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und durchsichtig, wenn das Glas und die Stufen der breiten Treppen, die frei hängen, Licht einlassen und Einblicke zu-, wenn sie durchschaubar sind, wenn man hineinschauen kann in den Hallerbau, in die Turnhalle, in die Aula, in die Pavillons und die lockeren Alleen, dann ist der Bunker das genaue Gegenteil. Der Bunker heißt so, weil er ein Klotz ist und viel zu sehr aus Beton besteht, weil er grau und fest und dunkel ist, weil seine Gänge eng und schummrig, seine schmalen Treppenschächte beinah absatzlos sind und so eng, dass sich gerade einmal zwei oder vielleicht drei Menschen kreuzen können in ihnen. Und weil es nur zwei Treppenschächte gibt und drei Etagen, und weil im ersten Stock die Bibliothek untergebracht ist und die je zwölf Klassenzimmer erst auf der zweiten und der dritten Etage, also bei jeder Pause um die vierundzwanzig Klassen mit zwanzig Schülern einmal hinab in die Mensa und wieder hinauf wollen, gehen von den dreißig Minuten Pause fünf Minuten für den Hin- und fünf Minuten für den Rückweg verloren. Und wie das dann erst gehen soll, wenn’s einmal brennt im Bunker, will man sich gar nicht vorstellen, aber man tut’s dann eben doch. Erst schrillt die Alarmglocke los und du denkst: Fehlalarm. Aber dann riecht einer den Rauch und dann ein Zweiter und dann ein Dritter und dann sieht ihn der Erste auch schon und dann noch einer und dann alle. Man bewahrt Ruhe in den Klassenzimmern, so gut sich die Ruhe eben bewahren lässt, wenn man mit fünfhundert Leuten in einem Gebäude feststeckt, wenn die Decke psychedelisch flackert von der Feuerwehr, der Polizei und was sich sonst noch alles ums Gebäude herumtummelt und dabei doch nichts tut, außer zuzuschauen, wie alles seinen Lauf nimmt. Man bewahrt Ruhe, obwohl überall Rauch ist und man weiß, dass die Fluchtwege verstopft sind, weil der Plastikboden im Treppenhaus und die Gase, die sich aus ihm lösen, dir die Lunge zerfressen würden, wenn du sie einatmest, dass sie dir hochkommt in Stücken und vor dir auf dem Tisch blutig liegen bleibt. Und irgendwann bricht der Tumult los, weil die zunehmende Hitze jemandem die Sicherungen hat durchschmelzen lassen und dann einem Zweiten in der Klasse und dann einem Dritten. Und dann stürmt die Menge auf den Flur und schießt hinaus zu den Treppenhäusern, drängt sich zusammen und auseinander, drückt sich gegen das Glas und die Wände und die Betonstützen und auf den Boden, und wenn einer gefallen ist, rücken die nachfolgenden Schüler sogleich nach in die Lücke, die sich vor ihnen aufgetan hat, und steigen einfach über den Liegenden hinweg. Und als man die Feuerschutztüren erreicht, bleiben die Vordersten stehen vor Grauen und Entsetzen und brechen in Geheul aus und Geschrei. Hinter dem Drahtglas ist der Qualm so dicht, dass jede Flucht unmöglich erscheint, vielleicht sind die Türen sogar defekt und lassen keinen Ausweg, nicht einmal den tödlichen hinein in den Rauch. Doch von hinten schiebt die Menge, die flucht und weint und spuckt und einfach nur hinauswill, und sich gegen das heiße Drahtglas quetscht, das krachend birst unter dem Druck und die Vordersten zerschneidet und zerteilt und zerreißt, dass ihre Körper ins Treppenhaus hineinhängen und gleichzeitig nicht hineinhängen. Sofort suchen sich der Rauch und das Gas und die Hitze einen Weg in den Flur hinein, drücken in die entgegengesetzte Richtung, sammeln sich an den Decken und füllen langsam den Raum von oben nach unten, und bald sieht man die Hand vor Augen nicht mehr, so dicht ist der wabernde Qualm. Scheiben werden jetzt eingeschlagen, man hält sich an den Fensterrahmen fest und streckt den Kopf ins Freie, um nach Luft zu schnappen, einige fallen schreiend in die Tiefe, regnen schwer aufs Pflaster wie Hagelkörner an einem lauen Sommerabend, begleitet vom Kreischen der im Innern feststeckenden Menge, das immer lauter wird und verzweifelter, nach einigen Minuten aber abnimmt und abnimmt und abnimmt und schließlich verstummt. Und wenn das Feuer endlich gelöscht ist und die ersten Feuerwehrleute auf der Suche nach Überlebenden über die vereinzelten Leichen im Treppenhaus steigen und schließlich in die oberen Stockwerke vordringen, bleiben sie auf den Treppenabsätzen stehen mit starrem Blick und wie festgeklebt. Hüfthoch angehäuft liegen die Kadaver in den Fluren, mit schmutzigen Kleidern und schwarzen und blauen und violetten Gesichtern, mit aufgesperrten Mündern, in denen weiß die Zähne leuchten, und aufgerissenen Augen, mit geschwollenen, vom Rauch aufgedunsenen Köpfen, mit gebrochenen und zerdrückten und zerstampften Gliedmaßen, mit blutig zerkratzter Haut, zusammengeschmolzen und verbacken zu einer Masse