zahlen muss. Vierzehn Prozent! Da habe ich mich mit meinen 110 Prozent halb totgelacht.«
»Was lieben Sie an Ihrem Beruf am meisten und was am wenigsten?«
»Sie werden lachen«, antwortete er, »das Miserabelste an meinem Beruf ist das Schreiben. Das Schönste, das fertige Produkt in Händen zu halten.«
Ich fragte ihn dann noch, weshalb seiner Meinung nach die Auflagen seiner Bücher in Österreich besonders groß seien.
»Weil die Satire hier geboren wurde«, sagte er. »Sie ist in Österreich so populär, weil auch der Stierkampf in Spanien populär ist.«
»Die Mantelhexen von Wien« angekündigt: mit Ephraim Kishon, 1972
Zuletzt verriet mir Kishon noch, warum er eigentlich nach Wien gekommen war. »Ich bin auf Satirensuche hier«, erklärte er und fügte an, dass er bereits fündig geworden sei: »Ich kann in Österreich in kein öffentliches Lokal gehen, ohne dass eine alte Frau kommt, die mir meinen Mantel abnimmt und ihn in die Garderobe trägt. Auch wenn mir kalt ist. Das ist mir hier schon oft in Kaffeehäusern passiert. Meinen Freund und Übersetzer Friedrich Torberg habe ich sogar schon mit einer solchen Frau kämpfen gesehen. Sie hat letztlich den Kampf gewonnen und das Kleidungsstück stolz in die Garderobe getragen.« Tatsächlich erschien in Kishons nächstem Buch, »Salomons Urteil, zweite Instanz«, die Satire »Die Mantelhexen von Wien«. Damals konnte ich nicht ahnen, dass ich den großen Satiriker Jahre später als Verlagskollegen bei Langen Müller näher kennenlernen sollte.
DIE LETZTE DEMELINERIN VOM ALTEN SCHLAG …
… und ihr »Chef« Udo Proksch
Keine »Mantelhexen« gab und gibt es hingegen in der »k. u. k. Hof-Zuckerbäckerei Demel« am Kohlmarkt, die ich 1972 zum ersten Mal betrat. Ich hatte erfahren, dass der Wiener Süßwarentempel verkauft werden und ein Schweizer Firmengeflecht den Zuschlag erhalten sollte. An dessen Spitze stand ein gewisser Udo Proksch, damals bekannt unter dem Künstlernamen Serge Kirchhofer. Als ich ihn am 6. Juni in den Räumlichkeiten СКАЧАТЬ