aus schmutzigem Fleisch. Aber das Schlimmste am Bunker ist, dass sie die Klos vergessen haben. Im Erdgeschoss keine Toiletten, im ersten Stock keine Toiletten, im zweiten Stock keine Toiletten, im dritten Stock keine Toiletten. Nur im Untergeschoss, vor der Dreifachturnhalle, da gibt es fünfzehn Stück für jedes Geschlecht, aber die sind immer leer. Erst später hat man in den winzigen Räumen, die als Abstellkammern für den Abwart vorgesehen waren, noch ein Klo auf jedem Stock eingerichtet, im Osten eines für die Frauen, im Westen zwei Pissoirs für die Männer. Nur zwei Pissoirs. Wenn von den Jungs einer mal nicht nur Kaffee getrunken hat oder einem Erstklässler übel wird, weil er alle Warnungen in den Wind geschlagen hat und etwas anderes als die Fritten gegessen hat in der Mensa – Pech gehabt. Drei oder vier Stockwerke muss der dann rennen. Überhaupt: Der Bunker ist eine verkehrte Welt. Wir Mädchen gehen nie zusammen auf Klo im Bunker, weil es keinen Vorraum gibt, in dem wir reden könnten, oder weil der Vorraum ganz einfach das Treppenhaus ist, sodass jeder mithören kann, wenn er will, aber dann braucht man sich auch nicht ins Klo zurückzuziehen für ein geheimes Gespräch, weil das Gespräch ja dann nicht das ist, was es sein soll, nämlich geheim. Die Jungs dagegen müssen immer zu zweit hin, damit dann einer vor der Tür wartet und zusieht, dass keiner reinkommt. Die Toiletten nämlich sind so klein, dass die Tür genau so breit ist wie der Raum, und wenn du hineingehst, dann schaust du geradeaus aufs Waschbecken, während du die beiden Pissoirs rechts an der Wand erst dann bemerkst, wenn du die Tür hinter dir geschlossen hast. – Und wenn du mit offener Hose vor dem Pissoir stehst und dir einer von hinten die Tür in den Rücken stößt, sagte Marcel einmal in der Pause, – dann wirst du nach vorne geschubst und pinkelst dir auf die Hose.
Und diesen abbruchreifen Neubau haben sie gleich vier- oder fünfmal gebaut im Kanton. Aber das ist eine andere Geschichte.
Jedenfalls: Ich stehe mit Franz und den anderen in der Runde, aber ich schaue mich andauernd nach Marcel um, weil ich möchte, dass Marcel kommt und weil ich nicht möchte, dass Marcel kommt. Und irgendwie macht mich der Gedanke, dass er kommen und meine drei Pickel sehen könnte, nervös. Aber auch der Gedanke, er könnte nicht kommen, lässt mir keine Ruhe. Mittlerweile habe ich in den allermeisten großen Pausen mit ihm geredet oder habe wenigstens in der Runde gestanden, wenn geredet wurde, und eine große Pause ohne Marcel war so etwas wie eine verlorene Pause für mich.
Und dann, als die Pause zu Ende ist und ich mich aufmache zum Hallerbau, begegne ich ihnen in dem Moment, als ich den Bunker über die Seitentür verlasse, die bei den Treppenhäusern, die immer zuschnappt und die man von außen nicht öffnen kann.
Ihnen, das ist Marcel und das ist Corinne, wie ich später erfahre, und sie wollen hinein in den Bunker und nicht hinaus, obwohl der Marcel doch mit mir in der Klasse ist und nicht mit der Corinne. Gut, die beiden haben zwar nicht Händchen gehalten und sie haben sich auch nicht geküsst, aber sie haben auch nicht nur geredet. Die haben … Ach, das muss man jetzt auch nicht breittreten. Ich jedenfalls wusste: Das war’s.
Und am Nachmittag kommt das mit der Chemieprüfung. Ich bin immer gut gewesen in Chemie. Ich bin schlecht in Mathe, ich bin schlecht in Physik, ich bin mittelmäßig in Biologie, aber ich bin gut in Chemie. Ich habe immer Bestnoten geschrieben, eine Sechs nach der anderen. Keine Frage, ich habe den Dreh rausgehabt mit den Prüfungen.
Bei den Notenbesprechungen hat das für lange Gesichter gesorgt. Es gibt nämlich vier Sorten Schüler, aus der Sicht der Lehrer, meine ich. Es gibt die, die überall gut sind und es gibt die, die überall schlecht sind. Dann gibt es noch die zwei Gruppen mit einer einseitigen Begabung. Die einen sind sprachbegabt und haben gute Noten in Geschichte, in Geografie manchmal, in Wirtschaft und Philosophie, aber können nicht einmal einen Spitzwegerich von einer Rotbuche unterscheiden. Und es gibt die Mathematikbegabten, die gute Prüfungen schreiben in Physik, in Biologie und in Chemie, aber nach acht Jahren Unterricht noch immer keinen geraden Satz auf Französisch herausbringen und die Kommas im Aufsatz nach dem Zufallsprinzip verteilen. Ich, muss man sagen, gehöre zur dritten Gruppe. Oder hätte gehört. Wenn da nicht die Chemie gewesen wäre. Der Schwarz, der Büttikofer und der Wullschläger, sie alle wittern eine Unregelmäßigkeit, weil ich in ihren Prüfungen lauter unzusammenhängenden Unsinn aufs Blatt werfe, aber in Chemie nur Sechsen schreibe. Aber der Novak, der hat mich immer
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